Bibelverständnis: Im Protestantismus zwei Konfessionen

29. Juni 2012 in Aktuelles


Innerevangelische Diskussion: Studientag des Arbeitskreises Bekennender Christen in Bayern: Kirche am Scheideweg


Lauf (kath.net/idea) Unter dem Dach des Protestantismus haben sich zwei Konfessionen entwickelt: Die eine lese die Bibel als Gottes Wort und stelle sich damit „unter das Wort“, während die andere die Bibel dem menschlichen Urteil – insbesondere der historisch-kritischen Methode – unterwerfe. Diese Ansicht vertrat der Vorsitzende des Arbeitskreises für evangelikale Theologie, Rolf Hille (Heilbronn), bei einem Studientag des Arbeitskreises Bekennender Christen in Bayern (ABC) in Lauf bei Nürnberg.

Die evangelische Kirche stehe deshalb vor einem Scheideweg. Besonders problematisch sei, dass in den Kirchenleitungen das liberale Schriftverständnis inzwischen absolut vorherrsche und Vertreter des traditionellen Bibelverständnisses an den Rand gedrängt würden.

Das führe zu Problemen bei der Akzeptanz geistlicher Leitung, was sich gerade in der sächsischen Landeskirche zeige. Mitte Juni hatten Mitglieder des Evangelisationsteams Sachsen erklärt, die kirchenleitenden Gremien nicht länger als geistliche Leitung der Landeskirche anzuerkennen. Als Grund wurde die Entscheidung von Kirchenleitung und Landessynode angegeben, die Pfarrhäuser in seelsorgerlich begründeten Einzelfällen für homosexuelle Partnerschaften zu öffnen. Dies sei mit der Heiligen Schrift nicht zu vereinbaren, so die Begründung des Evangelisationsteams.

Mit der Aufklärung kam die Kritik an der Bibel

Laut Hille – er war von 1995 bis 2009 Rektor des Albrecht-Bengel-Studienhauses in Tübingen – wurde die Bibel in der Zeit der Reformation noch ganz selbstverständlich als „die wahrhaftige und gewisse Predigt des Heiligen Geistes“ angesehen. Kritisch hätten sich die Reformatoren lediglich gegenüber kirchlichen Traditionen gezeigt, die nicht dem Zeugnis der Bibel entsprachen. Erst in der Aufklärung sei es zur Kritik an der Bibel selbst gekommen. Heute werde in der Regel gerade noch anerkannt, dass das biblische Zeugnis auf Gotteserfahrungen beruhe; das biblische Wort selbst werde aber nicht mehr als göttliche Offenbarung akzeptiert, sondern nur noch als literarische Quelle, die diese Offenbarungen reflektiere.

Kritik an badischem Landesbischof

Kritisch äußerte sich Hille zu Äußerungen des badischen Landesbischofs Ulrich Fischer (Karlsruhe), weil er im Synodenbericht Ende April zwischen der Bibel und dem Wort Gottes unterschieden habe. Hille zufolge ist es zwar richtig, dass Gott „mit menschlichem Vokabular“ spreche, so dass es wie bei jedem anderen Schriftstück auch zu Schwierigkeiten beim richtigen Verständnis kommen könne. Es sei aber eine Irrlehre, wenn ein modernes Schriftverständnis den göttlichen Wahrheitsanspruch der Bibel aufgebe.

Die Bibel ist„geisterfülltes Wort in Menschenwort“

In Anlehnung an den evangelischen Theologieprofessoren Peter Stuhlmacher plädierte Pfarrer Daniel Graf (Bimbach/Unterfranken) bei dem Studientag dafür, dass Bibelausleger sich an den von der Heiligen Schrift selbst gesetzten Maßstäben orientierten. Wenn in ihr davon die Rede sei, dass Menschen „getrieben vom Heiligen Geist“ geredet hätten, dann müsse auch die Bibel als „geisterfülltes Wort in Menschenwort“ verstanden werden. Der Sprecher des ABC, der Landessynodale und Rundfunkjournalist Hans-Joachim Vieweger (München), warnte davor, den Wahrheitsanspruch der Bibel aufzugeben: „Wenn sich die Kirche nicht sicher ist, ob die Bibel wirklich Gottes Wort ist, können wir uns letztlich die ganze Theologie sparen. Oder man sollte sie bei der Germanistik ansiedeln.“ Im ABC sind Verantwortliche aus rund 20 kirchlichen Gemeinschaften, Verbänden und Werken zusammengeschlossen, die bekenntnislutherische, bruderschaftlich-kommunitäre, charismatische, hochkirchliche und pietistische Prägungen innerhalb der evangelischen Landeskirche vertreten.


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