Evangelisches Lob für die 'pro-multis'-Entscheidung von Papst Benedikt

8. Mai 2012 in Kommentar


Es befremdet, wenn einzelne katholische Theologen wie auch Vertreter der Reformbewegung „Wir sind Kirche“ die Ausführungen des Papstes sogleich beargwöhnen. Von Klaus Jürgen Diehl / idea


Wetter (kath.net/idea) Viel Staub aufgewirbelt hat in den vergangenen Tagen eine Anordnung des Papstes zu den Abendmahlsworten, weil er sich für die Verwendung der ursprünglichen Worte Jesu aussprach. Man warf dem Papst vor, Zugeständnisse an konservative Kreise zu machen. Dazu ein Beitrag des evangelischen Pastors Klaus Jürgen Diehl (Wetter/Ruhr). Er leitete bis 2008 das Amt für missionarische Dienste in Westfalen.

Es kommt nicht häufig vor, dass die theologische Diskussion um die Veränderung eines einzigen Wortes die Aufmerksamkeit von Journalisten namhafter Zeitungen findet. Papst Benedikt XVI. ist dies mit seinem Brief vom 14. April an die (katholische) Deutsche Bischofskonferenz gelungen. Darin ordnet er an, dass es in der Einsetzungsformel zur Eucharistie – der katholischen Bezeichnung für das Abendmahl – künftig heißen soll: „… mein Blut, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“. Damit wird die seit der Liturgiereform von 1970 geltende Formel „für euch und für alle“ ersetzt.

In den Evangelien ist nicht von allen die Rede

Auf den ersten Blick könnte diese textliche Veränderung als Einschränkung der Heilsbedeutung des Todes Jesu Christi – „für viele, aber nicht für alle“ – verstanden werden; den Kommentator der „Süddeutschen Zeitung“ hat das päpstliche Schreiben deshalb auch zu der Bemerkung veranlasst, mit dieser einschränkenden Formulierung sei wohl die „Drohung“ verbunden, „dass die Hölle nicht leer bleibe“. Und doch handelt es sich hier um nichts anderes als die schlichte Rückkehr zum biblischen Wortlaut! Während Jesus bei der Einsetzung des Abendmahls nach der Überlieferung des Markusevangeliums den Kelch mit den Worten an seine Jünger weitergegeben hat „Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ (Markus 14,24; ähnlich Matthäus 26,28), lauten die Einsetzungsworte im Lukasevangelium „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird“ (22,20). Von allen ist hingegen in keiner Version der Einsetzungsworte Jesu zum Abendmahl die Rede!

Niemand ist ausgeschlossen!

Natürlich ist die bisher gültige Formulierung bei der Eucharistie in der katholischen Messe theologisch durchaus legitim, um die Universalität der Heilsbedeutung des Todes Jesu unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen: Jesus ist eben nicht nur für die Angehörigen seines eigenen Volkes oder für eine bestimmte Gruppe von Menschen gestorben; sein Kreuzestod gilt der Rettung und dem Heil aller Menschen; niemand in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist dabei ausgeschlossen. Diese grundlegende Wahrheit wird durch zahlreiche biblische Zitate gestützt (beispielsweise in den Briefen: Römer 8,32; 2. Korinther 5,14–15; 1. Timotheus 2,6; 1. Johannes 2,2) – und sie wird auch vom gegenwärtigen Papst nicht im Geringsten infrage gestellt. Er sieht es vielmehr sogar als große Herausforderung für die Kirche an, den Gläubigen die Neuformulierung der Einsetzungsworte möglichst behutsam zu vermitteln – damit eben nicht der falsche Eindruck entsteht, das durch Christus bewirkte Heil solle eingeengt oder beschränkt werden!

Wir freuen uns als Evangelische

Wenn er sich dennoch so nachdrücklich für die Formulierung „für euch und für viele“ einsetzt, macht er das aus einem einzigen Grund, wie er in seinem Brief betont: „Die Kirche sagt es so aus Respekt vor dem Wort Jesu, um ihm auch bis ins Wort hinein treu zu bleiben. Die Ehrfurcht vor dem Wort Jesu selbst ist der Grund für die Formulierung des Hochgebets.“ Als evangelische Christen können wir uns über diese Hochschätzung des biblischen Wortes nur von Herzen freuen: Entspricht sie doch unserer reformatorischen Erkenntnis von der Heiligen Schrift als dem alleinigen Maßstab für Lehre und Leben. Es befremdet daher, wenn einzelne katholische Theologen wie auch Vertreter der Reformbewegung „Wir sind Kirche“ die Ausführungen des Papstes sogleich beargwöhnen, der Papst wolle mit seiner Unterscheidung ein Zugeständnis an extrem konservative Kreise wie die Piusbrüder machen. Das zeigt nur, wie weit verbreitet inzwischen das Misstrauen in der katholischen Kirche gegenüber dem Vatikan ist.

Das Heil soll von allen geschmeckt werden …

„Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist!“ Mit diesen Worten aus Psalm 34,9 werden Protestanten zur Teilnahme am Abendmahl eingeladen. Bis in unsere Geschmacksnerven hinein soll das Heil, das Jesus durch sein Sterben für uns bewirkt hat, spürbar und erfahrbar werden. Indem wir das Stück Brot und den Schluck Wein zu uns nehmen, vertrauen wir uns neu dem Herrn an, der sein Leben aus Liebe zu uns dahingab. Wenn wir dabei nach der Überlieferung des Lukas in der evangelischen Kirche die Einsetzungsworte Jesu hören, wonach er sein Blut „für euch“ vergossen hat, kommt darin die ganz persönliche Zuwendung Jesu und sein Zuspruch der Vergebung für uns zum Ausdruck. Bei jeder Feier des Abendmahles dürfen wir darin neu gewiss werden und so gestärkt in den Alltag zurückkehren.

… doch viele wollen es nicht annehmen

Wer die Einladung dagegen ausschlägt und auf den Geschmack des Heils verzichtet, wird seine den Glauben stärkende Kraft auch nicht erfahren können. Insofern treffen also auch die Worte Jesu zu, dass er sein Blut „für viele“ vergossen hat: Zwar gilt das Heil Jesu allen Menschen, aber nur wer es für sich in Anspruch nimmt, ist für Zeit und Ewigkeit gerettet. Somit ist die Formulierung „für viele“ von schlichter und heilsamer Nüchternheit. Denn tatsächlich ist es ja so, dass leider nicht alle, denen ja das Heil gilt, es auch für sich in Anspruch nehmen! Es gibt eben keine „Zwangsbeglückung“ im Sinne der Allversöhnung, wonach letztlich jeder Mensch – losgelöst vom eigenen Schmecken des Heils – am großen Abendmahl (Lukas 14,16–24) in Gottes vollendetem Reich teilnehmen wird.

Warum Evangelische nicht am Abendmahl teilnehmen

Nachdenklich stimmt in dem Brief des Papstes an die (katholische) Deutsche Bischofskonferenz zudem die Aussage, wonach bei dem Bemühen um Übersetzung von biblischen Aussagen in die heutige Zeit „Banalisierungen unterlaufen, die wirkliche Verluste bedeuten“. Auch hier rührt der Papst an einen wunden Punkt. Einer solchen Gefahr der Banalisierung oder des Verlusts scheinen heute auch manche evangelische Abendmahlsfeiern zu erliegen. Als auf dem Evangelischen Kirchentag 1979 in Nürnberg zum ersten Mal zu einem sogenannten „Feierabendmahl“ eingeladen wurde, empfanden viele Kirchentagsbesucher diese
Mischung aus liturgischem Abendmahl und sättigendem Gemeinschaftsessen als befreiend. Allzu lange schien die Voraussetzung für die Teilnahme am Abendmahl in einer Haltung tiefen Bußernstes zu bestehen; Abendmahlsgäste gingen zum Tisch des Herrn, als ob ihnen die eigene Hinrichtung bevorstände. Häufig fanden diese Abendmahlsfeiern auch erst im Anschluss an den Gottesdienst statt – sozusagen reserviert für den „harten Kern“. So war es nicht verwunderlich, dass immer mehr Gemeindeglieder an „Abendmahls-Appetitlosigkeit“ litten. Demgegenüber steht heute bei vielen kirchlichen Abendmahlsfeiern der Gemeinschaftsaspekt im Vordergrund. So werden die Gemeindeglieder vor Austeilung von Brot und Wein aufgefordert, sich einander zuzuwenden und sich persönlich den Friedensgruß zuzusprechen. Bei der Entlassung mit einem Segenswort lädt der Pastor sie ein, sich bei den Händen zu fassen, um ihrer Verbundenheit als Brüder und Schwestern auf diese Weise Ausdruck zu verleihen.

Wenn das Sündenbekenntnis unterschlagen wird

So begrüßenswert diese liturgischen Neuerungen auch sind, besteht andererseits aber eben auch die Gefahr der Verharmlosung: Etwa dann, wenn ein ausdrückliches Sündenbekenntnis – bei dem die Gemeindeglieder gefragt werden, ob dies ihr aufrichtiges Bekenntnis sei und sie die Vergebung ihrer Sünden um Christi willen begehrten – einfach unter den Tisch fällt. Vielen Pastoren und Gemeindegliedern scheint die Aussage eher peinlich zu sein, wonach Jesus sein Blut für uns vergossen hat. So werden dann nicht selten die Aspekte des Sündenbekenntnisses und des Vergebungszuspruchs – und damit verbunden des Sühneopfers Jesu – unterschlagen! Die Abendmahlsfeier steht somit in der Gefahr, zum harmlosen „Wir haben uns alle lieb“-Kränzchen zu verkommen. Nimmt man dem Abendmahl jedoch die Vergegenwärtigung des Lebensopfers Jesu um unseres Heils willen, so hat man es seiner entscheidenden Dimension beraubt. Es ist dem Papst zu danken, dass er mit seiner Bemerkung auch auf eine solche Gefahr des Verlusts bei der Feier des Abendmahls deutlich hingewiesen hat.


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