Die Barmherzigkeit Gottes: '…letzter Rettungsanker für die Welt'

13. April 2012 in Spirituelles


Viele Menschen haben durch das Gebet vor dem Bild des „Barmherzigen Jesus“ wieder zum Glauben zurückgefunden, oft zu einer sehr persönlichen Beziehung zu unserem Heiland. Von P. Bernhard Speringer ORC / St. Josephsblatt


Goldach (kath.net/St. Josephsblatt) Als Priester darf man immer wieder erfahren, wie sehr das Bild des „Barmherzigen Jesus“ (gemalt nach Visionen und Angaben der hl. Sr. Faustina Kowalska) die Menschen anspricht und wie viele durch das Gebet vor diesem Bild wieder zum Glauben zurückgefunden haben – oft mit einer sehr persönlichen Beziehung zu unserem Herrn und Heiland.

Darin liegt auch die Gnade, die Gott durch dieses Bild schenken möchte: dass viele durch die Betrachtung dieses Bildes wieder neu Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes gewinnen. Die hl. Sr. Faustina Kowalska erhielt von Jesus den Auftrag:
«Male ein Bild, nach dem, was du siehst, mit der Unterschrift: Jesus, ich vertraue auf Dich» (Tagebuch, 47). «Ich überreiche den Menschen ein Gefäß, mit dem sie zur Quelle der Barmherzigkeit um Gnaden kommen sollen. Dieses Gefäß ist das Bild mit der Unterschrift: Jesus, ich vertraue auf Dich» (Tagebuch, 327).

Und er gab die trostvolle Verheißung:
«Durch dieses Bild werde Ich viele Gnaden erteilen und dadurch hat jede Seele den Zugang zu Mir» (Tagebuch 570).

Immer wieder hörte die hl. Schwester Faustina die Worte des Herrn: «Ich wünsche, dass dieses Bild öffentlich verehrt wird.» Zum Weißen Sonntag 1935 wurde das ursprünglich gemalte Bild in der "Ostra Brama", dem berühmten Marienheiligtum von Vilnius/Litauen (damals Wilno/Polen), ausgestellt. Dazu lesen wir folgenden Eintrag im Tagebuch der hl. Sr. Faustina:
«Als das Bild ausgestellt worden war, sah ich eine lebendige Bewegung der Hand Jesu; er machte ein großes Kreuzzeichen. Am gleichen Abend, als ich mich zur Ruhe gelegt hatte, sah ich, wie das Bild über der Stadt hing. Die Stadt war mit Schlingen und Fangnetzen bestückt. Als Jesus vorüberging, durchschnitt Er alle Schlingen, er zeichnete am Ende ein großes Kreuz und entschwand. Ich sah mich inmitten vieler boshafter Gestalten, die mir großen Hass entgegensprühten. Aus ihrem Mund kamen verschiedene Drohungen, doch keine von ihnen berührte mich.»

Tatsächlich blieb die Stadt Vilnius im Zweiten Weltkrieg verschont, ebenso Krakau. Das waren die einzigen Städte, in denen damals das Bild des «Barmherzigen Jesus» öffentlich verehrt wurde. Als die polnischen Bischöfe nach dem Zweiten Weltkrieg die furchtbaren Zerstörungen ihres Landes erwogen, gelangten sie zu der Überzeugung, dass die wunderbare Verschonung der beiden Städte Krakau und Vilnius mit der öffentlichen Verehrung des Bildes vom «Barmherzigen Jesus» zusammenhingen. Überwältigt von dieser Erfahrung ordneten sie an, das Bild in allen Kapellen und Kirchen des Landes anzubringen.

Als der polnische Papst, der sel. Johannes Paul II. 1997, also mehr als 50 Jahre später, das Heiligtum der Barmherzigkeit in Lagiewniki bei Krakau besuchte und einweihte, hat er das mit folgenden Worten getan:
«Der Mensch braucht nichts mehr als die Barmherzigkeit Gottes, also jene Liebe, die das Gute will, die den Menschen trotz seiner Schwachheit zu Gott erhebt. An diesem Ort werden wir uns dieser Notwendigkeit ganz besonders bewusst. Von hier ist die Botschaft der Barmherzigkeit Gottes ausgegangen, die der Herr selbst der Menschheit durch Sr. Faustina mitteilen wollte. Es ist eine klare und für alle verständliche Botschaft. Jeder, der hierherkommt oder einfach das Bild des Barmherzigen Jesus betrachtet, spürt in sich das, was der Herr zu Sr. Faustina gesagt hat: ‹Fürchte nichts. Ich bin immer bei Dir›. (TB q. II). Und wir sind eingeladen zu antworten: ‹Jesus, ich vertraue auf Dich.›»

Eindringlich mahnend fährt der Hl. Vater fort:
«Niemals und in keinem Augenblick der Geschichte der Menschheit darf die Kirche das Gebet um die Barmherzigkeit Gottes vergessen, gerade heute angesichts der vielen Gefahren, die die Menschheit bedrohen. Je mehr die Menschen die Bedeutung der Barmherzigkeit Gottes vergessen, umso mehr entfernen sie sich von Gott.»

Wie es im Tagebuch der hl. Schwester Faustina festgehalten ist, bezeichnete Jesus die Zuflucht zu seiner Barmherzigkeit wiederholt als «letzten Rettungsanker für die Menschheit». Mit großer Zuversicht setzt der selige Papst die Barmherzigkeit Gottes als Mittel zur Lösung weltpolitischer Probleme ein. Ein solcher Schritt erfordert ein kindliches Vertrauen in die Worte Jesu, die er durch eine einfache Ordensschwester an die ganze Welt gerichtet hat: «ICH ERSEHNE, DASS DIE GANZE WELT MEINE BARMHERZIGKEIT ERKENNT» (Tagebuch, 687).

Es darf dabei als glückliche Fügung betrachtet werden, dass Johannes Paul II. vor seiner Wahl zum Papst in seiner Eigenschaft als Bischof von Krakau den Fall der übernatürlichen Offenbarungen der Schwester Faustina begutachtet und nach jahrzehntelanger intensiver Prüfung zur kirchlichen Anerkennung geführt hat. So erklärte er bei seinem Amtsantritt, sein Pontifikat solle ein großer Lobpreis auf die Barmherzigkeit Gottes werden. Dieses Programm unterstrich er durch die Enzyklika «Dives in misericordia» – «Reich ist Gott an Barmherzigkeit». Welche Freude war es für die Kirche und ihre Gläubigen, als der Papst seine Entscheidung, dass der Sonntag nach Ostern als Sonntag der Barmherzigkeit Gottes gefeiert werden soll, im Rahmen der Heiligsprechung von Sr. Faustina bekannt gab!

Was hat den Papst dazu bewegt? Ich denke, der Papst wollte die Kirche und die Menschen zu einem richtigen, authentischen Gottesbild führen. Jeder Einzelne muss sich immer wieder die Frage stellen, welches Bild wir von Gott haben.

 - Ist Gott für mich der «gnadenlose Richter», der für uns Menschen strenge Gebote erlassen hat und nur darauf wartet mich zu bestrafen, wenn ich sündige? Ist Gott derjenige, der meine Freiheit einschränkt; mir nicht erlaubt, so zu leben, wie ich es will?

 - Oder ist Gott für mich der Vater, der mich liebt? Der Vater, dem ich wichtig bin, der mich glücklich machen will.

 - Ist Gott für mich ein barmherziger und gütiger Gott – oder der strafende Rächer?

Schon das Wort «Barmherzigkeit» sagt viel über das Wesen Gottes aus – wer Gott für uns ist. Dieser aus zwei Worten zusammengesetzte Begriff entstammt dem Althochdeutschen und meint in seiner ursprünglichen Bedeutung «wer ein Herz für die Unglücklichen, für die Armen hat». Ja, Gott ist voll tiefen Mitleids mit uns und hat wirklich ein Herz für uns Armseligen. In seinem Sohn schenkt er es uns, und lässt es am Kreuz für alle sichtbar weit öffnen. Ist doch eine der Bedeutungen des Gottesnamens Jahwe: «Ich bin der, der für euch da ist». Gott hat ein Herz für uns und unsere Nöte, und es schmerzt ihn, wenn wir leiden müssen. Er ist nicht der Urheber des Bösen, seien es Kriege, Katastrophen oder persönliche Schicksalsschläge.

Er kann dies aber sehr wohl zur Warnung und zur Strafe zulassen. Wir Menschen haben eben die Freiheit. Wir können uns für das Gute entscheiden, was Gott freut, – aber wir haben auch die Freiheit, uns für das Böse zu entscheiden. Das schmerzt Gott, doch in seinem unbegreiflichen Großmut respektiert er unsere Freiheit und lässt es zu unserem Besten zu.

Denn Gott kann selbst aus dem schlimmsten Übel noch Gutes wirken. Das größte Unrecht, die größte Sünde, welche in der Geschichte der Menschheit je geschehen ist, war, den Sohn Gottes ans Kreuz zu schlagen. Aber gerade dadurch hat Gott uns erlöst. Das ist die «glückliche Schuld», von der das Exultet in der Osternacht kündet: «O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden.»

Die Barmherzigkeit Gottes fordert uns immer wieder heraus, barmherzig zu sein mit unserem Nächsten, mit den Schwächen und Fehlern des Mitmenschen. Barmherzigkeit heißt ja nicht: das Unrecht gutheißen, die Sünde ignorieren oder unter den Teppich kehren. Barmherzigkeit bedeutet immer ein «Trotzdem». So wie Gott uns trotzdem liebt, trotz unserer Sünden und Schwächen, so sollen auch wir den Nächsten trotzdem lieben.

Und bedenken wir dabei, dass wir selbst es sind, die immer wieder auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen sind. Je mehr wir uns unserer eigenen Schwachheit bewusst sind, je mehr wir auch erfahren, wie Gott mit uns barmherzig ist, umso leichter wird es uns fallen, unserem Mitmenschen – auch dem, der sich gegen uns verfehlt hat – Barmherzigkeit zu zeigen.

Wir alle brauchen letztlich die Barmherzigkeit Gottes. Wir alle dürfen und sollen voll Zuversicht den vom Himmel angebotenen «Rettungsanker für die Menschheit» ergreifen. Der Rettungsanker ist nicht das Bild des Barmherzigen Jesus selbst. Der Rettungsanker ist allein die Barmherzigkeit Gottes. Nur durch ein echtes Vertrauen ebnen wir der barmherzigen Liebe Gottes den Weg in unser Leben und unser Herz.

Darüber hinaus will Gott, dass wir Menschen eindeutig erkennen, woher unsere Rettung kommt. Nur so können wir ihm für seine barmherzige Liebe entsprechend danken. Deshalb gibt er uns die äußeren Zeichen und verbindet deren Annahme mit göttlichen Verheißungen. Wer sich darauf einlässt und die versprochenen Gnaden empfängt, wird dadurch die Macht Seiner Barmherzigkeit entdecken und tiefer in das Geheimnis Seiner Liebe eindringen.

In diesem Sinn ist auch die von Jesus selbst gewünschte Unterschrift unter dem Bild des Barmherzigen Jesus zu verstehen: «Jesus, ich vertraue auf Dich!» So ist das Bild mit dem gütigen Blick Jesu und seinem geöffneten Herzen eine Einladung, ja eine Aufforderung, unsere Aufmerksamkeit auf die Barmherzigkeit Gottes zu richten und unser Vertrauen auf sie zu setzen.

Vertrauen wir auf die göttliche Barmherzigkeit. Vertrauen wir auf die Worte Jesu an die hl. Schwester Faustina:
"Aus Meiner Barmherzigkeit schöpft man Gnaden mit nur einem Gefäß - und das ist das Vertrauen. Je mehr eine Seele vertraut, um so mehr bekommt sie. Seelen, die unbegrenzt vertrauen, sind Mir eine große Freude, denn in solche Seelen gieße Ich alle Meine Gnadenschätze. Es freut Mich, dass sie viel verlangen, denn es ist Mein Wunsch, viel zu geben, und zwar sehr viel. Es betrübt Mich dagegen, wenn die Seelen wenig verlangen und ihr Herz verengen" (Tagebuch, 1578).

Original: Leitartikel im St. Josephsblatt, Monatszeitschrift für Glaube und Familie, Nr. 7/2012


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