Ich verteidige die Entscheidung des Kardinals

12. April 2012 in Kommentar


In Verteidigung Kardinal Schönborns und seiner tadellosen Ernennung eines Homosexuellen - Ein KATH.NET-Gastkommentar von Rocco Buttiglione


Wien (kath.net)
In der kleinsten Pfarrgemeinde der Erzdiözese Wien ist ein junger Homosexueller in den Pfarrgemeinderat gewählt worden. Der Erzbischof von Wien, Kardinal Schönborn, wollte diesen jungen Menschen, der Florian Stangl heißt, kennenlernen. Nach einem langen Gespräch und nachdem sie gemeinsam gebetet hatten, hat er Stangl in seiner Funktion bestätigt.

Man kann sich leicht vorstellen, dass diese Entscheidung Gelegenheit für Polemiken und auch für Missverständnisse bietet. Gerade deshalb – und angesichts der Wichtigkeit der Frage – erscheint es mir angemessen, öffentlich Stellung zu nehmen.

Ich verteidige die Entscheidung des Kardinals und sage, dass sie mir eine intelligente pastorale Sicht der Position der Kirche über die Homosexuellen und die Homosexualität zu sein scheint. Um zu verstehen, müssen wir von der traditionellen Unterscheidung zwischen dem Irrenden und dem Irrtum ausgehen. Diese Unterscheidung gilt immer, für jeden Sünder, für die Homosexuellen wie für die anderen, für jeden von uns. Nach katholischer Lehre ist die Homosexualität objektiv schwerwiegend moralisch ungeordnet. Ich habe nicht den Eindruck, dass Kardinal Schönborn diese Wahrheit leugnet. Der Homosexuelle ist ein Mensch, den Gott retten will und für den Jesus Christus sein Blut vergossen hat.

Kann man zugleich Christ und Homosexueller sein? Wir sprechen hier nicht von Personen, die homosexuelle Tendenzen haben, aber keusch leben, sondern von denen, die eine homosexuelle Praxis haben. Kann so jemand gleichzeitig den Glauben haben, die Faszination der Gegenwart Christi spüren, Christ sein? Die Antwort ist offensichtlich ja. Die Sünde bewirkt nicht den Verlust des Glaubens, auch wenn sie das Verbleiben in diesem Geschenk Gottes bedroht. Jeder lebt seinen Glauben auch – schmerzlich - durch seine Sünde. Die Kirche ist „das heilige Volk Gottes“ (Lumen Gentium), sie umfasst Sünder in ihrem eigenen Schoße, sie ist zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung (Lumen Gentium). Die Heiligen (es genügt, ihre Lebensbeschreibungen zu lesen) sind nie ihrer selbst sicher, weil sie wissen, dass sie jederzeit schwer sündigen können. Und die Sünder dürfen niemals resignieren, weil auch sie berufen sind, am Ende des großartigen und schrecklichen Verlaufs des Lebens heilig zu werden. Kann ein Christ eine große Liebe in der Sünde leben und Christ bleiben? Gewiss kann er das, Gott will ihn trotz dieser Liebe retten , aber auch in dieser Liebe und durch diese Liebe. Die Akte, die diese Liebe begleiten, sind verfehlt, aber in sich ist die Liebe nicht verfehlt. Auch wenn es ständig notwendig ist, sich zu fragen „wie muss die Liebe gelebt werden, damit sie ihre menschliche und göttliche Verheißung ganz verwirklicht“ (Deus caritas est).

Hätte der Kardinal gesagt, dass die Homosexualität nicht schwerwiegend moralisch ungeordnet ist, würde er einen Fehler machen. Aber das sagt er nicht. Er sagt einfach, dass der Homosexuelle ein gläubiger Sünder ist, einer, der um den Glauben kämpft und den man in diesem Kampf mit dem freundschaftlichen und diskreten Dialog unterstützen muss. Es ist nicht möglich, ihn zu den Sakramenten zuzulassen, aber man muss ihn einladen, an den Gottesdiensten und am Leben der Pfarrgemeinde teilzunehmen. Kardinal Schönborn hat es gut gesagt: „Der gute Hirt sieht beide Momente: die Überzeugung, dass das Projekt Gottes gut für den Menschen ist und ihn glücklich macht, und den geduldigen und barmherzigen Weg, auf dem Jesus uns mit seiner Freundschaft führt. Es gibt nur einen Weg, den schon die Jünger Jesu erfahren haben: Jesus besser kennen lernen, in seiner Freundschaft wachsen“. Die Kirche ist - wie gesagt – keine Gemeinschaft von Vollkommenen. Der Homosexuelle wird in der Gemeinschaft als ein Sünder sein. Aber nicht als ein Isolierter. In der Tat, wer, der zur christlichen Gemeinschaft gehört, kann behaupten, kein Sünder zu sein?

Was wir über die Homosexuellen sagen, gilt noch mehr für die wiederverheirateten Geschiedenen oder für die unverheiratet Zusammenlebenden. Es ist nicht leicht, ein völlig dem Evangelium entsprechendes Leben zu führen und niemand darf aus dem Leben der christlichen Gemeinschaft wegen seiner moralischen Schwäche ausgeschlossen werden.

Vergessen wir nicht, dass es nicht nur die sexuellen Sünden gibt. Da sind jene, die mit dem übertriebenen Streben nach Besitz und Macht kämpfen, oder mit der Herzensträgheit oder der Feigheit…Einige dieser moralischen Übel sind gesellschaftlich mehr sichtbar, andere weniger. Wenn alle Sünder von der Teilnahme am Leben der Kirche ausgeschlossen werden müssten, würden die Kirchen leer bleiben. Vielleicht sogar sind die Kirche heute gerade deshalb in Gefahr, leer zu bleiben, weil sich die Idee ausbreitet, dass sie kein geeigneter Ort für die Sünder sind. Dies deshalb, weil die Sünde in einer juridischen Sichtweise einfach als Regelverletzung gesehen wird, während die Wirklichkeit der Sünde nur im Licht der Offenbarung geklärt werden kann.

Aus der kirchlichen Gemeinschaft sind nicht die Sünder ausgeschlossen, sondern die Häretiker. Der Häretiker ist jemand, der aus seiner eigenen Schwäche das Maß aller Dinge macht und sich daher nicht als Sünder bekennt. Er ist jemand, der sagt, dass die moralische Norm verfehlt sei, nicht jemand, der anerkennt, nicht fähig zu sein, die Norm voll zu erfüllen und der sich doch der Barmherzigkeit Gottes anvertraut.

Schönborn hat Florian nicht als moralisches Beispiel bezeichnet, er hat ihn einfach als Mitglied der kirchlichen Gemeinschaft anerkannt, der in dieser einen bestimmten Dienst ausüben kann.

Wir brauchen alle eine Kirche, die unnachgiebig sagt, was gut und was böse ist. Aber sie ist zugleich barmherzig bei der unendlich geduldigen Begleitung des Schicksals eines jeden, weil am Ende nur Gott Richter ist – und von ihm wissen wir mit Sicherheit, dass er es liebt, zu verzeihen statt zu verurteilen.

Nur eine Sünde kann nicht verziehen werden und das ist der Hochmut, das heißt die Weigerung, auf die Knie zu sinken, sich als Sünder zu bekennen.

Eine Haltung der lehrmäßigen Unnachgiebigkeit im Hinblick auf die Homosexualität darf nicht von einer Haltung der menschlichen Ablehnung oder der Feindschaft gegenüber den Homosexuellen begleitet sein. Das scheint mir die Lektion zu sein, die in diesen Tagen aus Wien kommt.

Rocco Buttiglione ist ein christlicher Poliker der Unione di Centro (UdC) und einer von vier Vizepräsidenten der italienischen Abgeordnetenkammer. Der Gastkommentar erschien ursprünglich im italienischen Original in der Tageszeitung Il Foglio am 6. April 2012

KATH.NET: Rocco Buttiglione: Es ist falsch, schwul zu sein


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