Wie fromm war Karl May?

28. März 2012 in Kommentar


Er hat die Qualifikation zum evangelischen Vikar erworben, in den 10 meistgelesenen Büchern wird rund 60 Mal aus der Bibel zitiert, in seinen Werken geht es immer wieder um zentrale christliche Fragen. Von Heiko Ehrhardt


Chemnitz (kath.net/idea) Am 30. März vor 100 Jahren starb der Bestsellerautor Karl May. Nur wenige Bücher wurden im deutschsprachigen Raum in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten von so vielen Menschen gelesen wie die Werke des weltbekannten Sachsen. Doch Karl May ist nicht unumstritten: Der geniale Autor war in jungen Jahren ein Krimineller und blieb sein Leben lang ein Hochstapler. Gleichzeitig wird in vielen seiner Bücher eine tiefe, nahezu missionarische Frömmigkeit deutlich.

Dazu ein Beitrag von Heiko Ehrhardt, evangelischer Pfarrer im mittelhessischen Hüttenberg:

Woran denke ich beim Namen Karl May? Zunächst an lange, fast fiebrig verbrachte Lesenächte – natürlich mit der Taschenlampe in der Hand unter der Bettdecke. Und an die Eltern, die sich über den hohen Verbrauch an Batterien wunderten. Denn lesen durfte man ihn als Halbwüchsiger vor 40 Jahren nicht. „Zu brutal“ – das war das einhellige Urteil zu einer Zeit, in der allen Ernstes darüber diskutiert wurde, ob man „Asterix“ im Fernsehen ausstrahlen dürfe.

Brutale und zugleich tröstliche Geschichten

Zu brutal? Ja, durchaus. Von grässlichen Dingen war zu lesen: von Marterpfählen, vom Skalpieren, von üblen Verbrechern und Menschen, die von wilden Hunden zerrissen oder in einem ausgehöhlten Baum zerquetscht wurden. Was dazu führte, dass der einzige Weg, Karl May zu entdecken, eben gegen den Willen der Eltern unter die Bettdecke führte. Denn spannend – das waren seine Bücher allemal.

Dazu gab es ergreifende Geschichten von tiefer Freundschaft: Winnetou und Old Shatterhand; Kara ben Nemsi und Hadschi Halef Omar; oder auch jene drei berühmten „Westmänner“ – sie durchstreiften den „Wilden Westen“, ohne sesshaft zu werden –, die man das „Kleeblatt“ nannte, weil sie ausschließlich zusammen auftraten: Sam Hawkins, Dick Stone und Will Parker.

Von Schurken und der großen weiten Welt

Auf der anderen Seite waren wirklich miese Schurken: Santer, der Schut, der Mübarek oder der als Prediger getarnte „Prayerman“ – sie alle waren stets bereit für üblen Verrat und brachten „die Guten“ regelmäßig in Lebensgefahr. Immer wieder wird dabei von Rettungen erzählt, die mir wie Wunder anmuteten.

Zudem bekam man durch die Lektüre von Karl May ein Gespür für die „große weite Welt“. Es hielt auch dann noch an, als man – längst zum Erwachsenen gereift – erfuhr, dass der Autor die beschriebenen Orte entweder gar nicht gesehen oder nur als Tourist bereist hatte und dass alle Heldentaten seiner Fantasie entsprungen sind.

Erfolge im deutschen Nachkriegskino

Jedes Mal ein Augenschmaus waren die Karl-May-Filme der 1960er Jahre. Sie hatten zwar mit den Buchvorlagen wenig mehr gemein als die Titel, waren aber dennoch erste große Erfolge des deutschen Nachkriegskinos. Ihre bis heute anhaltende Wirkung zeigt sich daran, dass Bully Herbigs Karl-May-Parodie „Der Schuh des Manitu“ 2001 ein generationenübergreifender Erfolg wurde. In den USA laufen derzeit Planungen, die Werke Karl Mays noch einmal – diesmal in Amerika und mit großem Budget! – zu verfilmen. Die Popularität des Schriftstellers ist also bis heute ungebrochen.

Karl May war Bibelkenner …

Allerdings wurde in den Filmen fast ausgeblendet, dass Karl May tief im christlichen Glauben verwurzelt war. Er kannte die Bibel und das evangelische Gesangbuch genau und hatte sogar die Qualifikation zum Vikar erworben. In seinen Werken geht es immer wieder um zentrale christliche Fragen wie die Gültigkeit der Bergpredigt und der Bekehrung.

Oliver Gross untersuchte 1996 in seiner Diplomarbeit die 10 meistgelesenen Karl-May-Bücher. Fazit: Rund 60 Mal wird darin aus der Bibel zitiert – über die ganze Breite des Alten und Neuen Testaments; in 7 Büchern kommen Lob-, Dank- und Bittgebete vor. Dieses offenkundige Glaubenszeugnis lässt sich kaum ignorieren.

Karl-May-Lesern ist dies natürlich bewusst. Sie wissen, dass Winnetou mit dem Bekenntnis „Ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ“ auf den Lippen und mit einem von Karl May selbst getexteten und vertonten „Ave Maria“ in den Ohren starb.

Auf seinen späteren Lesereisen – die der erfolgreiche Autor im Kostüm Old Shatterhands bestritt (siehe Foto) und auf denen er gefeiert wurde wie ein Popstar – hat er sogar behauptet, er habe dem sterbenden Apachen-Häuptling eine Nottaufe gespendet. Diese Sicht kann nur seiner tiefen Verwurzelung im christlichen Glauben entsprungen sein.

Wir finden in Karl Mays Werk weitere Bekehrungsgeschichten – darunter die sehr eindrückliche von Old Wabble. Und selbst der hartgesottene Muslim Hadschi Halef Omar findet gemeinsam mit seiner Familie letztlich zum Glauben an Jesus Christus.

… der es mit der Wahrheit nicht genau nahm

Trotzdem bleiben Fragen an Karl May. Denn der Autor hatte keine Skrupel zu behaupten, alle seine Reiseerzählungen gäben seine wahren Erlebnisse wieder. Als Zweifel über seine Geschichten aufkamen, belog er seine Kritiker über Jahre hinweg mit unwahren Behauptungen – und verfolgte sie schließlich hart vor Gericht. Mit der Wahrheit als einem der zentralen biblischen Gebote nahm es Karl May offenkundig nicht besonders genau.

Zugleich verschwieg er, dass er als junger Erwachsener unter anderem wegen Diebstahls und Betrugs dreieinhalb Jahre im Zuchthaus Zwickau verbracht hatte – wo er wegen guter Führung zum Verwalter der Anstaltsbibliothek wurde und einen erheblichen Teil der Recherchen betrieb, die ihm nachher zugutekamen.

Nach einer erneuten Festnahme wegen seiner kriminellen Umtriebe und einem Fluchtversuch saß er von 1870 bis 1874 im Zuchthaus Waldheim (nahe Chemnitz) ein. Immerhin vollzog er hier – unter dem Einfluss des katholischen Anstaltslehrers Johannes Kochta – eine innere Kehrtwende.

Ebenso wird ihm übel genommen, dass der Lutheraner den Eindruck erweckt hatte, Katholik zu sein, so dass er ab 1879 seine Reiseerzählungen in der katholischen Wochenzeitung „Deutscher Hausschatz“ aus Regensburg platzieren konnte. Diese Veröffentlichungen schufen die Basis für seinen publizistischen Erfolg.

Umstritten ist Karl Mays philosophisch-mystisches Spätwerk, vor allem die Romane „Ardistan“ und „Der Mir von Dschinnistan“, die ihm den Vorwurf einer problematischen Religionsvermischung einbrachten. Doch sei auch hier festzustellen, schreibt Rainer Buck in seiner neu erschienen Biografie „Karl May – Der Winnetou-Autor und der christliche Glaube“, „dass der christliche Glauben und die biblische Heilsgeschichte immer das Leitbild aller Überlegungen Mays bleiben“.

Dass freilich bei seinem letzten, frenetisch gefeierten Wiener Vortrag „Empor ins Reich des Edelmenschen“ – eine Woche vor seinem Tod – neben der mit ihm befreundeten Pazifistin Bertha von Suttner auch der damalige Postkartenmaler (!) Adolf Hitler voller Begeisterung im Publikum saß, mag zutreffen oder auch nicht.

„Er bleibt für mich ein wunderbares Geheimnis“

Wer war Karl May? Ein Aufschneider genauso wie ein unglaublich fantasiereicher Schriftsteller, ein Christ auf der Suche nach Gnade und Vergebung sowie ein gnadenloser Rechthaber und übler Nachredner. „Er bleibt für mich ein wunderbares Geheimnis“ – diesem Resümee des May-Biografen Hans Wollschläger schließe ich mich an. Und schmökere immer wieder gerne rein in seine wunderbaren Romane.

Karl May: Leben und Werk

Karl May wurde als Carl Friedrich May am 25. Februar 1842 in Ernstthal nahe Chemnitz als 5. von 14 Kindern einer armen Weber-Familie geboren. 9 Geschwister starben bereits im Säuglingsalter. Mit 12 Jahren verdingte sich Karl als „Kegeljunge“ (Aushilfe beim Kegeln) und kam so in den Kontakt mit Heimkehrern aus Amerika, die von ihren Abenteuern erzählten.

Aufgrund einer Vorbestrafung musste May 1861 seine angestrebte Laufbahn als Lehrer abbrechen. Wegen verschiedener Delikte saß er zwischen 1865 und 1874 die meiste Zeit im Gefängnis und hatte viel Zeit für die Lektüre von Reiseliteratur. Anschließend begann er, als Schriftsteller zu arbeiten.

Seine ersten Erfolge feierte er nach 1879 durch den Abdruck seiner Reiseerzählungen aus dem Orient, den USA und Mexiko im „Deutschen Hausschatz“; 1892 kamen Mays erste Bücher auf den Markt, die seinen Weltruhm begründeten. Erst 7 Jahre später reiste er erstmals (!) in den Orient, 1908 (!) kam er als Tourist in die USA – wobei er den von ihm so bildgewaltig beschriebenen „Wilden Westen“ nicht besuchte!

Er gilt mit einer Auflage von mehr als 200 Millionen und Übersetzungen in über 40 Sprachen als einer der meistgelesenen deutschen Autoren. Karl May starb am 30. März 1912 in Radebeul nahe Dresden.

Trailer - Winnetou I





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