Brennende Kirchen? Religionsfreiheit und Strafrecht

27. März 2012 in Kommentar


Kirchenschändungen und andere Formen der Gewalt gegen Sachen sind mittlerweile praktisch an der Tagesordnung. Zur Rechtslage in Deutschland. Ein Gastkommentar von Stefan Kirchner


Frankfurt a.M. (kath.net) Seit der Wiedervereinigung ist Deutschland wesentlich säkularer geworden als es die Bundesrepublik in den Jahrzehnten zuvor war. Insofern wirkt das Erbe der sozialistischen Herrschaft in der DDR auch heute noch weiter. Während ein weitgehend säkularisiertes Christentum politisch toleriert wird und zur Unterstützung der Staatsführung herangezogen wird, sehen sich überzeugte Gläubige immer mehr Anfeindungen ausgesetzt. Überzeugung wird mit Intoleranz gleichgesetzt, Fehlverhalten einzelner wird einer ganzen Glaubensgemeinschaft angelastet, Jahrhunderte positiver zivilisationsbildender Leistungen werden angesichts tagesaktueller Nachrichten ignoriert.

Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum noch, dass der Aufruf, Kirchen anzuzünden, nicht weiter strafrechtlich verfolgt wurde, kath.net hatte berichtet. Kirchenschändungen und andere Formen der Gewalt gegen Sachen sind mittlerweile praktisch an der Tagesordnung. Gewalt gegen Personen ist dann nur der nächste Schritt. Um dieser Gefahr zuvor zu kommen ist es notwendig, dass die geltenden strafrechtlichen Normen, die dem Schutz der Religion dienen tatsächlich Beachtung finden. Aufgabe des Rechts ist es auch, die Schwächeren gegen die Stärkeren zu schützen. In der gegenwärtigen Lage finden sich überzeugte Gläubige häufig in einer Minderheitensituation wieder. Ohne das Vertrauen allein in diesseitige Einrichtungen wie den Staat zu setzen ist es doch notwendig, dass Gläubige mit den sie schützenden Rechtsnormen zumindest in Grundzügen vertraut sind.
Hierbei ist zunächst wichtig, zu verstehen, dass das Strafrecht nicht die religiösen Gefühle des einzelnen Gläubigen oder auch einer Vielzahl von Gläubigen schützt, sondern dem friedlichen Zusammenleben zwischen dem verschiedenen Religionsgemeinschaften (sowie der Nicht-Gläubigen) zu dienen bestimmt ist. Dies erklärt sich nicht nur aus der spezifischen deutschen Geschichte vor dem Hintergrund der Religionskämpfe, insbesondere vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges und des Kulturkampfs, sondern insbesondere auch daraus, dass strafrechtliche Normen klar sein müssen. Es muss klar sein, ob ein bestimmtes Verhalten einen Verstoß gegen das Strafrecht darstellt oder nicht. Wenn aber bereits die nicht ohne weiteres nachvollziehbaren oder erkennbaren religiösen Gefühle anderer Menschen Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit sind, so wird es häufig an der gebotenen Deutlichkeit fehlen. Dies mag aus Sicht des einzelnen Gläubigen, der oder die sich (im allgemein gebrauchten, nicht notwendigerweise im juristischen Sinne des Wortes) beleidigt fühlt, wenn über seine oder ihre Religion abfällig geredet wird, unzureichend sein, aus juristischer Sicht reicht dies aber nicht unbedingt für eine Strafbarkeit aus. Vielmehr bietet das deutsche Strafrecht eine ganze Reihe höchst unterschiedlicher Normen zum Schutz von Religionsgemeinschaften.

Das öffentliche Beschimpfen einer Religionsgemeinschaft oder ihrer Einrichtungen, Traditionen oder Lehren, so dass dergestalt dass der öffentliche Frieden gestört werden kann (§ 166 StGB), ist ebenso verboten wie die Störung gottesdienstlicher Handlungen (§ 167 StGB) oder von Bestattungen (§ 168 StGB). Ebenso ist es verboten, “an einem Ort, der dem Gottesdienst einer [...] Religionsgesellschaft gewidmet ist, beschimpfenden Unfug [zu] verüb[en]” (§ 167 Abs. 1 Nr. 2 StGB). In allen Fällen ist eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von maximal drei Jahren vorgesehen. Wichtig ist hierbei insbesondere die Voraussetzung in § 166 StGB, dass die Beschimpfung geeignet sein muss, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Hieran scheitert die Strafverfolgung häufig. Diese Einschränkung ist jedoch nach Ansicht vieler Experten aus juristischer Sicht notwendig, um einen Missbrauch der Strafnorm zu vermeiden. Es sei daran erinnert, dass es gerade nicht die einzelne Religionsgemeinschaft oder gar der einzelne Gläubige ist, der geschützt wird, sondern das friedliche Zusammenleben der Religionsgemeinschaften. Das Verbot des Beschimpfens einer Religionsgemeinschaft dient also allenfalls indirekt dem Schutz der Religionsgemeinschaften. Dies wird auch dadurch deutlich, dass sich eine ähnliche Formulierung im Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) findet.

An anderer Stelle finden sich jedoch präzisere Regelungen. So werden Gotteshäuser und beispielsweise liturgisch genutzte Objekte gegen Sachbeschädigung, Diebstahl oder Brandstiftung dahingehend besonders geschützt, dass höhere Strafen vorgesehen sind als für normale Fälle von Sachbeschädigung, Diebstahl oder Brandstiftung. Im Fall des Aufrufs, Kirchen anzuzünden, bedeutet dies, dass eine Anstiftung zur Brandstiftung in Betracht kommt. In Ermangelung einer tatsächlich erfolgten, zumindest versuchten, Brandstiftung kann aber auch die Anstiftung nicht bestraft werden, da es für die Strafbarkeit wegen Anstiftung einer Haupttat bedarf. Es muss also erst zu einer gewissen Gefährdung kommen, bevor das Strafrecht zum Schutz der Religionsgemeinschaften eingreift.

Das geltende Recht in der Bundesrepublik Deutschland bietet aus Sicht der Gläubigen sicherlich nicht den maximalen Schutz, der wünschenswert wäre. In einem religiös weitestgehend neutralen Staat, in dem Angehörige zahlreicher Religionsgemeinschaften leben, ist dies jedoch der Preis, den alle für die Sicherung des friedlichen Zusammenlebens zahlen. Angesichts der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft, und damit verbunden, der Politik, erscheint es unwahrscheinlich, dass sich an der gegenwärtigen Rechtslage in absehbarer Zeit etwas zugunsten der Religionsgemeinschaften ändern wird. Umso wichtiger ist es, dass die existierenden Regeln konsequent Anwendung finden.

Rechtsanwalt Stefan Kirchner ist Mitglied der Wahrheitskommission des Irantribunals in London und Rechtsanwalt in Frankfurt am Main in Frankfurt am Main www.humanrightslawyer.eu sowie Verfasser des Eintrags ”Religionsstrafrecht” in dem von Heinig/Munsonius herausgegebenen Handbuch „100 Begriffe aus dem Staatskirchenrecht“ (Mohr Siebeck, Tübingen, 2012).


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