27. Februar 2012 in Deutschland
Bei seiner Predigt zur Eröffnung der Frühjahrsvollversammlung der DBK forderte der Vorsitzende Zollitsch dazu auf, dem Papst nicht nur zuzuwinken, sondern seine Botschaft aufzunehmen.
Regensburg (kath.net/dbk) Bei der hl. Messe mit Papst Benedikt im Olympiastadion in Berlin fielen die zahlreichen gelben Schals auf, die Pilger aus Regensburg in den Himmel streckten und die sie freudig schwenkten, um unseren Heiligen Vater voller Begeisterung zu begrüßen. Nun kommt es darauf an, tiefer zu bedenken, was er uns sagte, und uns mit gleicher Offenheit auf die Botschaften seiner apostolischen Reise in seine Heimat einzulassen. Dies sagte Erzbischof Zollitsch, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), bei seiner Predigt anlässlich der Eröffnung der Frühjahrsvollversammlung der DBK in Regensburg.
kath.net dokumentiert die Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, beim Eröffnungsgottesdienst der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Dom St. Peter zu Regensburg am 27. Februar 2012
Lesungstexte: Lev 19,1-2.11-18; Mt 25,31-46
Liebe Mitbrüder im bischöflichen, priesterlichen und diakonalen Dienst, Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens!
Bei der hl. Messe mit Papst Benedikt im Olympiastadion in Berlin fielen die zahlreichen gelben Schals auf, die Pilger aus Regensburg in den Himmel streckten und die sie freudig schwenkten, um unseren Heiligen Vater voller Begeisterung zu begrüßen. Es war gut und mehr als angebracht, dass wir Papst Benedikt von Herzen willkommen hießen. Nun kommt es darauf an, tiefer zu bedenken, was er uns sagte, und uns mit gleicher Offenheit auf die Botschaften seiner apostolischen Reise in seine Heimat einzulassen.
Zur Überraschung Vieler setzte Papst Benedikt in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag bei der ökologischen Bewegung an, um von ihr aus den Bogen weiter zu spannen und auf den Menschen zu sprechen zu kommen. Es brauche nicht nur den Schutz der Natur und die Bewahrung der Schöpfung, sondern auch die Achtung der Natur des Menschen, ja wir brauchen eine Ökologie des Menschen. So sagte er: Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch machte sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur achtet, sie hört und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.
Der Mensch ist von Gott geschaffen, ausgestattet mit vielen Gaben und Fähigkeiten. Darin zeigt sich, wie Gott den Menschen gedacht und mit welcher Perspektive er ihn beschenkt und mit welcher Verantwortung er ihn ausgestattet hat. In der Natur des Menschen zeigt sich Gottes Wille und Auftrag. Wenn der Mensch entsprechend der von Gott gegebenen Natur lebt, dann wird sein Leben gelingen.
Gott hat den Menschen als Mann und Frau geschaffen. Sie sind aufeinander verwiesen und dürfen im Bund der Ehe von Mann und Frau sich beschenken und Leben weitergeben. Das Kind ist die Frucht der Liebe von Mann und Frau und soll in der Familie, in der Gemeinschaft von Vater und Mutter, aufwachsen und sich entfalten.
Jeder Mensch besitzt die ihm von Gott gegebene Würde. Jeder hat ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben, auf Bildung und Entfaltung seiner Persönlichkeit. Keiner ist nur Arbeitskraft; darum darf niemand einfach ausgenützt werden. Jeder trägt aber auch Verantwortung für sein Leben, für seine Gesundheit und das Miteinander in der Gesellschaft. Jeder Mensch ist von Natur aus verwiesen auf den Anderen. Schon die griechischen Philosophen der Antike kennzeichnen den Menschen als zoon politikon, als Gemeinschaftswesen, das sich nur in der Gemeinschaft entfalten kann. Wir leben nicht von uns und wir haben unser Leben nicht von uns. Wir verdanken es Anderen und sind angewiesen auf die Anderen, um leben zu können. So sind wir auch herausgefordert, Anderen gegenüber dementsprechend zu handeln.
Und die Frage, wie wir uns Anderen gegenüber verhalten, entscheidet über unser Leben, über Heil und Unheil, so sagt es uns Jesus im heutigen Tagesevangelium. Die entscheidende Frage wird sein, ob wir dem, der hungrig war, zu essen, und dem, der durstig war, zu trinken gegeben haben; ob wir den Fremden und Obdachlosen aufgenommen und dem Nackten Kleidung gegeben haben; ob wir den, der krank war, und den, der im Gefängnis saß, besucht haben. An der Liebe und am Dienst der Liebe entscheidet sich alles. Die Werke der Barmherzigkeit und Liebe, der Dienst der Nächstenliebe sind nicht fromme Zutaten in beschaulichen Stunden, sondern Ausdruck und Ausfluss der gottgegebenen Natur, der Ökologie des Menschen.
Papst Benedikt hat uns eingeladen, verstärkt den Blick zu schärfen für die Zeichen der Zeit und die Herausforderungen, vor die uns Gott stellt. Diesem Anliegen dient auch der geistliche Dialog, zu dem wir Bischöfe eingeladen haben. Wenn in diesem Jahr das Schwerpunktthema auf Bundesebene lautet: Diakonia. Unsere Verantwortung in der freien Gesellschaft, dann geht es uns darum, bewusst den Dienst von uns Christen an den Mitmenschen und an der Gesellschaft von Gott her in den Blick zu nehmen. Damit wollen wir gemeinsam in die Sehschule Jesu gehen.
Wie wird ein Mensch zu meinem Nächsten? Was damit gemeint ist, wird besonders eindrucksvoll deutlich im bekannten Gleichnis vom barmherzigen Samariter: Da liegt ein Mann, der unter die Räuber fiel ausgeplündert und wund geschlagen. Die ersten beiden, die vorbeikommen, sehen ihn und wollen ihn doch nicht sehen. Was tun sie deshalb? Sie gehen vorüber. Im griechischen Urtext des Neuen Testamentes steht hier das Verb antiparelten, das im Deutschen so viel bedeutet wie an der gegenüberliegenden Seite vorübergehen, einen weiten Bogen um jemanden machen, d. h. alles tun, dass ich ihm nicht zu nahe komme, dass er nicht mein Nächster wird.
Sind nicht auch wir immer in Gefahr, an den Sorgen und Notlagen der Anderen vorüberzugehen? Vielleicht haben wir uns zu sehr daran gewöhnt, dass es für alle Nöte und Bedürfnisse staatliche und kommunale Stellen gibt, die sich darum kümmern. Wir dürfen dankbar sein, dass es diese Stellen gibt, die helfen, unserer Gesellschaft ein menschliches Gesicht zu geben. Doch ist damit nicht auch die Gefahr gewachsen, dass wir Hilfeleistungen an Institutionen delegieren und uns selbst damit entpflichtet und zu wenig angesprochen und gefordert fühlen, wenn Hilfe nottut in Familie, Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz? Sind nicht auch wir in Gefahr, auszuweichen und einen weiten Bogen um die zu machen, die im Schatten des Wohlstands stehen und mit den Anderen, mit dem Mainstream nicht mithalten können und schlicht im Abseits bleiben?
Der Samariter handelt anders. Er macht keinen weiten Bogen. Er läuft nicht weg. Er macht sich nicht aus dem Staub, sondern, so heißt es wörtlich: Als er ihn sah, hatte er Mitleid mit ihm und ging zu ihm hin (Lk 10,33-34). Das Geschick des Anderen ergreift ihn, es bewegt ihn. Er sieht nicht nur mit den Augen, er sieht auch mit dem Herzen gut. Er braucht nicht viele Worte, er handelt, packt an und hilft. Es ist diese Zuwendung, die unser Leben und Zusammenleben erst reich und wertvoll macht.
Im heutigen Evangelium führt uns Jesus noch einen entscheidenden Schritt weiter. Zu denen auf der rechten Seite sagt er beim Endgericht: Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen. Zu denen auf der linken Seite wird er sagen: Ich war durstig und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben Ich war nackt und ihr habt mir keine Kleidung gegeben. Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. In den Kranken, den Hungernden, den Gefangenen tritt Christus in unser Leben. Sein Antlitz leuchtet in diesen Menschen auf. Jesus identifiziert sich mit jedem, der unsere Hilfe braucht, und zeigt uns damit, wie sehr der Dienst aus Nächstenliebe zu unserer menschlichen Natur und unserer christlichen Berufung gehört. Mit recht sagt Papst Benedikt in seiner Enzyklika Deus Caritas est: Der Liebesdienst ist für die Kirche nicht eine Art Wohltätigkeitsaktivität, die man auch anderen überlassen könnte, sondern er gehört zu ihrem Wesen, ist unverzichtbarer Wesensausdruck ihrer selbst. (DCE 25) Durch die Diakonie, durch die Nächstenliebe, die wir leben, wird unsere Liebe zu Gott und den Mitmenschen konkret und erhält ein Gesicht. Wir machen wahr damit, dass Gott uns im Nächsten begegnet, dass er in ihm in unser Leben tritt und uns anspricht, ja erfahrbar wird. Die entscheidende Frage, die Gott uns im Weltgericht stellt, ist, ob wir ihn in unseren Nächsten erkannt haben und ob wir ihnen beigestanden sind. Wir haben dann unserer von Gott geschenkten Natur, unserem Wesen gemäß gehandelt, wenn wir Gott im Bruder, in der Schwester in den Werken der Liebe gedient haben.
Liebe wird zum Dienst am Nächsten, doch sie ist nicht eingrenzbar auf die Menschen unmittelbar neben mir. Sie will die Gemeinschaft, die ganze Gesellschaft prägen. Darauf zielt denn auch das diesjährige Schwerpunktthema unseres Dialogprozesses: Diakonia. Unsere Verantwortung in der freien Gesellschaft. Wir Christen leben nicht nur in dieser Welt und dieser Gesellschaft. Wir haben einen entscheidenden Auftrag in ihr. Diakonia als Dienst an der Gesellschaft trägt uns auf, unsere Welt und die Gesellschaft in der wir leben, menschlich zu gestalten. Und dies heißt: sozial, solidarisch, gerecht getragen von Verantwortung und Sorge füreinander. Gerade in einer Gesellschaft, in der alles möglich zu sein scheint, gilt es immer wieder die tragenden Werte, die uns im Abendland prägen und von denen wir leben, einzubringen und mit Leben zu füllen. Zur Natur, zur Ökologie des Menschen gehört, dass er sich nicht selbst, sondern einem Anderen, dem Schöpfer, verdankt. Unser Leben ist Geschenk. Darum sind wir nicht Herren unseres Lebens. Das Leben steht unter dem Schutz eines Anderen. Darum haben auch wir es zu schützen von seinem Anfang bis zu seinem natürlichen Ende. Jedes Leben hat seine einmalige Würde von Gott. Ihr dienen und sie achten wir, wenn wir Kranke pflegen, wenn wir Behinderte in unsere Mitte nehmen, wenn wir für das Leben in allen Phasen und allen Situationen eintreten.
Die Freiheit jedes Menschen und die freie Gesellschaft sind ein großes Geschenk. Freiheit zeichnet das Wesen des Menschen aus, sie fordert ihn heraus, verlangt aber auch Verantwortung: Verantwortung eines jeden für sich selbst, Verantwortung für den Nächsten, den Mitmenschen, Verantwortung für die Gesellschaft und damit auch in der Politik. Freiheit ist stets auch die Freiheit des anderen. Sie ist Ausfluss der Würde des Menschen, die jedem zukommt; sei steht damit im Widerspruch zu Egoismus und jeglicher Selbstverabsolutierung. Sie findet ihre Grenzen an den Vorgaben Gottes und entfaltet sich im Eingehen auf diese Vorgaben und ganz entscheidend in der Liebe zum Nächsten und in der Verantwortung für die Gesellschaft.
Als pilgernde Kirche haben wir hier keine bleibende Heimat. Wir sind unterwegs zu jenem Ziel, das uns Gott verheißen und geschenkt hat. Darum dürfen wir uns in dieser Welt nicht festmachen und nicht festsetzen. So schauen wir denn als Pilger aus nach den Zeichen der Zeit, um sie im Licht des Evangeliums zu deuten und uns so den Weg zum Ziel, den Weg in die Zukunft zeigen zu lassen. Dazu gehört, immer mehr hörende Kirche zu werden. Der Aufbruch beginnt mit dem Hören. Je mehr wir aufeinander hören, je mehr wir gemeinsam auf Gott hören, ja im Hören aufeinander nach dem Willen Gottes fragen, desto mehr werden wir erkennen, welche Schritte und welchen Weg Gott uns führen will.
Im Hören aufeinander dürfen wir teilhaben am Glauben des Anderen, dürfen wir den Glauben teilen und mitglauben im Glauben des Anderen. Im Hören auf Gott und im demütigen Hören auf die Schwester, auf den Bruder, auf die kleine Gemeinschaft, finden wir die Kraft und die richtigen Worte zum persönlichen Zeugnis des Glaubens. Hier beginnt und wird realisiert, was das ganz besondere Anliegen unseres Heiligen Vaters ist: die Neuevangelisierung. In unserem Gesprächsprozess, so haben wir es im vergangenen Juli in Mannheim erlebt, wird Glaube geteilt und der eigene Glaube beschenkt und bestärkt durch die Erfahrung und das Zeugnis der Schwester, des Bruders im Glauben. Und nicht weniger geschieht dies durch unser Diakonia an der Gesellschaft und in den Werken der Liebe gegenüber dem Nächsten. Die österliche Bußzeit, an deren Beginn wir stehen, liebe Schwestern, liebe Brüder, lenkt unseren Blick nicht nur auf Ostern und damit auf die Fülle des Lebens, die uns verheißen ist. Sie lädt uns auch ein zu Besinnung und Umkehr. Ich lade Sie und uns alle ein, uns neu auf Gott auszurichten, vertieft aufeinander und gemeinsam auf Gott zu hören; dabei die eigenen Vorstellungen zurück zu stellen und vor allem nach Gottes Willen zu fragen. Er will uns führen und begleiten. Diese Zusage haben wir. Amen.
Foto: (c) Erzbistum Freiburg/Andreas Gerhardt
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