Medienarbeit der katholischen Kirche gehört komplett auf den Prüfstand

9. Februar 2012 in Interview


Interview mit Peter Seewald über Weltbild, Fundis und die Medienarbeit der katholischen Kirche: Weltbild muss nicht unbedingt verkauft werden, auch ein Umbau ist möglich


München (kath.net/rn/ps/red)
KATH.NET: Herr Seewald, die Weltbild-Debatte hält an. Inzwischen gibt es Stimmen, wonach Weltbild doch nicht verkauft, sondern in eine Stiftung umgewandelt werden soll. Was ist da dran?

Peter Seewald: Da müssen Sie andere fragen. Der Beschluss der Bischöfe zum Verkauf steht. Das andere ist, ob dieser Verkauf tatsächlich auch realisierbar ist. Sie können tausendmal beschließen, Ihr komfortables Haus zu verkaufen, aber wenn Sie keinen akzeptablen Käufer finden, nutzt Ihnen das gar nichts. Das Thema „Weltbild“ ist sehr komplex.

Vielleicht gibt es ja wirklich keine andere Möglichkeit als den Verkauf. Vielleicht könnte man aber auch ein bisschen kreativer damit umgehen, auch mit Blick auf die Belegschaft, für die man Verantwortung trägt.

KATH.NET: Wie meinen Sie das?

Peter Seewald: Ich meine das im Sinne eines ehrlichen, machbaren Umbaus. Die Ansage könnte doch auch lauten: „Macht was draus!“ Macht Schwerter zu Pflugscharen. Das Problem bei „Weltbild“ ist ja nicht an erster Stelle, dass hier pornografische Titel im Online-Angebot zu finden waren. Der eigentliche Skandal ist, dass hier ein Verlagshaus, das zu einhundert Prozent der deutschen katholischen Kirche gehört, mit Reifen fährt, denen jegliches Profil fehlt. Wenn in einem katholischen Buch-Katalog, der Monat für Monat drei Millionen Haushalte erreicht, kein einziges religiöses, geschweige denn ein katholisches Buch angeboten wird, wie jetzt gerade wieder im Januar-Katalog, dann kann da etwas nicht in Ordnung sein.

KATH.NET: Aber Sie selbst haben doch auch im „Weltbild“-Verlag veröffentlicht.

Peter Seewald: Und zwar mit ausgesprochen guten Erfahrungen. Ich wollte 2006 einen richtig guten, modernen Bildband über den deutschen Papst machen. Mit einem professionellen und verlässlichen Team bei „Weltbild“ war das möglich; noch dazu zu einem sensationell günstigen Verkaufspreis. Aber solche Projekte dürfen halt keine Eintagsfliegen bleiben, oder gar als Alibi dienen.

KATH.NET: „Weltbild“ gilt andererseits als nicht renovierbar.

Peter Seewald: Zum Katholischen gehört immer auch, etwas, das unheil, kaputt oder heruntergewirtschaftet ist, wieder zu richten. „Weltbild“ ist eine wertvolle Marke mit einer gewaltigen Infrastruktur, einem einzigartigen Vertriebssystem, dem großartigen know how seiner Mitarbeiter. Da frage ich mich: Kann man es sich wirklich leisten, in einer Zeit, in der wir von einer Verdunstung des Glaubens, ja sogar, wie Papst Benedikt anmerkt, von einer „Gottesfinsternis“ sprechen, in der sich die Entchristlichung von Kultur und Gesellschaft dramatisch fortsetzt, auf ein solches Instrument zu verzichten? Es geht hier ja nicht um Macht oder Ansehen der Kirche, es geht um Verantwortung für eine Gesellschaft, die immer rast- und ratloser wird und die gewissermaßen in vielen Bereichen in falsche Hände gefallen ist. Die Kirche hat gefälligst die Aufgabe, ihre Medizin nicht im Schrank zu behalten.

KATH.NET: Wie sollte das gehen?

Peter Seewald: Nur ein Beispiel: Wie lange schon wird allgemein die große Klage geführt, wir seien eine so furchtbare Ego-Gesellschaft geworden. Der Tanz ums goldene Kalb und die Habgier seien vorherrschende Merkmale geworden. Oder nehmen Sie die Zerstörung der Familienstruktur, die mehr und mehr zu einer demographischen Katastrophe und damit zum Zusammenbruch der Sozialsysteme führt. Da sind die schwierigen Fragen der Bio-Ethik. Da ist das Verschwinden der Freiheit. Selten gab es eine sich frei nennende Gesellschaft, die so gegängelt und manipuliert wurde.

Da ist etwa auch die allgemeine Konfusion, die zu einer Volkskrankheit zu werden droht. Niemand blickt mehr durch. Wir sehen, wie die sogenannten Experten, die Eliten, die Manager, die Medien und nicht zuletzt die Politiker herumtaumeln, falsche Prognosen geben und sich pausenlos korrigieren müssen. Vielfach sind eben auch die Dinge, die wir auf den Weg brachten, zu komplex, zu unübersichtlich geworden - obendrein in einer Welt, die jeglicher Manipulation freien Raum lässt und in der sich zwischen Original und Fälschung, zwischen Echt und Unecht, letztlich zwischen Wahrheit und Lüge kaum noch unterscheiden lässt. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass das Wort „Wahnsinn“ zur Hauptvokabel unserer Sprache geworden ist.

KATH.NET: Was hat das mit „Weltbild“ zu tun?

Peter Seewald: Sehr viel. Denn all diese drängenden gesellschaftlichen Fragen müssten doch auch ein Thema sein für ein Verlagshaus, das nicht zuletzt einem katholischen Bildungsauftrag verpflichtet ist. Die Zusammenhänge wieder aufzuzeigen, das gehört doch mit zur Aufgabe der Kirche, insbesondere ihrer Medienunternehmen. Hier könnte wieder deutlich gemacht werden: Leute, wir brauchen nicht nur einen Rettungsschirm für Banken und Staatsfinanzen, wir brauchen auch einen Rettungsschirm für unsere Seele. Wir brauchen nicht nur den Ausstieg aus der Atomenergie, sondern auch aus anderen gefährlichen Energien, den Ausstieg aus Prozessen, mit denen der Mensch wider die Ordnung der Natur agiert, und gerade auch wider seine eigene Natur.

Ein weites Feld.

Peter Seewald: Wenn wir über Christentum reden, dann reden wir eben nicht über ein Hobby, sondern, mit Blick auf die großen Testamente der Menschheit, über das Weltkulturerbe schlechthin. Religion ist eine öffentliche Angelegenheit. Der säkulare Rechtsstaat kann sich nicht aus sich selbst heraus begründen. Heute muss man wieder klarmachen, warum unsere Gesellschaft auf den christlichen Input nicht verzichten kann. Dass ein Zusammenhang besteht zwischen Glauben und Kultur, zwischen Glauben und Lebensart, Glauben und Recht, wie das Papst Benedikt in seiner Rede im Bundestag dargelegt hat, natürlich auch zwischen Glauben und Sitte, Glauben und Demokratie, Glauben und Wirtschaft.
Im Zuge einer Neuevangelisierung gilt es obendrein, wieder kampagnenfähig zu werden. So etwas wie die Occupy-Bewegung hätte doch eigentlich auch aus der Kirche kommen können, die im Grunde ihres Wesens eine progressive, fortschrittliche, gegen den Strom schwimmende Geschichte ist. Auf keiner einzigen Seite des Evangeliums steht bekanntlich der Satz: „Passt euch bitte der Welt immer besser an.“

KATH.NET: Immer wieder taucht der Vorwurf auf, katholische „Fundis“ hätten „Weltbild“ zu Fall gebracht. Die SZ sprach sogar von einem „Flashmob“.

Peter Seewald: Ja, und mit der Betonung auf Mob. Hier wird die Keule geschwungen, wie bei den Neandertalern. Wer ein solches Vokabular benutzt, hat die Regeln des demokratischen Anstandes über Bord geworden. Eigentlich ist zu fragen, warum der Fall „Weltbild“ nicht längst von jenen Journalisten ins Rollen gebracht wurde, die sich in ihren Blättern so gerne als „kritisch“ produzieren. Da hätte doch jemand sagen können: „Hey, was macht ihr da eigentlich?“

Also: Was, bitte, ist daran „fundamentalistisch“, wenn jemand ein Sortiment kritisiert, das nun wahrlich nicht zu dem passt, was die Kirche verkündet. Ein Sortiment, das im übrigen niemand als besonders hochwertig einstufen würde. Die Kritik an „Weltbild“ ist insofern ein Zeichen für ein kritisches Bewusstsein, für Wachheit und für den Mut, Authentizität einzufordern. Es ist ein Aufstand gegen die Mogelpackungen, gegen Profitdenken und Größenwahn. Man sollte dafür genauso dankbar sein wie über die Hygiene-Prüfer in jener Großbäckerei in München, die nun geschlossen wurde, um endlich die Betriebsanlagen zu säubern, die völlig verunreinigt waren. Auch hier wurden Beanstandungen sehr lange Zeit ignoriert.

KATH.NET: Der „Fundi“-Vorwurf kommt immer häufiger ins Spiel.

Peter Seewald: Und das spricht nicht gerade für eine zivilisierte, offene Debatte. Es erinnert mich an die Auseinandersetzung aus der Frühzeit der ökologischen Bewegung, als alle, die gegen Atomkraft, gegen Gift in Lebensmitteln und für einen ernsthaft betriebenen Schutz der Umwelt waren, als Fundamentalisten und Radikalinskis verunglimpft wurden. Heute hat sich das grüne Denken durchgesetzt.

Was die katholische Kirche betrifft, so ist hier eine ziemliche Begriffsverwirrung im Gange. Was ist heute eigentlich progressiv, und was ist rückschrittlich? Was führt in die Zukunft, und was führt ins Abseits. Die eigentlich Gestrige ist doch auch im kirchlichen Bereich ein Neoliberalismus, der, ähnlich wie der Neoliberalismus im Bankenwesen oder auch anderen Teilen der Wirtschaft – die so genannten „Heuschrecken“ – zu einer desaströsen Vernichtung von Werten führte. Progressiv hingegen sind heute jene Kräfte – ob in der Politik, in der Gesellschaft und eben auch in der Kirche – die gegen Zerstörung und für die Erhaltung der Ressourcen kämpfen, und dazu gehören eben auch die geistlichen Ressourcen, ohne die wir nicht leben können.

KATH.NET: Muss der Fall „Weltbild“ nicht auch als Synonym für die ganze Medienpolitik der katholischen Kirche in Deutschland gesehen werden?

Peter Seewald: Die Medienarbeit der katholischen Kirche gehört komplett auf den Prüfstand. Über Jahrzehnte wurden hier Entwicklungen völlig verschlafen. Es ist völlig unverständlich, wie in einer Zeit, in der sich der katholische Glauben mehr und mehr nicht nur einer kritischen, sondern vielfach einer ideologischen, offen antikatholischen Meinungsmache gegenübersieht, die eigene Öffentlichkeitsarbeit so vernachlässigt werden konnte. Ich frage mich, gibt es so was wie ein Medienkonzept überhaupt? Welche Gelder fließen wo hin? Wer kontrolliert, was damit gemacht wird und ob das, was hier geschieht, wirklich auch in Ordnung ist? Obendrein: Die Entchristlichung betrifft ja auch die Kirche selbst. Hier ist vielfach auch eine Wir-tun-nur-noch-so-als-ob-Religion entstanden. Manchmal auch aus Ahnungslosigkeit. Viele wissen ja gar nicht mehr, was katholischen Glauben eigentlich ausmacht.

Die Kirche in Deutschland verfügt über einen riesigen Apparat und über große finanzielle Mittel, man könnte zweifellos mehr daraus machen. Denn wir wissen doch, das Bild, das die Gläubigen von ihrer Kirche und nicht zuletzt von sich als Gläubige haben, das Bild, das Suchende und Außenstehende von diesem Glauben haben, wird auch davon geprägt, wie sich diese Kirche in ihrem Schrifttum präsentiert. Und ich denke, niemand wird widersprechen, wenn man sagt: da ist einiges zu verbessern.

KATH.NET: Herzlichen Dank für das Interview.


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