Die Kirche muss den Geist der 'Ecclesia militans' zurückgewinnen

19. Jänner 2012 in Aktuelles


Roberto de Mattei und die ‚ungeschriebene Geschichte des II. Vatikanischen Konzils’. Zu den Wurzeln der Glaubenskrise. Der Gregorianische Ritus – die wirksamste Antwort auf die Herausforderung des laizistischen Säkularismus. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Der römische Historiker und Publizist Roberto de Mattei, Jahrgang 1948, ist einer der herausragenden katholischen Intellektuellen Italiens. de Mattei ist Vizepräsident des „Nationalen Forschungsrates“ (CNR) und Vorstandsmitglied des „Historischen Instituts für die moderne und zeitgenössische Epoche“ sowie der „Italienischen Geographischen Gesellschaft“. Er lehrt als Professor für Geschichte der Kirche und des Christentums an der „Università Europea di Roma“, wo er die Fakultät für Geschichtswissenschaften koordiniert, und ist Mitarbeiter des Päpstlichen Instituts für Geschichtswissenschaften. de Mattei wurde mit dem Gregoriusorden für besondere Verdienste um die Kirche ausgezeichnet.

Im Jahr 2010 veröffentlichte de Mattei seine große historische Forschungsarbeit zum II. Vatikanischen Konzil unter dem Titel „Il Concilio Vaticano II. Una storia mai scritta“. Dieses Werk ist dank der verdienstvollen Anstrengung der „Edition Kirchliche Umschau“ seit Dezember 2011 in deutscher Sprache verfügbar („Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte“). Es bietet ausgehend von seiner Vorgeschichte eine rigorose Rekonstruktion des Konzilsereignisses, seiner Wurzeln und seiner Folgen auf der Grundlage der Präsentation und Analyse von Archiven, Tagebüchern, Briefwechseln und Zeugnissen von Protagonisten des Konzils. Obwohl es sich um eine Arbeit von hohem wissenschaftlichen Anspruch handelt, ist das Buch gleichsam mitreißend: es fällt schwer, sich der Faszination der „ungeschriebenen Geschichte“ zu entziehen.

Roberto de Mattei gehört zu den der Tradition verbunden katholischen Intellektuellen, ohne dabei als „Traditionalist“ eingeordnet und somit in eine Ecke gestellt werden zu können. Für Denker wie de Mattei bedarf es eines neuen Begriffs, der gerade die vielfältigen Entwicklungen der letzten Jahre innerhalb der Kirche am besten zusammenfasst: de Mattei ist ein „Traditionist“. Aus dem großen Atem der Tradition schöpfend und zutiefst dem Heiligen Stuhl und dem Papst verbunden nimmt der Historiker kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, sich aufrecht mit der aktuellen Krise der Kirche auseinanderzusetzen. Diese ist für ihn wie für Benedikt XVI. eine Glaubenskrise in der Gottesfinsternis der heutigen Zeit und Kultur, der der Historiker mit seiner Wissenschaft begegnet, um Grundsteine für den Weg einer wahren Reform zu setzen.

Im Rahmen eines ausführlichen Gesprächs nahm sich Roberto de Mattei viel Zeit, um seine Grundanliegen und auch Aussichten für die Zukunft zu erklären.

Herr Professor, warum ein Buch über das II. Vatikanische Konzil? Ist es Ihre Absicht, die Geschichte des Konzils neu oder einfach nur anders zu schreiben? Welche Methode haben Sie angewandt? Warum geht es um die „ungeschriebene Geschichte“ und worin besteht für Sie dagegen die „geschriebene Geschichte“?

de Mattei: Warum eine bislang ungeschriebene Geschichte? Weil die einzige geschriebene Geschichte, die bis zum heutigen Zeitpunkt soweit Verbreitung fand, dass sie als „die Geschichte schlechthin“ präsentiert werden konnte, aus den fünf Bänden von Prof. Giuseppe Alberigo besteht. Das Werk Prof. Alberigos, eines Schülers von Don Giuseppe Dossetti, fasst die Beiträge der sogenannten „Schule von Bologna“ zusammen. Das Werk Alberigos ist tendenziös, da es das Konzil als die Morgenröte eines neuen Zeitalters der Kirche, als Reinigung der Kirche von der Vergangenheit, als ihre Befreiung von der Tradition präsentiert. Gegen diese tendenziöse Geschichte reicht es aber nicht aus zu sagen, dass die Dokumente des Konzils in Kontinuität und nicht im Bruch mit der Tradition gelesen werden müssen – worauf sich die kirchlichen Hierarchien meist beschränken.

Ein Beispiel: Als Paolo Sarpi im Jahr 1619 seine heterodoxe Geschichte des Konzils von Trient geschrieben hatte, begegnete man ihm gerade nicht mit den dogmatischen Aussagen des Tridentinums. Sondern man setzte ihm eine andere Geschichte entgegen, die berühmte „Storia del Concilio di Trento“ („Geschichte des Konzils von Trient“), welche Pietro Kardinal Sforza Pallavicino (1656-1657) auf Anordnung von Papst Innozenz X. verfasste: denn die Geschichte ist mit der Geschichte zu bekämpfen, nicht mit der Theologie.

Ich hoffe, dass ich mit meinem Buch den Weg eröffnet habe, das Geschehene in wahrhaftiger und objektiver Weise „neu zu schreiben“: nicht nur betreffs der Ereignisse, die sich in den drei Jahren zugetragen haben, in denen das Konzil vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 stattfand, sondern auch in den vorangehenden wie auch den unmittelbar darauf folgenden Jahren, der Epoche der sogenannten „Nachkonzilszeit“.

Was waren die vornehmlichen Ergebnisse des Konzils unter einem theologischen und doktrinellen Aspekt sowie hinsichtlich des Glaubenslebens? Wie haben sich Stil und Art der christlichen Verkündigung geändert?

de Mattei: Als Johannes XXIII. das II. Vatikanische Konzil eröffnete, erklärte er, dass dieses ein pastorales und kein dogmatisches Konzil sei, da es sich zur Aufgabe mache, mit einer neuen pastoralen Sprache die beständige Lehre der katholischen Kirche vorzulegen. Die Erfordernis, eine neue Sprache für die Welt zu finden, entsprang – wie es nicht anders sein konnte – dem Verlangen, den Glauben zu verbreiten. Das Ziel also war praktischer Natur, und ausgehend von den praktischen Ergebnissen muss darüber geurteilt werden, ob die Mittel zur Erlangung des Ziels wirksam und angemessen waren. Die Tatsachen sagen uns leider, dass das Konzil nicht die Ergebnisse erreichte, die es sich gesetzt hatte. So entsteht das sogenannte hermeneutische Problem: etwas „ist schief gegangen“.

Handelt es sich nun um ein (von Paul VI.) „verratenes“ Konzil, wie dies die Schule von Bologna vertritt? Ein „schlecht angewandtes“ Konzil, wie viele Konservative denken? Oder ein Konzil, bei dem die Ursache seines Scheiterns in der von ihm benutzten Sprache begründet liegt, wie dies eine denkerische Richtung vertritt, die man „die römische“ genannt hat? Dies nicht wegen ihrer Entgegensetzung zu Bologna, sondern vielmehr aufgrund ihrer Verbundenheit mit Rom, also dem Heiligen Stuhl.

Ich gehöre zu dieser Schule, und ich denke, dass die Veränderung des Stils und der Art der christlichen Verkündigung im Sinne einer Anpassung an die Kultur des 20. Jahrhunderts der Kirche nicht gut getan hat. Sie hätte vielmehr die Welt „herausfordern“ müssen, ohne Ängste und Komplexe.

Seit Papst Benedikt XVI. in seiner Weihnachtsansprache an die Römische Kurie am 22. Dezember 2005 vom Gegensatz zwischen einer „Hermeneutik der Reform“ und einer „Hermeneutik der Diskontinuität oder des Bruchs“ gesprochen hat, bestimmen diese Begriffe die aktuelle Diskussion um das Konzil als Ereignis und in seinen Folgen. Ein Problem für die „Hermeneutik der Reform“ besteht in der Unterscheidung zwischen dem „Ereignis“ des Konzils, zusammen mit seiner Vor- und Nachgeschichte, und der „Produktion“ des Konzils.

Kann es eine Dichotomie zwischen den Lehren des Konzils und den sie erzeugenden Fakten geben? Was sind die Folgen, wenn eine derartige Trennung nicht statthaft ist?

de Mattei: Es ist statthaft, die beiden Aspekte des Konzils, das heißt die doktrinellen Dokumente und das Ereignis, voneinander zu unterscheiden. Sie dürfen jedoch nicht getrennt werden. Zu ersteren äußern sich die Theologen, zum zweiten die Historiker. Das letzte Ziel ist dasselbe, doch die Methode der Forschung ist im Fall der Geschichte auf die Wahrheit der Fakten, im Fall der Theologie auf die Glaubenswahrheiten anzuwenden. Der Glaube muss die Schritte des Historikers erleuchten, vor allem wenn die Kirche Gegenstand seiner Forschung ist, doch die Fragen, die der Historiker stellen muss, und die Antworten, die er zu geben hat, sind weder die des Theologen noch des Hirten. Der Anspruch, eine geschichtliche Arbeit mit zu anderen Disziplinen gehörenden Kategorien zu bewerten, ist also nicht allein ein epistemologischer Irrtum, sondern auf moralischer Ebene auch ein vorschnelles Urteil als Folge eines ideologischen Apriori.

Mir wurde vorgeworfen, die Dokumente des Konzils zu vernachlässigen oder sie mit dem Schlüssel der Diskontinuität mit der Tradition der Kirche zu interpretieren. Doch die Interpretation der Konzilsdokumente kommt den Theologen und dem Lehramt der Kirche zu. Was ich rekonstruiere, ist der historische Kontext, in dem jene Dokumente entstanden sind. Und ich sage, dass der historische Kontext, das Ereignis, keinen geringeren Einfluss in der Geschichte der Kirche hatte als das Lehramt des Konzils und das nachkonziliare Lehramt: der Kontext setzte sich selbst als paralleles Lehramt und beeinflusste so die Ereignisse.

Ich bin überzeugt, dass auf einer geschichtlichen Ebene die Nachkonzilszeit nicht ohne das Konzil erklärt werden kann, wie auch das Konzil nicht ohne die Vorkonzilszeit zu erklären ist, da in der Geschichte jede Wirkung eine Ursache hat und das Geschehen in einen Prozess eingeordnet wird, der oftmals sogar mehrere Jahrhunderte umfasst und nicht allein den Bereich der Ideen angeht, sondern den Bereich der Denkart und der Sitten.

Dass die Kirche in den letzten 50 Jahren in eine bisweilen dramatische Zeit der Krise getreten ist, dürfte niemand bestreiten. Worin liegen Ihrer Ansicht nach die Ursachen dieser Krise? Kann das Konzil als „Hauptursache“ für die Verdunstung des katholischen Glaubens angesehen werden?

de Mattei: Die Krise ist da, und meines Erachtens ist sie tiefgreifender, als man sich das vorstellen kann, wobei das Konzil nicht als deren einzige Ursache angesehen werden kann. Die Übel der Kirche gehen dem Konzil voraus, sie begleiten es und folgen ihm natürlich. Diese Übel der Kirche sind nicht mit dem Konzil entstanden, sondern vielmehr explodiert.

Es ist kein Zufall, dass mein Buch nicht mit dem Datum des Beginns des II. Vatikanischen Konzils anhebt, sondern mit dem Modernismus und mit der Analyse der theologischen und intellektuellen Irrtümer, die unter den Pontifikaten von Pius X. bis Pius XII. zutage getreten sind. Der Modernismus war vom heiligen Pius X. hart bekämpft und schwer getroffen worden. Nachdem er dem Anschein nach verschwunden war, tauchte er langsam und schrittweise wieder in der Geschichte der Kirche auf, mit immer größerer Arroganz, bis er in das II. Vatikanische Konzil einmündete.

Der Anspruch, das Konzil von jeglicher Verantwortung für die gegenwärtige Krise freizusprechen, um sie allein einer schlechten Lesart seiner Dokumente zuzuweisen, scheint mir eine intellektuelle Vorgehensweise zu sein, die gegen die Geschichte geht und der Kirche nicht einmal einen guten Dienst leistet. Wer anders wäre denn für diese schlechte Interpretation der Dokumente verantwortlich wenn nicht die auf das Konzil folgenden Päpste, die dies gestattet haben?

Ein Hauptpunkt der Auseinandersetzung mit dem Konzil kann in der Bestimmung der „Tradition“ ausgemacht werden. Wie definieren Sie das Verhältnis zwischen Lehramt und Tradition?

de Mattei: In seinem nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Verbum Domini“ hat Benedikt XVI. die Tradition zusammen mit der Heiligen Schrift als „die höchste Richtschnur des Glaubens“ bestimmt. Tatsächlich ist in der Kirche die „Richtschnur des Glaubens“ hinsichtlich dessen, was keinen definitorischen Rang besitzt, weder das II. Vatikanische Konzil noch das lebendige gegenwärtige Lehramt, sondern die Tradition, das heißt das unvergängliche Lehramt, das zusammen mit der Heiligen Schrift eine der beiden Quellen des Wortes Gottes bildet. Es wird unfehlbar mit dem Beistand des Heiligen Geistes vom Papst und den mit ihm vereinten Hirten gelehrt und vom gläubigen Volk geglaubt.

Es bedarf keiner theologischen Wissenschaft, um zu begreifen, dass im unangenehmen Fall eines – wahren oder scheinbaren – Kontrastes zwischen dem „lebenden Lehramt“ und der Tradition der Primat der Tradition zugewiesen werden muss, dies aus einem einfachen Grund: Die Tradition, die das in seiner Universalität und Kontinuität betrachtete „lebende Lehramt“ ist, ist an sich unfehlbar, während das sogenannte „lebende“ Lehramt – verstanden als die aktuelle Verkündigung des kirchlichen Hierarchie – dies nur unter bestimmten Bedingung ist. Die Tradition steht nämlich stets unter dem göttlichen Beistand; für das Lehramt trifft dies nur dann zu, wenn es sich außerordentlich äußert oder wenn es in ordentlicher Form in der Kontinuität der Zeit eine Glaubens- oder Sittenwahrheit lehrt.

Die Tatsache, dass das ordentliche Lehramt nicht beständig eine dem Glauben entgegengesetzte Wahrheit lehren kann, schließt nicht aus, dass dasselbe Lehramt nicht „per accidens“ dem Irrtum verfallen kann, wenn die Lehre in Raum und Zeit begrenzt ist und nicht in außerordentlicher Form spricht. Die von Benedikt XVI. in Erinnerung gerufene „Hermeneutik der Reform in Kontinuität“ kann nur als „Interpretation des II. Vatikanischen Konzils im Licht der Tradition“ verstanden werden, das heißt im Licht der göttlich-apostolischen Lehre, die in allen Zeiten fortdauert und ununterbrochen ist.

Ließe man dagegen zu, dass das II. Vatikanische Konzil das hermeneutische Kriterium für die Art ist, die Tradition zu lesen, so müsste paradoxerweise dem Deutungshoheit zugewiesen werden, was der Deutung bedarf.

Die Lektüre Ihres Buches lässt hervortreten, dass die Rolle Pauls VI. auf dem Konzil und in der Zeit danach gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Entgegen verschiedener Kolportierungen wird ein Papst sichtbar, der alles andere als zaudernd, sondern vielmehr zielorientiert und entschlossen handelt. Dies gilt im Besonderen auch für den Einfluss des Papstes auf die nachkonzilare Liturgiereform.

Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen einem Autoritarismus bei gleichzeitigem „Liberalismus“ im Denken und Wirken Pauls VI.?

de Mattei: Dieser scheinbare Widerspruch braucht nicht zu verwundern. In der Geschichte der Kirche begegnen wir oft Päpsten, die in ihren Ideen unnachgiebig, jedoch mild im Temperament sind, wie der selige Pius IX. oder der heilige Pius X. (dessen Motto „fortiter in re, suaviter in modo” lautete). Andere dagegen waren flexibler, was die Lehre betrifft, doch autoritärer im Charakter, wie Clemens XIV., der Papst, der im Jahr 1773 den Jesuitenorden aufhob.

Sicher ist: was zum Beispiel die Liturgiereform betrifft, war Msgr. Annibale Bugnini im Gegensatz zu dem, was viele meinen, nicht deren „Urheber“. Vielmehr führte er treu die Anweisungen Papst Montinis aus. Der persönliche Sekretär Msgr. Bugninis, Gottardo Pasqualetti, bestätigte mir persönlich, dass Paul VI. fast jeden Tag mit Bugnini zusammentraf, um mit ihm die – nach vorwärts oder rückwärts gerichteten – Schritte für die Verwirklichung der Reform abzustimmen. Meines Erachtens muss eine ernsthafte Biographie Pauls VI. erst noch geschrieben werden.

Das Konzil und der Kommunismus: wie beurteilen Sie die verfehlte Verurteilung des Kommunismus seitens des Konzils? Worin bestanden die Folgen, vor allem im Hinblick auf die Kulturrevolution der 68-Jahre? Kann man von einem Paradigmenwechsel in der Position der Kirche und ihres Lehramtes sprechen?

de Mattei: Die verfehlte Verurteilung des Kommunismus seitens eines Konzils, das sich die Auseinandersetzung mit den Problemen seiner damaligen Zeit vorgenommen hatte, scheint mir eine unverzeihliche Unterlassung zu sein. Die Konzilskonstitution „Gaudium et spes“ suchte den Dialog mit der modernen Welt in der Überzeugung, dass der von ihr zurückgelegte Weg, ausgehend vom Humanismus und Protestantismus bis hin zur Französischen Revolution und zum Marxismus, ein irreversibler Prozess sei. Tatsächlich aber stand die Moderne am Vorabend einer tiefen Krise, die dann in ein paar Jahren ihre ersten Symptome in der 68-Revolution offenbaren sollte.

Die Konzilsväter hätten mit einer prophetischen Geste die Moderne vielmehr herausfordern sollen als deren verwesenden Leib zu umarmen, wie dies leider geschah. Heute aber müssen wir uns fragen: wer waren die Propheten? Diejenigen, die im Konzil die brutale Unterdrückung durch den Kommunismus anzeigten und dessen feierliche Verurteilung forderten, oder jene, die wie die Initiatoren der „Ostpolitik“ der Ansicht waren, dass mit dem Kommunismus eine Übereinkunft, ein Kompromiss gefunden werden müsse, weil der Kommunismus das Streben der Menschheit nach Gerechtigkeit interpretiere und wenigsten ein oder zwei Jahrhunderte überlebt und dabei die Welt verbessert hätte?

Trotz eines „Befreiungsschlages“ in den letzten Jahren – nicht zuletzt auch bewirkt durch die Möglichkeiten der Vernetzung im Internet mittels der sozialen Medien, dessen Sie sich in breitem Maße bedienen – kann eine Unfähigkeit zu organisiertem und gemeinsamem Widerstand auf „konservativer“ Seite festgestellt werden: ein mangelnder „Kampfwille“, den auch Sie immer wieder hervorheben und der bis heute andauert.

Worin sehen Sie die Ursachen für diese Situation? Warum scheint es so schwer zu sein, dem Modernismus auf rationaler, philosophischer und theologischer Ebene zu begegnen?

de Mattei: Meines Erachtens besteht die Hauptursache der Niederlage der Konservativen und die Wurzel der Schwäche der Kirche in der heutigen Zeit im Verlust jener theologischen, für das christliche Denken charakteristischen Sicht, die die Geschichte bis zum Ende der Zeiten als unaufhörlichen Kampf zwischen den beiden „Städten“ im Sinne des heiligen Augustinus interpretiert: der Stadt Gottes und der Stadt Satans.

Als der kroatische Bischof von Split, Frane Franić, am 12. Oktober 1963 vorschlug, im Entwurf „De Ecclesia“ dem neuen Kirchentitel „peregrinans“ („pilgernd“) die traditionelle Benennung „militans“ („streitend“) hinzuzufügen, wurde sein Vorschlag abgelehnt. Das Bild, das die Kirche der Welt von sich bieten wollte, war nicht jenes des Kampfes, der Verurteilung oder der „controversia“, sondern des Dialogs, des Friedens, der ökumenischen und brüderlichen Zusammenarbeit mit allen Menschen.

Die Minderheit der Progressisten erlangte dabei nicht so sehr eine Änderung der Lehre der Kirche als vielmehr eine Ersetzung des hierarchischen und streitenden Bildes der Braut Christi mit dem Bild einer demokratischen, dialogisierenden und in die Geschichte der Welt eingegliederten Versammlung. In Wirklichkeit aber kämpft die Kirche, die im Fegefeuer leidet und im Paradies triumphiert, im Namen Christi auf Erden und wird daher „militans – streitend“ genannt. Diesen Geist neu zu finden scheint mit eine der dringenden Notwendigkeiten der Kirche unserer Zeit zu sein.

Abschließend eine Frage zur Liturgie. Der Erzbischof von Colombo, Malcolm Kardinal Ranjith, erklärte jüngst:

„Der Symbolismus der Liturgie hilft uns dabei, uns über das, was menschlich ist, zum Göttlichen zu erheben. In dieser Hinsicht, das ist meine feste Überzeugung, ist der Vetus Ordo in hohem Maße und in größter Erfüllung der mystische und transzendente Ruf zur Begegnung mit Gott in der Liturgie. Daher ist für uns die Zeit gekommen, nicht nur durch radikale Veränderungen den Inhalt der reformierten Liturgie zu erneuern, sondern auch immer stärker auf eine Rückkehr des Vetus Ordo hinzuwirken, der den Weg zu einer wahrhaften Erneuerung der Kirche bietet, wie sie die Väter des zweiten Vatikanischen Konzils so sehr erhofften.

Daher ist es jetzt an der Zeit, entschlossen auf eine wahrhafte Reform der Reform hinzuarbeiten und auch auf eine Rückkehr zu der wahren Liturgie der Kirche, die sich in ihrer zweitausendjährigen Geschichte in einem beständigen Fluss entwickelt hat. Ich hoffe und bete, dass das geschieht“ (Grußschreiben vom 24. August 2011 an die 20. Generalversammlung der Internationalen Foederation Una Voce in Rom, 5. – 6. November 2011).

Keine Erneuerung der Kirche ohne eine wahrhafte liturgische Erneuerung! Worin sehen Sie die Bedeutung der seit dem Motu proprio „Summorum Pontificum“ wieder mit vollem Heimatrecht in der Kirche ausgestatteten Liturgie der außerordentlichen Form des Römischen Ritus? Handelt es sich wirklich „um einen zweifachen Usus ein und desselben Ritus“ (vgl. Benedikt XVI., Schreiben anlässlich der Publikation des Motu proprio „Summorum Pontificum“, 7. Juli 2007) oder muss die heute „ordentliche Form“ als „Übergang“ zu jenen Ursprüngen gesehen werden, in denen die Zukunft liegt?

de Mattei: Das Heilige Opfer ist gewiss ein einziges, doch der „Novus Ordo“ Pauls VI. ist, wie mir scheint, sowohl im Geist als auch in der Form zutiefst verschieden vom alten Römischen Ritus. In letzterem sehe ich nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft der Kirche. Die traditionelle Liturgie bildet in der Tat die wirksamste Antwort auf die Herausforderung des laizistischen Säkularismus, der uns angreift.

Benedikt XVI. hat dem alten Römischen Ritus volles Bürgerrecht zurückerstattet. Ich bin sicher, dass dieser in der Kirche und in der Gesellschaft zu neuer Entwicklung und neuem Glanz gelangen wird. Die „Reform der Reform“, von der die Rede ist, hat Sinn und Wert nur als „Übergang“ des „Novus Ordo“ hin zum traditionellen Ritus und nicht als Vorwand zur Aufgabe des letzteren, der in seiner Unversehrtheit und Reinheit bewahrt werden muss.

Das Grundproblem scheint mir darin zu bestehen, eine theologische und ekklesiologische Sicht zurückzugewinnen, die in der Dimension des Transzendenten und des „Sacrum“ gründet. Das bedeutet, dass es notwendig ist, die Grundprinzipien der katholischen Theologie zurückzuerobern, angefangen bei einer exakten Konzeption des Heiligen Messopfers.

Darüber hinaus ist es notwendig, dass die Idee des Opfers die Gesellschaft in der heute weitgehend aufgegebenen Form des Geistes für das Opfer und die Buße durchdringt. Das und nichts anderes ist die „Erfahrung des Sacrum“, deren unsere Gesellschaft dringlich bedarf. Ohne sie ist es schwer, sich eine Rückkehr zur authentischen Liturgie vorzustellen, in deren Mittelpunkt die dem einzig wahren Gott gebührende Anbetung steht.

de Mattei, Roberto
Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte
Edition Kirchliche Umschau, 2011
Broschiert, 668 Seiten
ISBN 978-3-934692-21-3
36 Euro

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