12. Jänner 2012 in Spirituelles
Jesus sollte als das Lamm Gottes neu entdeckt werden und Ziel unseres Denkens, ja unserer Lebensweise sein. Ein Kommentar von P. Bernhard Sirch zum Sonntagsevangelium
Illschwang (kath.net)
B - 2. Sonntag im Jahreskreis. Erste Lesung: 1 Sam 3, 3b-10.19; zweite Lesung: 1 Kor 6, 13c-15a.17-20; Ev. Joh. 1,35-42.
Wir haben gerade im Evangelium gehört: "Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf Jesus und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte und folgten Jesus" (Joh 1,36.37). Es ist sonderbar, bereits der Hinweis auf das "Lamm Gottes" genügte und die beiden Jünger des Johannes folgten Jesus. Ich möchte mit Ihnen über diesen zentralen Ausdruck in der Verkündigung des Täufers Johannes nachdenken.
Wenn die Stimme aus dem Himmel nach der Taufe Jesu am Jordan sprach: "Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen" (Mk 1,11), so muß man sehen, daß der aramäische Ausdruck für Lamm und Kind gebraucht wird. Ein Kind ist in unseren Augen unschuldig wie ein Lamm, es hat keine Macht. Jesus macht sich nicht nur klein und zeigt sich uns als Kind, er ist auch unschuldig und machtlos wie ein Lamm. Wir sehen hier die Umdrehung aller unserer Werte und Vorstellungen: kein Königtum und Herrschen Gottes in unserem Sinn. Gott möchte uns dadurch den Zugang zu ihm erleichtern: Zu einem Kind, zu einem Lamm finden wir leicht einen Zugang. Christus, als Kind in Bethlehem geboren, ist das Lamm Gottes. Dieses verletzliche Jesuskind ist der Sohn Gottes.
Die Kirche bringt im Gloria den Namen "Lamm Gottes" in engste Verbindung mit dem Sohn Gottes, mit dem "Sohn des Vaters": "Herr und Gott, Lamm Gottes, Sohn des Vaters, du nimmst hinweg die Sünde der Welt". Dieses Gebet nimmt die Kirche nach dem Vaterunser auf in der dreimaligen Bitte: "Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt: erbarme dich unser", bzw. "gib uns deinen Frieden". Vor der Austeilung der hl. Kommunion spricht der Priester: "Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt". Im dritten Hochgebet betet die Kirche: "sie (sc. die Kirche) stellt dir das Lamm vor Augen, das geopfert wurde und uns nach deinem Willen mit dir versöhnt hat". In der Osternacht weist der Diakon im Exultet auf das alte Testament hin und verkündet: "Gekommen ist das heilige Osterfest, an dem das wahre Lamm geschlachtet ward, dessen Blut die Türen der Gläubigen heiligt und das Volk bewahrt vor Tod und Verderben".
Das Lamm, das Opferlamm spielt im Leben einer jüdischen Familie, und damit auch in Jesu Familie, eine große Rolle. Im 12. Kapitel des Buches Exodus (Auszug aus Ägypten) werden für die Familien genaue Anweisungen über das Paschalamm gegeben. "Am Zehnten dieses Monats soll jeder ein Lamm für seine Familie holen, ein Lamm für jedes Haus" (Ex 12,3). "Gegen Abend soll die ganze versammelte Gemeinde Israel die Lämmer schlachten" (Ex 12,6). "Und ihr sollt keinen Knochen des Paschalammes zerbrechen" (Ex 12,46).
Mit einer Selbstverständlichkeit feiert Jesus mit seinen Jüngern die Pascha-Feier: "Am ersten Tag des Festes der Ungesäuerten Brote, an dem man das Paschalamm schlachtete, sagten die Jünger zu Jesus: Wo sollen wir das Paschalamm für dich vorbereiten?" (Mk 14,12 ff. Lk 22, 7ff). Nun kommt aber das Entscheidende: Das Paschalamm ist in der Feier Jesu er selber. So sagt Paulus in 1 Kor 5,7: "denn als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden". Diesen Gedanken führt 1 Petr 1,19 fort: Ihr seid losgekauft worden "mit dem kostbaren Blut Christi, des Lammes ohne Fehl und Makel".
In der Geheimen Offenbarung ist das "Lamm" ein zentraler Begriff: "Würdig ist das Lamm, das geschlachtet wurde, Macht zu empfangen, Reichtum und Weisheit, Kraft und Ehre, Herrlichkeit und Lob" (Offb 5,12). "Die Rettung kommt von unserm Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm" (Offb 7,10). Die Theologie des Lammes nimmt in der Heilsgeschichte eine zentrale Stellung ein und verbindet uns mit dem Glauben des jüdischen Volkes. Johannes der Täufer nimmt die Gedanken des Alten Testamentes auf überträgt sie auf Christus.
Was ist kennzeichnend für das Lamm? Ähnlich wie beim Kind, ist es ein Zeichen der Reinheit und Unschuld, der Sanftmut und Gewaltlosigkeit. Der Prophet Jesaia vergleicht sogar das Verhalten des Schafes mit dem leidenden Gottesknecht: "Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf" (Jes 53,7). Auch Jeremia hebt hervor: "Ich selbst war wie ein zutrauliches Lamm, das zum Schlachten geführt wird" (Jer 11,19).
Vor allem in unserer Zeit, wo die Unversöhnlichkeit rivalisierender Völker immer neuen Haß und Grausamkeiten hervorrufen, sollte Jesus als das Lamm Gottes neu entdeckt werden und Ziel unseres Denkens, ja unserer Lebensweise sein. Christus wird von Johannes dem Täufer nicht als König, als Herrscher der Welt gekennzeichnet, sondern als Lamm Gottes. Diese Einstellung muß auch das Leben der Kirche, das Leben der Christen prägen. Die Gewaltlosigkeit des Lammes als Gegenpol zum Herrschen löst den Menschen, die Menschheit von innerer Verkrampfung und befreit sie. Die Kirche muß sich von Strukturen der Gewalt lösen. Christus, das Lamm Gottes, ist ein Programm für die Erneuerung der Kirche und auch für unsere Zeit, für unser persönliches Leben - im Umgang in der Familie, am Arbeitsplatz und mit unseren Freunden.
Christus, das Lamm Gottes, nimmt die Sünde der Welt hinweg und heilt die Menschen. Das Lamm Gottes versklavt die Menschen nicht, sondern die geknechteten, unterdrückten Menschen können hinzutreten zu ihm, dem Lamm Gottes; ihm sollen auch wir folgen, wie es die beiden Jünger im Evangelium taten. Jesus trat nicht mit Herrschaftszeichen auf, sondern legte alle Zeichen der Gewalt ab. "Johannes richtete seinen Blick auf Jesus und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte und folgten Jesus" (Joh 1,36.37).
Jesus, das Lamm Gottes würde auch heute noch Menschen faszinieren, so daß sie ihm folgen. Vor allem die Jugendlichen möchte ich ermuntern, Christus zu folgen, nachfolgen als Priester, im Orden, wie es die beiden Jünger Andreas und Simon taten. Die Jugendlichen, die von Christus, dem Lamm Gottes hören und ihm folgen, sich mit Christus, dem Lamm Gottes vereinigen und das Denken des Lammes Gottes übernehmen, müssen sich klar sein, dass sie als Lämmer auch verwundet werden können, bisweilen schwer. Nur der Blick auf Christus gibt Kraft für diese Nachfolge.
Jesus Christus, das Lamm Gottes, ist ein Gegenpol für die wirtschaftlichen und politischen Gewaltstrukturen, aber auch für die Macht und Dominanz der Medien, die Menschen mit der Blickrichtung auf einen einzigen Fehler fertig machen. Dies gilt in der Politik und Wirtschaft genauso wie in der Kirche. Was Menschen ihr ganzes Leben für Gott, für die Menschen, für die Gesellschaft getan haben, wird nicht mehr gesehen.
Schauen wir, wie Christus, das Lamm Gottes, in einer öffentlichen Angelegenheit reagiert hat: "Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war... Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du? ... Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie" (Joh 8, 3-7). Heute haben wir zwar keine Rückkehr zur Steinzeit, außer in muslimischen Staaten, wo Menschen heute noch gesteinigt werden, aber anstelle von Steinen werden heute Wortgeschoße verwendet, verstärkt durch Lautsprecher und Medien, die einen Menschen verächtlich machen und seelisch töten können. Wie zur Zeit Jesu gibt es auch heute noch "öffentliche Hinrichtungen". Christus sagt dazu: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein " (Joh 8, 3-7).
Täglich weist die Kirche bei jeder hl. Messe auf diesen gewaltlosen Jesus hin, wie oben aufgezeigt. Die Kirche muß ihre eigenen Machtstrukturen erneuern und muß nicht nur den Gläubigen bei der hl. Messe, sondern der ganzen Welt verkünden: "Seht das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt". Menschen, die von diesem Strukturwandel hören und sehen, werden sich wieder der Kirche und dem Staat zuwenden, wie es die Jünger im heutigen Evangelium taten.
Inwieweit ein Strukturwandel in Kirche und Staat möglich ist, liegt nicht bei uns. Versuchen sie aber vor allem in Ihrer Umgebung: in Familie und Beruf diesen Strukturwandel zu verwirklichen, sodass sich jeder Mensch in einer Gesinnung und Atmosphäre des Lammes geborgen weiß. Jeder Einzelne muß sich fragen: Setze ich meinen Willen mit Gewalt durch oder versuche ich in der Gesinnung eines Lammes eine friedliche, einvernehmliche Lösung zu finden und auf die Durchsetzung meines Willens zu verzichten. Viele Familientragödien, die bisweilen sogar eine Familie auslöschen, und sehr viel Leid von Menschen, die unter den Gewaltstrukturen in Familie und Betrieb leiden, könnten verhindert werden, wenn wir auf Jesus schauen, auf das Lamm Gottes.
Wer auf einen anderen Menschen zeigt, soll in seine Hand schauen; er wird feststellen, dass drei Finger zurückzeigen! So wird er in seinem Herzen feststellen, dass das Lamm Gottes durch himmelschreiende Sünden erneut auf Golgota gekreuzigt wird. Dieses Lamm Gottes ruft uns auch heute vor seiner Wiederkunft zu: "Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!" (Mk 1,15). Machen wir uns auf den Weg zum Christkind, dem Lamm Gottes.
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