Ein Kardinal als Telefonjoker

21. Dezember 2011 in Chronik


25 Schüler aus Bregenz und Liechtenstein haben eine Lateinarbeit im Vatikan geschrieben. Von Thomas Jansen (KNA)


Vatikanstadt (kath.net/KNA) «Sedete et laborate» - «Setzt euch und arbeitet», sagt Reinhard Peter. 19 Schülerinnen und 6 Schüler aus Österreich und Liechtenstein folgen der Aufforderung ihres Lateinlehrers und nehmen Platz an einem Ort, der für eine Klassenarbeit in diesem Fach geeigneter nicht sein könnte: der Antikensammlung der Vatikanischen Museen, dem «Museo Gregoriano Profano».

Zwischen Fragmenten antiker römischer Skulpturen müssen die Schüler am Dienstag aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzen. Unter den Augen einer Marmorstatue des griechischen Tragödiendichters Sophokles aus dem ersten Jahrhundert nach Christus befassen sich die Jugendlichen mit dem Text, der überhaupt erst die Grundlage für die christliche Zeitrechnung geschaffen hat: das Weihnachtsevangelium des Evangelisten Lukas.

«Puer natus est - ein Kind ist geboren» lautet das Motto des «Examen Publicum Vaticanum». Organisatoren dieser «öffentlichen Lateinarbeit» waren die Österreichische Botschaft beim Heiligen Stuhl, die Vatikanischen Museen und das Österreichische Kulturforum Rom.

Außer dem Weihnachtsevangelium müssen die Jugendlichen aus Bregenz und Liechtenstein auch einige Zeilen des heiligen Augustinus sowie aus der Christmesse von Papst Benedikt XVI. aus dem Jahr 2010 übersetzen. Insgesamt 900 Vokabeln mussten die Schüler dafür lernen.

Nach einer Viertelstunde wird Anna Helbok von Lateinlehrer Peter nach vorn gerufen: Die 15 Jahre alte Österreicherin darf ihren «Telefonjoker» anrufen. Was zunächst wie die Verwirklichung aller unerfüllten Schülerwünsche im Zeitalter von Pisa-Studie und «Wer wird Millionär» klingt, ist in diesem Fall jedoch Teil der Prüfung.

Denn die Telefonjoker, unter ihnen auch der deutsche Kurienbischof Josef Clemens, dürfen nicht etwa Rat in Zweifelsfragen geben, sondern dürfen selbst Fragen stellen. Zudem müssen sie einen lateinischen Satz übersetzen, der jedoch nicht in die Benotung der Schüler einfließt.

Annas Telefonjoker ist Kardinal Giovanni Lajolo (76), einst Apostolischer Nuntius in Deutschland und bis vor kurzem Regierungschef des Vatikanstaates. Er übersetzt ihr zunächst ein Stück aus dem Weihnachtsevangelium.

Statt einer lateinischen Vokabel will er dann jedoch lieber wissen, wo die Anruferin herkomme. «Aus Voralberg». «Beautiful», antwortet der Kardinal - weil zuvor vereinbart wurde, die Unterhaltung auf Englisch zu führen. Er hätte auch «perpulcher» sagen können.

Annas Sitznachbarin Mirjam Stranzl ist während ihres Gesprächs sehr aufgeregt. Schließlich ist ihr Telefonjoker gewissermaßen der oberste Dienstherr aller Professoren des Landes: der österreichische Unterrichtsminister Karlheinz Töchterle.

Vielleicht war das der Grund, warum Mirjam partout nicht auf das Wort «Diener» kam, als der Professor für Altphilologie fragte, was denn wohl «Minister» auf Deutsch heiße. Der Anfang ist noch korrekt: «Minister, ministri, männlich», sagt die 18-Jährige. Dann unterläuft ihr der Lapsus, sie sagt «Leiter» - und das, obwohl sich ihr Nachbar zur Linken, der Österreichische Gesandte beim Heiligen Stuhl, Karl Prummer, als wahrer Kamerad erwies und ihr die richtige Antwort zuzuflüstern versuchte.

Um 12.21 Uhr, eine gute Dreiviertelstunde ist mittlerweile vergangen, klingelt die Glocke abermals. «Examen Publicum Vaticanum finitum est», sagt Reinhard Peter. Mirjam und Anna müssen nun ihre Klassenarbeit abgeben.

Doch die Schülerinnen sind guter Dinge. Nein, ernsthafte Schwierigkeiten habe ihnen die Arbeit nicht bereitet. Die Nervosität sei jedoch größer gewesen als sonst angesichts all der Kameraleute und Fotografen.

«Wir hoffen, dass es gut gelaufen ist», sagt Anna. Auch die Mitschülerinnen machen nicht den Eindruck, als seien Lateinarbeiten für sie ein Horror. Nur Sophokles, der hätte wahrscheinlich Griechisch bevorzugt.

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Foto: © Vatikanische Museen, mv.vatican.va


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