Die Päpstin, die es niemals gab

19. Dezember 2011 in Chronik


Weshalb der Film über die „Päpstin Johanna“, den das deutsche Fernsehen heute Abend zeigt, eine frauenfeindliche Fiktion ist. Von Michael Hesemann


Düsseldorf (kath.net) Heute abend strahlt die ARD den Film „Die Päpstin“ aus, der auf dem gleichnamigen Roman der amerikanischen Feministin Donna Woolfolk Cross basiert. Sie behauptet, dass tatsächlich im 9. Jahrhundert eine Frau, als Mann verkleidet, auf dem Thron Petri saß; erst die Geburt eines Kindes, ausgerechnet während einer Prozession, habe sie entlarvt. Bloß eine frivole Fiktion? Oder könnte die Geschichte doch einen wahren Hintergrund haben?

Tatsächlich gibt es die Legende von der Päpstin Johanna in zwei Versionen.

Die erste stammt von Jean de Mailly, einem Dominikanermönch aus dem 13. Jahrhundert, und wird von Etienne de Bourbon (+ 1261), einem anderen Dominikaner, in seinem Werk „Die sieben Gaben des Heiligen Geistes“ zitiert. Dort heißt es, irgendwann „um das Jahr 1100“ habe eine kluge Frau gelebt, die, als Mann verkleidet, Zugang zur römischen Kurie fand, zunächst Notar, dann Kardinal und schließlich Papst wurde. Eines Tages, bei einem Ausritt, brachte sie einen Sohn zur Welt. Das aufgebrachte Volk band sie am Schwanz des Pferdes fest und ließ sie rund um die Stadt schleifen, bevor es sie steinigte und ihren Leichnam verscharrte. An dieser Stelle wurde, so de Mailly, ein Gedenkstein errichtet, auf dem geschrieben stand: "Petre, Pater Patrum, Papisse Prodito Partum" - "Petrus, Vater der Väter, offenbare die Kindsgeburt der Päpstin".

Die zweite Version finden wir in der Chronik des Martin von Troppau (Martinus Polonus, + 1278), einem päpstlichen Kaplan. Danach habe nach Papst Leo IV. (847-55) der Engländer Johannes von Mainz (Joannes Anglicus, natione Moguntinus) zwei Jahre, sieben Monate und vier Tage auf dem Thron Petri gesessen. Der Chronist weiter wörtlich: „Er soll, so wurde behauptet, eine Frau gewesen sein“. In jungen Jahren habe ihr Geliebter sie in Männergewändern nach Athen gebracht, wo sie sich große Gelehrsamkeit erwarb, schließlich nach Rom berufen wurde, um dort zu lehren. Dort schätzte man sie so sehr, dass man sie nach dem Tod Leos IV. zum Papst kürte. Sie wurde im Amte schwanger und kam schließlich „auf dem Wege von Sankt Peter zum Lateran“, der damaligen Residenz der Päpste, nieder. Bei der Geburt starb sie und wurde an Ort und Stelle begraben. „Sie wurde auch nicht in die Aufstellung der Heiligen Päpste aufgenommen, sowohl ihres weiblichen Geschlechtes als auch der Niedertracht ihrer Handlungen wegen.“

Ein anderes Manuskript dieser Chronik, in Berlin verwahrt, behauptet dagegen, sie habe die Geburt überlebt, sei abgesetzt worden und habe den Rest ihres Lebens Buße getan; ihr Sohn dagegen sei Bischof von Ostia geworden.

Seit dem 13. Jahrhundert glaubte man an die Geschichte von der „Päpstin Johanna“. Sie wurde in der Kathedrale von Siena dargestellt, in zahlreichen Schriften erwähnt und der Ketzer Jan Hus konnte sich auf sie berufen, ohne dass ihm widersprochen wurde. Die römische Kirche hat auch nie versucht, ihre vermeintliche Existenz zu vertuschen; im Gegenteil – man verließ sich auf Martin von Troppau, nahm sie sogar – wenngleich nachweisbar nachträglich - in das „Liber Pontificalis“, das „Buch der Päpste“ auf.

Erst im 15. Jahrhundert, mit Beginn der kritischen Geschichtsschreibung, erklärten Kirchengeschichtler wie Aeneas Silvius und Platina die Legende für unhaltbar. Trotzdem wurde sie von Martin Luther aufgegriffen und von da an fester Bestandteil protestantischer Polemik gegen das Papsttum. Im 20. Jahrhundert wurde Johanna als Frau, die sich in die ultimative Männerdomäne eingeschlichen habe, zur Heldin des Feminismus.

Die häufige Erwähnung der Päpstin in kirchlichen Quellen des 13.-15. Jahrhunderts deutet nicht gerade auf eine Verschwörung oder Vertuschung durch den Vatikan hin. Auffallend ist allenfalls, dass die beiden frühesten Quellen sich so auffällig – um ganze 250 Jahre! - in der Datierung ihres Pontifikats widersprechen.

Tatsächlich gibt es keine einzige zeitgenössische Quelle, die darauf schließen ließe, dass ein „Papst Johannes“ auf Leo IV. folgte. Freilich gab es einen Johannes VIII., doch er war Papst von 872 bis 882. Leos IV. Nachfolger dagegen war Papst Benedikt III. (855-858), dessen Pontifikat in eben jenen Zeitraum fiel, in dem die „Päpstin Johanna“ gewirkt haben soll. War dieser Benedikt III. vielleicht eine Erfindung der Vatikanchronisten, um die Existenz Johannas zu vertuschen?

Gewiss nicht. Denn immerhin gibt es Münzen aus dem ersten Jahr seines Pontifikats, die Benedikt III. zusammen mit dem am 28. September 855 verstorbenen Kaiser Lothar zeigen. Am 7. Oktober 855 erließ dieser Papst eine Charta für die Abtei Corvey. Seine Korrespondenz mit dem Erzbischof von Reims aus dem selben Jahr ist ebenfalls erhalten, außerdem ein Rundschreiben an die Bischöfe im Reich Karls des Kahlen. Auch der byzantinische Patriarch Photios I., der ein Gegner des römischen Papsttums war, erwähnt in seinen Schriften Leo und Benedikt als aufeinanderfolgende Päpste, nicht aber eine(n) Johann(a)(es). Benedikt III. ist also historisch bezeugt, Johanna nicht.

Doch weshalb glaubte man trotzdem im 13. Jahrhundert an die Existenz der Päpstin? Der Historiker Cesare Baronius hält den Mythos für eine Satire auf den historischen Papst Johannes VIII. (872-882), dem zu große Weichheit im Umgang mit dem Patriarchen von Konstantinopel vorgeworfen wurde. Tatsächlich nennt der Patriarch den Papst gleich dreimal ironisch „der Mannhafte“, als wolle er ihn ganz bewusst vom Stigma der Femininität befreien.

Nach einer anderen Erklärung war Marozia, die Mutter von Papst Johannes XI., das historische Vorbild der Päpstin. Die mächtige Adelsdame, Geliebte von Papst Sergius III. (904-911), hatte in den zwei Jahrzehnten zwischen 911 und 931 sieben Päpste auf den Thron Petri und wieder zu Fall gebracht.

Die plausibelste Erklärung aber lieferte der deutsche Historiker und Theologe Ignaz von Döllinger. In seinem Buch „Papstfabeln“ (München 1863) entlarvt er die Geschichte von der Päpstin Johanna als römische Volkssage, basierend auf der Entdeckung einer antiken Statue unweit des Kolosseums, die eine Frauengestalt mit einem Kind (vielleicht sogar eine Marienstatue mit Papstkrone) zeigte, versehen mit der Widmungsformel „P.P.P.“ (proprie pecunia posuit: Stellte die notwendigen Mittel zur Verfügung) und dem Namen des Spenders „Pap.(irius?), pater patrum“. Phantasievolle Römer lasen daraus „Petre, Pater Patrum, Papisse Prodito Partum“: „Petrus, Vater der Väter, enthülle die Niederkunft des weiblichen Papstes“. Es war nicht das erste Mal, dass der Volksmund wilde und oft auch frivole Geschichten um mehrdeutige antike Monumente erfand. Der aus Polen stammende und mit den römischen Eigenheiten wenig vertraute Martin von Troppau mag nicht gemerkt haben, dass ihm jemand mit der Geschichte einen Bären aufband.

Doch was ist mit dem ultimativen Beweisstück, das Abdallah in seiner Sendung präsentierte? In einer nicht der Öffentlichkeit zugänglichen Seitenkammer der vatikanischen Museen will der Vatikanjournalist Peter Stanford es gefunden haben: einen Porphyrthron, die „sedis stercoraria“, auf dem angeblich seit den Tagen Johannas ein neugewählter Papst Platz nehmen musste, während ein junger Kardinal nachfühlte, ob er tatsächlich ein Mann war.

Seine Form, die kreisrunde Öffnung in der Mitte, offenbart jedoch die wahre Funktion des Porphyrthrons: Es war ein antiker Toilettenstuhl („sedis stercoraria“ heißt, wörtlich. „Kotstuhl“). Erst die deftige Phantasie der Römer ließ daraus ein Instrument für einen päpstlichen Männlichkeitstest werden.

Fazit: Es gibt keinen, wirklich gar keinem Beweis für die Existenz einer Päpstin Johanna. Bei genauer Betrachtung erscheint ihre Geschichte dann auch gar nicht mehr realistisch. Soll wirklich eine so kluge und ehrgeizige Frau, endlich an ihrem Ziel angekommen, einen so entscheidenden Fehler gemacht haben, sich auf ein riskantes Liebesabenteuer einzulassen? Ist es wahrscheinlich, dass ihre Schwangerschaft neun Monate lang unentdeckt blieb? Wäre sie wirklich von der Geburt überrascht worden, hätte sie nicht ihr Kind heimlich zur Welt bringen können?

Die Geschichte von der Päpstin Johanna ist eine Fabel, nicht mehr und nicht weniger. Verwunderlich ist nur, dass sie sich gerade in feministischen Kreisen so großer Beliebtheit erfreut. Denn tatsächlich enthält sie frauenfeindliche Klischees aus dem finstersten Mittelalter: Das perfide Weib, das sich nur durch List und Betrug in die Männerwelt einschleicht, dann zum Opfer seiner Wollust wird und schließlich, nach der Enttarnung, die gerechte Strafe erhält: den Tod. Vielleicht war aber gerade das ein Motiv ihrer Erfinder: Die Geschichte sollte Frauen davon abschrecken, in vermeintliche Männerdomänen vorzudringen!

Und trotzdem hatte sie ihr Nachspiel. Im späten 13. Jahrhundert prophezeite der Sektengründer Wilhelm von Böhmen, dass in der Endzeit Frauen als Päpste regieren würden.

Nach seinem Tod 1281 wählten seine Anhänger die Gräfin Manfreda Visconti aus Mailand zu ihrer Päpstin; im Jahre 1300 wurde sie wegen Ketzerei zum Tod auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Als „Päpstin“ fand sie seitdem im Visconti-Tarot, einem esoterischen Kartenspiel, ihren Platz!

Vgl. auch: Armin Schwibach: Die 'Päpstin Johanna' – eine satirische Legende

KATH.NET-Buchtipp:
Michael Hesemann
Die Dunkelmänner
Mythen, Lügen und Legenden um die Kirchengeschichte
gebunden, 208 Seiten
EUR 20,50

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Michael Hesemann ist als Historiker und Autor auf Themen der Kirchengeschichte spezialisiert. Für seine Bücher forschte er u.a. im Vatikanischen Geheimarchiv, zu dem er seit 2009 eine Zugangserlaubnis besitzt. In seinem Buch „Die Dunkelmänner: Mythen, Lügen und Legenden um die Kirchengeschichte“ geht er u.a. auch der Sage um die Päpstin Johanna auf den Grund.


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