Alkoholsucht: Blaues Kreuz kritisiert Doppelmoral

18. Juli 2011 in Deutschland


Fachklinikleiter nimmt alkoholkranken Politiker in Schutz


Wuppertal (kath.net/idea) Eine „doppelte Moral“ beim Umgang mit Alkohol kritisiert der evangelische Suchthilfeverband Blaues Kreuz in Deutschland (Wuppertal). Der Anlass: Vor kurzem hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff (Ravensburg) bekannt, alkoholkrank zu sein. Die Immunität des 54-Jährigen wurde aufgehoben, weil ihm ein Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr und Unfallflucht bevorsteht. In den Medien wurde daraufhin breit über seine Sucht berichtet. Wie dazu der Leiter der Fachklinik Curt-von-Knobelsdorff-Haus des Blauen Kreuzes, Matthias Brecklinghaus (Radevormwald), auf der Internetseite seiner Organisation schreibt, akzeptiere die Gesellschaft einerseits den „unbegrenzten Umgang mit Alkohol in unkritischer Weise“; andererseits würden „Entgleisungen und problematische Entwicklungen bei Einzelpersonen“ unbarmherzig gebrandmarkt. Brecklinghaus fordert Respekt vor Schockenhoffs Bekenntnis: „Solche mutigen und persönlichen Stellungnahmen können vielleicht helfen, das Bewusstsein in unserer Gesellschaft hin zu einer kritischeren Sichtweise zu verändern.“

Führungskräfte sind besonders gefährdet

Wie der Sekretär des Blauen Kreuzes, Reinhard Lahme (Wuppertal), gegenüber idea sagte, seien Führungskräfte besonders alkoholgefährdet. Das gelte etwa für Politiker wie auch Pastoren oder Priester. Er erinnerte an die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende und hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann, die im Februar 2010 nach einer Trunkenheitsfahrt von ihren kirchlichen Leitungsämtern zurückgetreten war. Lahme: „Wer einen Führungsposten innehat, der ist oft einsam – und greift zur Flasche.“ In seiner Beratungsarbeit hätten immer wieder Theologen und Geschäftsführer die Hilfe vom Blauen Kreuz in Anspruch genommen. In den Gruppen der christlichen Suchtkrankenhilfe tauchten sie dagegen seltener auf. Wer Geld habe, könne sich oft auch einen eigenen Therapeuten leisten, erläuterte Lahme.

Suchtforscher: Berufe mit besonderer Gefährdungslage

Nach Angaben des Suchtforschers Prof. Michael Klein von der Katholischen Hochschule in Köln können „täglicher Stress, viel Verantwortung, Tabuisierung und oft auch Einsamkeit und Isolation“ dazu führen, dass Menschen zu Alkohol oder anderen Substanzen greifen. In manchen Berufsgruppen wie Politikern und auch Priestern sei „die Gefährdungslage einfach höher“, sagte der Psychologe in einem Interview.

Bundestag als Alkoholikerversammlung?

Dass Bundestagsabgeordnete kräftig dem Alkohol zusprechen, ist nicht neu. Bereits 1983 hatte der Grünen-Politiker Joschka Fischer erklärt: „Der Bundestag ist eine unglaubliche Alkoholikerversammlung, die teilweise ganz ordinär nach Schnaps stinkt. Je länger die Sitzung dauert, desto intensiver.“ Und der ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Kubicki (FDP) wechselte in die Landespolitik, um – wie er sagte – kein Alkoholiker zu werden. Der frühere Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU), der seit 35 Jahren dem Bundestag angehört, erklärte in einem Spiegel-Interview: „Ich kann mich an keinen sogenannten parlamentarischen Abend eines Verbandes, einer Botschaft, einer Lobby erinnern, bei dem das Alkoholangebot nicht reichhaltig war.“


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