Gewissensfragen

11. Juli 2011 in Familie


Sarahs Geschichte ist die Geschichte einer persönlichen Bekehrung. Doch als die Ärzte zur Abtreibung ihres Kindes raten, kommen die Zweifel. Am Ende wird ihr Gottvertrauen überreich belohnt - Von Sarah


Rom (kath.net/srh) Eine junge Frau, Ende 20, teilt sich mit ihrem Partner eine schöne Wohnung. Sie ist erfolgreich in ihrem Job, bezieht ein gutes Gehalt. Sie ist häufig unterwegs, trifft viele Menschen und lebt so in den Tag hinein. Es gibt kein weites Ziel. Immer nur, die nächste Präsentation gut hinter sich zu bekommen, bei den Kollegen und vor allen Dingen bei den Vorgesetzten gut dazustehen. Geld verdienen, Geld ausgeben. Zwischen vielen Arbeitsstunden, Fitnessstudio, Tennis spielen, Partys feiern und Freunde treffen packt sie noch irgendwie den Besuch der Heiligen Messe. Eine innere Pflicht ruft sie da regelmäßig hin, sie lässt am Schluss keinen Sonntag mehr aus, und wenn es geht, besucht sie die Messe zusätzlich unter der Woche. Sie hat keine Vorstellung, dass sie eigentlich nicht kommunizieren sollte, woher auch, es sagt ihr ja niemand. Wer spricht schon mit einem über den Glauben.

Schließlich gibt es eine Messe vor Ostern mit anschließender Beichtgelegenheit. Sie denkt sich, es gäbe eine ganze Latte zu beichten, ist sich aber nicht sicher, ob sie bleiben soll. Also zählt sie durch: "Ene, mene, Miste ..." und kommt bei einem Priester aus, bei dem niemand ansteht. Sie nimmt allen ihren Mut zusammen, geht hin und beginnt so, wie sie es von früher in Erinnerung hat: "Ich will meine Sünden bekennen, meine letzte Beichte war ..." Und dann sprudelt es aus ihr heraus.

Der Priester gibt keinen Kommentar ab, sondern spricht sie los. Sie absolviert ihr Bußgebet und verlässt schleunigst die Kirche. Sie hat das Gefühl, alle starren sie an, sie hat einen total roten Kopf. Draußen bricht sie zusammen, sie kann es nicht fassen, sie weiß nicht, ob sie weinen oder lachen soll. Sie hatte bei weitem noch nicht alles das, was sie hätte beichten müssen, gebeichtet, eben weil sie keine Idee hatte - und auch auf diese Beichte nicht wirklich vorbereitet war, aber sie wusste innerlich: Sie hatte einen Anfang gemacht. Als sie strahlend nach Hause kommt und ihrem Partner mitteilt, dass sie beichten war, quittiert er das mit einem Achselzucken.

Sie geht von da an regelmäßig in eine Kirche, in der sie keinen vermutet, der sie kennen könnte, zum Beichtgespräch. Sie beginnt, sich wieder mit den Geboten und den Kirchengesetzen zu beschäftigen. Einiges passt ihr nicht so; noch ist sie innerlich nicht bereit ihr Leben umzustellen. Ihr Partner findet, sie sollten heiraten. Eigentlich ist es ihr mittlerweile egal, ob sie weiter so zusammen leben oder nicht, aber sie stimmt dann doch zu. Sie heiraten zuerst still und heimlich standesamtlich, aber sie merkt, dass das für sie nicht zählt und auch ihr Partner versteht, dass sie kirchlich heiraten sollten. Er schenkt ihr aus Liebe seinen Wiedereintritt in die evangelische Kirche.

Wissen die beiden, was Liebe ist? Ein halbes Jahr vor der kirchlichen Trauung erkennt sie, dass sie konsequent sein muss. Sie geht zur Beichte und strahlt ihren Beichtvater an: Sie möchte ihr Leben ändern. Sie weiß zwar noch nicht wie, aber sie möchte ihr Leben ändern. Sie möchte hören und gehorchen, sie verspricht Enthaltsamkeit bis zur Ehe. Und dass Verhütungsmittel der Vergangenheit angehören. Sie ist wieder vollkommen in der Kirche angekommen.

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Ein Jahr später. Es ist nicht so einfach, das neue Leben, zu viele Verlockungen warten abseits des Weges. Durch die Eheschließung hat sich einiges verändert. Während man früher immer alles locker nahm und im Hinterkopf hatte, man kann ja jederzeit "abhauen", hat man nun eine andere Verantwortung dem Partner gegenüber. Konflikte werden auf einmal nicht mehr ausgesessen, sondern angegangen, was nicht so einfach ist. Beide machen Karriere und keiner will Abstriche machen. Und er meint auch noch, dass sie für das Essen und den Haushalt zuständig wäre, vorher wurde immer alles schön geteilt. Okay, es gibt sie wohl doch nicht, die Ehe auf Probe. Aber ansonsten hat sich nicht viel geändert, beide leben und lieben "ihre Freiheit". Es ist so einfach, großzügig und nett zu sein, aber ist man dadurch schon ein Christ?

Das ist die Frage, die sie oft beschäftigt. Dann kommt der Junggesellinnen-Abschied ihrer besten Freundin. Irgendwie fühlt sie sich komisch, deprimiert, sie trinkt etwas Alkohol. Ihre Freundinnen ermuntern sie, damit sie auf andere Gedanken kommt. Sie will sich nicht betrinken, irgendetwas stimmt nicht mit ihr, es ist eine fröhliche Party, aber sie ist nicht fröhlich. Sie bleibt, weil es ihre beste Freundin ist, anschließend schläft sie bei ihr ein paar Stunden auf dem Sofa, rafft sich früh auf und fährt - es ist Sonntag - zur Frühmesse in ein nahegelegenes Kloster. Am Freitag drauf hat sie sich freigenommen, sie will etwas zum Anziehen für die Hochzeit ihrer besten Freundin kaufen. Anschließend trifft sie sich mit einer anderen guten Freundin in einem Café. Ihr offenbart sie ihre Befürchtungen.

Sie glaubt, dass sie schwanger ist: Sie weiß nicht, was das jetzt soll, sie hat doch gerade ein Projekt angenommen, ein wichtiges, sie hatte doch noch um das Gehalt gepokert und gewonnen. Ihre Freundin, ebenfalls Typ Karrierefrau, meint, sie mit den Worten "Frauen wie wir werden nicht schwanger" beschwichtigen zu müssen. Sie hat für Montag einen Termin bei der Ärztin. Sie ist schwanger, sie kann damit nicht umgehen. Sie schwebt zwischen Freude und Angst. Ihr Mann freut sich. 14 Tage später, an einem Freitag, bei der nächsten Untersuchung sind keine Herztöne mehr zu sehen auf dem Ultraschall.

Die Frauenärztin erklärt das Kind für tot und stellt eine Überweisung für eine Ausschabung aus. In ihrem Kopf - und in ihrem Herzen - macht es Klick! Sie fängt an zu weinen. Sie will nicht, dass ihr Kind tot ist! Sie bittet die Ärztin, am Montag noch einmal vorbei kommen zu dürfen, sie möchte bitte noch ein Ultraschall machen, bevor sie in die Klinik soll. Sie fährt anschließend wie in Trance ins Büro, ruft ihren Mann an und bittet ihn, am Montag frei zu nehmen. Gegenüber den Kollegen sagt sie nichts, ist aber froh, dass sie ein Büro für sich alleine hat, weil ihr die Tränen pausenlos aus den Augen laufen. Das ganze Wochenende lang leidet sie unter Fress- und Heulattacken, ihr Mann steht ihr hilflos zur Seite. So etwas gab es ja auch nicht im Programm "Ehe auf Probe". Am Montag dann beim Ultraschall sagt die Ärztin: "Ach! Da sind ja wieder Herztöne. Dann kann ich Ihnen den Mutterpass ja ausstellen." So genau hört sie es, und ihr Mann und sie sind sprachlos vor Entsetzen wegen so viel Herzlosigkeit - aber auch glücklich über das Leben ihres Kindes.

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Natürlich verpflichtet sie sich, ihr Projekt bis zu ihrem Mutterschutz weiter zu machen und ihr Bestes zu geben. Sie weiß, dass sie sich an die Arbeitszeitregeln für werdende Mütter halten muss und arbeitet oft zu Hause weiter. Auch Reisen nimmt sie weiterhin wahr. In der 22. SW dann plötzlich gerät alles aus der Bahn. Bei einem großen Ultraschall wird eine "Abnormalität" festgestellt. Aufgrund persönlicher Kontakte können sie bereit am nächsten Tag in eine Uniklinik zur Untersuchung. Sie haben keine Ahnung was vorgeht, es kam alles so plötzlich über sie. Alle sind zwar sehr nett, aber irgendwie werden sie überrollt, die Beratungen erreichen ihr Gehirn nicht, es ist wie abgeschaltet.

Sie und ihr Mann müssen jede Menge Unterlagen unterschreiben, und obwohl sie sich immer sicher waren, dass sie keine Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) wollen, lassen sie jetzt eine machen. Es wäre egal, ob man sich für oder gegen den Abbruch entscheidet, aber in jedem Fall besser für das weitere Vorgehen, hören sie. Nach einer Ruhephase entlässt man sie endlich. Was sie verstanden haben, ist, dass sie am nächsten Tag anrufen können, ob es bei dieser einen Abnormalität - die allerdings auch zum Abbruch berechtigen würde – bleibt, oder ob noch weitere dazu kommen. Es fließen Tränen, man wagt nichts zu sagen, weil man nicht denken will oder gar das Falsche denken oder das Falsche sagen. Beide sind total überfordert mit der Situation. (Wo gab es das, bitteschön, in der Ehe auf Probe?) Keiner von beiden will Schuld sein, dass ein Kind, dass ihr Kind stirbt, natürlich: Aber hatte der Arzt nicht eben von einer immensen Belastung gesprochen? Dabei waren sie doch selbst bei der Demonstration und dem Rosenkranz fürs Leben in Köln gewesen!

Sie schmeißen alles, was in der letzten Stunde gesagt wurde, im Kopf durcheinander: "Diese Abnormalität ... eventuell eine Trisomie ... nicht lebensfähig ... Belastung ... Abbruch ..." Erst am nächsten Tag ordnen sich die Gedanken, vor allen Dingen ordnet sie die Gedanken, sie beginnt sich zu schämen: Hatte sie gestern wirklich den Gedanken gehabt, sich gegen das Kind zu entscheiden? Hatte sie wirklich darüber nachgedacht, wie schnell sie wieder voll zurück in ihrem Job wäre? Und dass das dann ja auch okay wäre? Hatte sie wirklich daran gedacht, dass sie dadurch finanziell keine Einbußen hätte, dass das Leben auch ohne Kind schön sei? Sie verdrängt, diese Gedanken gehabt zu haben, sie ist sich sicher, beide sind sich sicher, was auch immer ihr Kind hat, es ist ihr Kind - und es soll leben, so Gott es will! Sie sind später beide froh, dass sie die Entscheidung treffen, bevor der Anruf der Klinik kommt. Der Schnelltest hat ergeben: Es ist keine Trisomie 18 vorhanden, die bei der festgestellten angeborenen Besonderheit oft vorkommt, auch sonst keine Trisomie.

Gott ist in diesen Tagen wieder abstrakter geworden, sie ist so sehr mit sich selbst beschäftigt, stürzt sich in die Arbeit und versinkt in Selbstmitleid. Ein guter Freund stirbt, ihr Mann konvertiert, alles im Zeitraffer.

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Das Kind schreit, also lebt es! Das ist ihr erster Gedanke nach der Sectio. Es wird ihr nur kurz gezeigt - es ist hübsch, ihr Kind lebt und ist unglaublich hübsch! Ihr Kind! Sie liegt im Aufwachraum und ihr ist kalt. Ihr Mann ist weg, das ist okay so, er musste hinter dem Kinderkrankenwagen her fahren, weil es eine Menge zu unterschreiben gab. Sie beginnt zu beten. Sie weiß, dass jede OP ein Risiko ist - wie mag das dann erst für so einen Winzling sein? Immer wenn sie wach ist betet sie, einen Rosenkranz, zwei Rosenkränze, viele Rosenkränze.

Die OP verläuft gut und die Schwestern von der Intensivstation versprechen, zweimal am Tag bei ihr im Krankenhaus anzurufen. Obwohl sie Schmerzen hat, will sie so schnell wie möglich aufstehen, um ihr Kind sehen zu können. Drei Tage muss sie warten, dann erlaubt ihr Arzt endlich, dass sie sich rüber in die Kinderklinik fahren lassen darf. Sie ist überglücklich: Durch die kleine Öffnung im Inkubator kann sie ihre Tochter da streicheln, wo keine Schläuche sind - aber vor allen Dingen kann sie mit ihr reden! Sie kommt jeden Tag für zwei Stunden. Als ihre Tochter endlich von der Intensivstation runter ist, kommt sie morgens und geht abends. Nie im Leben würde es ihr einfallen, nicht da zu sein. Wenn ihr Kind schläft betet sie, wenn es wach ist, spricht sie mit ihm. Nach vier Wochen darf sie ihr Kind mitnehmen.

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Nach fast zweieinhalb Jahren wird ihr bewusst, was sie damals gedacht hat. Egal, wie schnell sie Mutter geworden ist: diese Gedanken, dieses Abwägen über ein menschliches Leben - alles kommt noch einmal zurück an die Oberfläche. Es quält sie. Und sie wird nicht richtig froh. Sie fragt sich, wie sie auch nur im Geringsten daran denken konnte, über ein menschliches Leben zu entscheiden. Ihr Gewissen quält sie. Sie war oft in der Zwischenzeit beichten, aber sie hatte das nie mit aufgenommen. Irgendwie hatte sie doch auch gar nichts falsch gemacht, oder?

Sie sucht einen Priester auf und bittet Gott um Vergebung für ihre Gedanken und ihr Wanken. Nicht nur das wird ihr gewährt, sondern der Priester bietet auch die Krankensalbung für ihre Kleine an, die noch einmal schwer operiert werden muss. Zwei Jahre lang hatte ihr Kind nicht durchgeschlafen. Jede Nacht ist sie aufgestanden und hat am Bettchen gebetet und gesungen, aber das ist nach der Krankensalbung schnell vergessen. Endlich schläft die Tochter durch. Überhaupt wird alles noch schöner.

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Wenn man sie fragt, ob es ein Wunschkind war, (Was für eine bescheuerte Frage!), dann lacht sie und sagt, "Nein, aber es ist das wünschenswerteste Kind auf der ganzen Welt!" Und sie fragt sich: Soll es überhaupt Wunschkinder geben? Sollte es nicht nur Kinder nach dem Plan Gottes geben? Alles, was von Gott kommt, ist gut! Das weiß sie jetzt.

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Sie sitzen zu dritt in einer Heiligen Messe. Das Evangelium vom Reichen und vom Nadelöhr. Der Priester sagt, es ist nicht schlimm, wenn man reich ist, man darf sich nur nicht davon in Besitz nehmen lassen. Man darf nicht nur besitzen wollen. Dies gelte für alles, nicht nur für Geld, sondern auch für Positionen, ja, auch für Menschen. Wir gehören alle Gott, deswegen können wir nicht meinen, jemanden besitzen zu können. Sie denkt: Das, was uns wohl am schwersten fiele zu verlieren, wäre unsere Tochter. Hilf uns, dass wir sie lieben können, ohne sie besitzen zu wollen. Sie sieht zu ihr rüber und weiß, dass es nicht so einfach ist. Aber sie weiß, wie weit Gott sie schon geführt hat - und hält nicht mehr viel für undenkbar.

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Sie hört, dass der Bundestag sich zu einem "verantwortungsvollen Umgang" mit der Präimplantationsdiagnostik für Deutschland entschieden hat. Sie weiß, dass das ein Widerspruch in sich ist. Sie ist dankbar, dass Gott es sie hat erfahren lassen. Aber sie weiß auch, dass es ein langer Weg war, bis sie es verstanden hatte.


Sarahs Gewissen


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