Warum immer mehr Menschen seelisch erkranken

22. Juni 2011 in Chronik


Klinikchef sieht wachsendes Lebenstempo und Bindungsverlust als Gründe


Oberursel (kath.net/idea) Psychische Erkrankungen treten so häufig auf wie nie zuvor. Das geht aus dem Gesundheitsreport 2011 der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) hervor. Laut dem Bericht zum Krankenstand von 2,6 Millionen Erwerbstätigen waren im Jahr 2010 Depressionen und andere psychische Krankheiten die vierthäufigste Ursache für Ausfälle im Beruf. Sie machten damit ein Achtel des gesamten Krankenstands aus. Psychisch Erkrankte hatten mit durchschnittlich 28,9 Tagen sehr viel längere Fehlzeiten als Patienten mit anderen Krankheiten. Der Ärztliche Direktor der Klinik Hohe Mark in Oberursel bei Frankfurt am Main, der Psychiater Prof. Arnd Barocka, sieht die Gründe für diese Entwicklung in den gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Die zunehmende Beschleunigung sämtlicher Abläufe des Lebens bringe neue Anforderungen mit sich, die viele als Überlastung empfänden. Insbesondere das Arbeitsleben habe sich geändert: „Wir arbeiten heute zwar weniger Stunden, dafür aber mit höherer Verdichtung und größerer geistiger Beanspruchung.“

In der Depression kein Frieden im Gebet

Der zweite Grund sei der zunehmende Bindungsverlust. In einer Gesellschaft, in der etwa Kirchen oder Vereine stetig Mitglieder verlieren, sei der Mensch nicht mehr in ein einheitliches System eingebunden. Barocka: „Viele wissen nicht mehr, wo sie hingehören. Wenn aber ein Mensch isoliert ist, besteht ein erhöhtes Risiko, dass er seelisch krank wird.“ Im Blick auf die Zunahme von Depressionen (von lateinisch deprimere: niederdrücken) sagte Barocka: „Bei dieser Erkrankung können wir keine Gefühle haben. Christen empfinden im Gebet keinen Frieden und stellen sehr verstört fest, dass Gott fern zu sein scheint.“ Alle abrupten Veränderungen wie zum Beispiel ein neuer Arbeitsplatz, ein Umzug oder gar der Tod des Partners seien kritische Lebensereignisse, die eine Depression auslösen könnten.

Mit „Burnout“ werden oft andere Krankheiten verschleiert

Auch das in den Medien häufig thematisierte Burnout-Syndrom (Ausgebranntsein) könne sich zur Depression entwickeln. Bei Burnout-Patienten ist dass Stress-System erschöpft, so dass sie sich ausgelaugt und resigniert fühlen. Laut Barocka können die Gründe in der Persönlichkeit des Patienten liegen: „Übertriebener Ehrgeiz und nicht Nein sagen können, machen für die Erkrankung anfällig.“ Im Alltag werde der Begriff Burnout jedoch häufig verwendet, um eine andere Krankheit zu verstecken: „Es gibt in der Praxis nur wenige echte Burnout-Fälle. Viele sagen nicht, dass sie eine Depression oder eine Angsterkrankung haben, sondern sprechen lieber von Burnout. Das klingt ehrenwert, weil es man denkt, dass sich der Betroffene sehr verausgabt hat.“

Dem Leben Stabilität geben

Eine Hilfe für Christen besteht laut Barocka darin, dass sie auf die Güte Gottes vertrauen und darum Verantwortlichkeit abgeben dürfen: „Wir sind Empfangende, die aus der Gnade heraus leben und nicht für alles verantwortlich sein können oder müssen – das ist eine große Entlastung.“ Darüber hinaus sei es hilfreich, dem Leben Stabilität zu geben, indem man durch Stille Zeit, Gebet und Orientierung am Kirchenjahr eine geistliche Struktur schafft. Auch die persönliche Glaubenserfahrung und Gemeinschaft mit anderen Christen gebe Halt in schwierigen Zeiten. Barocka: „Die persönliche Bindung an Jesus und die Anbindung an seine Gemeinde sind unerlässlich.“


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