Roma und Sinti: Nie wieder Misshandlungen, Ablehnung und Verachtung

11. Juni 2011 in Aktuelles


Benedikt XVI. erinnert an die Verfolgung der Zigeunervölker während des II. Weltkriegs und betont: Die verschiedenen Kulturen sind ein Reichtum für Europa. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Am heutigen Samstag empfing Papst Benedikt XVI. rund 2.000 Angehörige der Volksgruppen der Roma, Sinti, Kalé, Manusch, Jenische und Travellers in Audienz. Die Begegnung mit dem Papst bildete den Höhepunkt einer zweitägigen Wallfahrt der verschiedenen Gitanos anlässlich des 150. Geburtstages und 75. Todestages des Märtyrers Ceferino Gimenez Malla (1861-1936). Gimenez Malla starb während des Spanischen Bürgerkrieges und war am 4. Mai 1997 von Johannes Paul II. seliggesprochen worden. Die Vertreter der verschiedenen Volksstämme kamen aus rund 20 Ländern Europas.

Die Wallfahrt wurde vom Päpstlichen Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs sowie von der Gemeinschaft „Sant’Egidio“ organisiert. Im Anschluss an die Audienz bei Benedikt XVI. werden sich die Wallfahrer in der von der Gemeinschaft „Sant’Egidio“ betreuten Basilika San Bartolomeo auf der Tiberinsel treffen. San Bartolomeo ist das Heiligtum der Märtyrer der 20. Jahrhunderts. Aus diesem Grund wird der Basilika eine Reliquie des Roma-Seligen übergeben. Der Präsident des Rates, Erzbischof Antonio Maria Vegliò, hatte im Vorfeld der Audienz gegenüber „Radio Vaticana“ erklärt, dass der Papst seine besondere Sorge um die Minderheit der Sinti und Roma zum Ausdruck gebracht und diese bisher größte Begegnung persönlich angeregt habe. Es war das erste Mal, dass ein Papst eine so große Zahl von Vertretern der Völker Roma und Sinti im Vatikan empfing. Papst Paul VI. hatte sich 1965 mit einer kleineren Gruppe in Pomezia getroffen und sie 1975 in Castel Gandolfo empfangen. Während seines langen Pontifikats hatte Johannes Paul II. mehrmals die Gelegenheit wahrgenommen, mit Roma- und Sinti-Delegationen zusammenzutreffen.

In seiner Ansprache erinnerte Benedikt XVI. an das denkwürdige Treffen der verschiedenen Zigeunervölker mit seinem Vorgänger Paul VI., der am 26. September 1965 bei der heiligen Messe in der in Pomezia errichteten Zeltstadt die Neuheit der Begegnung betont habe, die ein „großes Ereignis“ und eine „Entdeckung anderer Art“ sei.

„Wie vielleicht nie zuvor entdeckt ihr heute die Kirche“, so Paul VI. in jenem Jahr „Ihr steht in der Kirche am Rand, doch in gewisser Hinsicht seit ihr im Mittelpunkt, im Herzen. Ihr seid im Herzen der Kirche“.

„Auch ich wiederhole euch voll Zuneigung: Ihr seid in der Kirche! Ihr seid ein geliebter Teil des pilgernden Gottesvolkes“, so Benedikt XVI. weiter. Auch zu diesen Völkern sei die Botschaft des Heils gelangt, auf die sie voll Glauben und Hoffnung geantwortet und die kirchliche Gemeinschaft bereichert hätten.

Die Geschichte dieser verschiedenen Völker sei komplex, so der Papst, und in einigen Zeitabschnitten schmerzhaft. Benedikt XVI. betonte, dass diese Völker in den vergangenen Jahrhunderten keine nationalistischen Ideologien erlebt und nicht nach Land oder der Herrschaft über andere Völker gestrebt hätten. „Ihr seid ohne Vaterland geblieben und habt im ideellen Sinn den ganzen Kontinent als euer Zuhause gesehen. Dennoch bestehen weiterhin schwere und besorgniserregende Probleme wie die oft schwierigen Beziehungen mit den Gesellschaften, in denen ihr lebt“.

Leider hätten die Völker im Lauf der Jahrhunderte „den bitteren Geschmack“ der Ablehnung und bisweilen der Verfolgung kennengelernt, wie dies während des II. Weltkrieges der Fall gewesen sei: „Tausende von Frauen, Männern und Kindern wurden auf barbarische Weise in den Vernichtungslagern getötet“, so der Papst.

Es habe sich dabei mit einem Wort der Sprache dieser Völker um den „Porrájmos”, „das große Verschlingen“ gehandelt. Dabei handle es sich um ein Drama, das noch wenig anerkannt sei und dessen Ausmaße nur mit Mühe erfasst werden könnten. Benedikt XVI. erinnerte an seinen Besuch im Konzentrationslager von Auschwitz-Birkenau am 28. Mai 2006. Dort habe er für die Opfer der Verfolgung gebetet und sich vor dem Gedenkstein in Romani-Sprache verneigt. Eindringlich betonte der Papst: „Das europäische Gewissen darf so viel Schmerz nicht vergessen! Nie wieder darf euer Volk Gegenstand von Misshandlungen, Ablehnung und Verachtung sein! Sucht eurerseits immer die Gerechtigkeit, die Legalität, die Versöhnung und strengt euch an, nie die Ursache des Leidens anderer zu sein!“

Heute befinde sich die Lage in einem Wandel. Neue Gelegenheiten würden sich den Völkern bieten, während diese ein neues Bewusstsein erwerben würden. Viele der Völker seien keine Nomaden mehr, sondern suchten Stabilität, verbunden mit neuen Erwartungen gegenüber dem Leben. Der Papst versicherte die Völker, dass die Kirche mit ihnen gehe und sie einlade, nach den anspruchvollen Forderungen des Evangeliums zu leben und für eine bessere Zukunft in die Kraft Christi zu vertrauen.

Auch Europa, das seine Grenzen abbaue und die Verschiedenheit der Völker und Kulturen als einen Reichtum ansehe, biete neue Möglichkeiten: „Ich lade euch ein, liebe Freunde, gemeinsam eine neue Seite der Geschichte für euer Volk und für Europa zu schreiben!“. Dabei seien die Suche nach Wohnung, einer würdigen Arbeit und der Ausbildung für die Kinder die Grundlagen, auf denen jene Integration geschaffen werden könne, die diesen Völkern und der ganzen Gesellschaft zum Vorteil gereichen werde.

Der Papst rief die Völker auf, die Würde und den Wert der Familien, die „kleine Hauskirchen“ seien, zu bewahren, „damit sie wahre Schulen der Menschlichkeit“ seien. Gleichzeitig sollten sich die Institutionen dafür einsetzen, diesen Weg in angemessener Weise zu begleiten. Abschließend erinnerte Benedikt XVI. die Völker daran, dass auch sie dazu berufen seien, aktiv an der Evangelisierung teilzunehmen und den Priestern und Ordensleuten, die ihnen entstammten, zu vertrauen.



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