Zu Besuch bei Nigerias lebendiger Kirche

2. Mai 2011 in Weltkirche


Obiora Ike, in Deutschland inzwischen bestens bekannt, zeigt einer Besucherin seine tägliche Lebenswelt. Ein Erlebnisbericht von Meggy Kantert / KIRCHE IN NOT


München (kath.net/KIN) Im Mai 2010 besuchte Meggy Kantert einen Begegnungstag des weltweiten katholischen Hilfswerks "Kirche in Not" zum Thema Nigeria. Was sie dort hörte, begeisterte sie. Und so folgte sie der Einladung von Monsignore Obiora Ike aus Enugu, ihn doch einmal in seinem Heimatland Nigeria zu besuchen. Eine Reise, die sie tief berührte.

Ankunft

Nach einem langen Flug, viel Chaos an den Flughäfen und einer abenteuerlichen Überlandfahrt mit dem Auto kommen wir endlich in Enugu im so genannten Peace House an. Obiora ist da und freut sich sehr über meine gute Reise. Wir essen zusammen - ich bin jetzt wirklich sehr hungrig - und es gibt Yamwurzel mit scharfer Soße. Dann fahren wir zum schönen Ofu Obi Africa Conference Centre. Hier soll ich einige Workshops und Trainings abhalten. Es ist wunderschön, grün, ruhig und großzügig angelegt.

Die Mitarbeiter begrüßen mich herzlich und zeigen mir stolz ihr schönes Zentrum, die gut ausgestatteten Zimmer und den großen Trainingsraum. Leider ist die Kapelle noch nicht fertig und so entscheide ich mich für das Peace House als Unterkunft, die Dreifaltigkeitskirche ist gleich gegenüber. Dort finden täglich mindestens zwei Heilige Messen statt: morgens und abends jeweils um 06:00 Uhr - beide sind sehr gut besucht.

Das Waisenhaus

An einem der nächsten Tage zeigt mir Obiora das Waisenhaus. Die Kinder stürzen sich sofort auf ihn, hier ist er offensichtlich ein geliebter Gast. Alle Kinder sind in einem einzigen Raum untergebracht, dort verbringen sie Tag und Nacht. Es gibt keinen Spielplatz, sie sind ständig dort, wo geschlafen, gegessen, gespielt, versorgt und betreut wird. Es sind weit mehr hungrige Mäuler als vorgesehen, da kein auf der Schwelle abgelegtes Kind abgewiesen werden soll. Dadurch ist natürlich auch der Platz für Besucher und Zeit für Projekte wie Weiterbildung und Betreuung der Mütter begrenzt.

Die Kinder machten einen ausgeglichenen, normalen Eindruck auf mich. Sie reagieren positiv und fröhlich auf unseren Überraschungsbesuch. Das Gespräch mit den betreuenden Schwestern bestärkt meinen Eindruck, dass hier christliche Nächstenliebe gelebt, gelehrt und das Beste aus der Überbelegung und den gegebenen Bedingungen gemacht wird. Meiner Meinung nach kann hier noch mehr und nachhaltiger geholfen werden, wenn sich die Bedingungen verbessern, mehr Räumlichkeiten zur Verfügung stehen oder das Außengelände genutzt werden kann. Sicherlich wird mit zunehmendem Wachstum der Millionenstadt Enugu die Nachfrage nach freien Plätzen steigen. Die Kinder leben unter armseligen Bedingungen, aber seht mal, wie fröhlich sie sind! Hier gibt es sehr viel zu tun, die Schwestern schlafen auf dem Boden und da mit harten Mitteln gegen Krankheiten und Ungeziefer geputzt wird, atmen sie die Gifte ein. Es gibt keinen Spielplatz und Spielzeug habe ich auch keines gesehen.

Ein Ort der Einkehr

Heute fahren wir zum CIDJAP (Katholisches Institut für Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden). Dort gibt es heute keinen Strom, so wird halt im Halbdunkel gearbeitet. Monsignore ist sehr beschäftigt, manchmal erinnert er mich an den Rattenfänger von Hameln - ständig eine Rotte von Leuten, die irgendetwas von ihm wollen, was nur er entscheiden kann. Er ist für so viele Projekte zuständig, zum Beispiel für die Baustelle des Ofu Obi Afrika Centers. Dort ist eine ganz wunderbare englische Schwester zuständig, die schon 45 Jahre hier lebt und sich ihren ganz eigenen englischen Humor bewahrt hat. Obiora zeigt mir, wo er die Kapelle geplant hat und die weiteren Meeting- und Schlafräume. Dieses Zentrum dient unter anderem für Einkehr- und Besinnungstage, aber auch zur Weiterbildung. Ich würde mir eine so schöne Tagungsstätte in Deutschland wünschen (ohne die Moskitos natürlich).

Christen aus ganz Nigeria halten hier Tagungen und Veranstaltungen ab, Laien wie Kleriker. Ein Fluss fließt durch das Gelände, dort soll demnächst eine Bank zur Betrachtung einladen. Es gibt einen Bereich mit Busch, aber auch liebevoll gepflegte Grünanlagen, für die Monsignore oft neue Blumenzwiebeln und Strauchsetzlinge mitbringt, damit es noch schöner wird. Einen Baum hat er eigenhändig gepflanzt und der spendet jetzt angenehmen Schatten vor dem Tagungshaus. Hier können sich Gäste sicher aufgehoben fühlen, es ist eine Oase des Friedens und der Ruhe in diesem krisengeschüttelten Land und besonders in dieser lauten, unruhigen, schnell wachsenden Metropole Enugu.

Besondere Anlässe

Heute fahren wir nach Owerri zu einer Ewigen Profess. Auf dem Weg dorthin gibt es vor uns einen Unfall. Ein Mann zieht an uns vorbei, der eine Kiste Bier trägt und sich auch gleich schon eine Flasche aufgemacht hat. Mitten im Busch! Wir erfahren, dass ein mit Bier beladener LKW einen Unfall hatte und nun ein großes Palaver begonnen hat. Alle wollen etwas von der Ladung abhaben und niemand kümmert sich um die gesperrte Straße oder die wartenden Autos. Wir drehen um und nehmen einen Umweg von vielen Kilometern in Kauf, denn das Palaver kann lange dauern. Wir kommen eine halbe Stunde zu spät, doch wir sind nicht die einzigen. Die Kathedrale von Owerri fasst etwa 3000 Menschen und so viele sind auch da. Elf Nonnen feiern Ewige Profess und es sind etwa 100 Priester dabei, die zwischen den Gläubigen sitzen, da es nicht genug Platz für sie gibt am Altar. Die Feier ist sehr bewegend und dauert vier Stunden.

Die Familien der Nonnen sind angereist und feiern ihre Töchter im wahrsten Sinne des Wortes mit Pauken und Trompeten: Es ist ein Wahnsinnslärm! Auf der Rückfahrt nehmen wir eine "Abkürzung" durch den Busch. Das Land ist wunderschön. Palmen, wohin man schaut. Zurück in Enugu stehen an der Straße ein paar Männer im "Adamsanzug", wie Monsignore so schön sagt, herum. Daran gewöhne ich mich nicht so schnell, aber auch das ist Afrika. An diesem Tag findet in Enugu eine christliche Veranstaltung mit 30.000 Menschen statt. Ich wollte es kaum glauben, doch wir haben Hunderte gesehen, die dahin strömten. Anbetung, Lobpreis und Tanz von 20:00 Uhr bis 05:00 Uhr morgens, jede Woche. Unglaublich, der Glaube lebt und stützt die Christen hier in Gemeinschaft – wunderbar!

Seminaristen in Not

Vor der Kirche halten mich heute zwei Jungs an: Sie wollen ins Priesterseminar, aber ihre Familien haben kein Geld. Ob ich ihnen helfen könnte? Sie sind schon lange Messdiener und besuchen immer den Katechismusunterricht. Tatsächlich gibt es zurzeit 15.000 Seminaristen in Nigeria, aber viele müssen abgewiesen werden, da nicht genug Geld und Platz vorhanden ist. Die Seminaristen leben und lernen zum Teil unter einfachsten Bedingungen, mehrere teilen sich eine Bibel und die Unterkünfte kennt man ja aus den Beschreibungen von "Kirche in Not". Eine liebe Spenderin habe ich schon gefunden und so ist zumindest einer der beiden jetzt schon glücklich im Knabenseminar.

Das Gefängnis

Schon zwei Wochen bin ich hier! Heute und morgen ist Feiertag, das hat die Regierung am vergangenen Montag plötzlich beschlossen und bekanntgegeben und alle freuen sich auf zwei freie Tage! Im Katholischen Institut für Entwicklung, Gerechtigkeit und Frieden geht das Konzept vieler Projekte unter einem Dach völlig auf. Alle Hilfesuchenden werden in ihrer jeweiligen Lebenssituation kompetent unterstützt.

Besonders die Anwältin, die für die Gefangenen zuständig ist, hat mich tief beeindruckt. Die Christen im Gefängnis von Enugu haben sich zu einer Gemeinde zusammengefunden und werden von Monsignore Obiora Ike und einem weiteren Gefängnisseelsorger betreut. Katechese und regelmäßige Gebetszeiten sind etabliert, einige besitzen einen (Plastik-)Rosenkranz. Ich besuchte einen Gottesdienst innerhalb des Gefängnisses und durfte erleben, wie viel Hoffnung die Christen durch ihren Glauben, die Gebete und die Unterstützung der Seelsorger erhalten. Hoffnung ist greifbar und es war bewegend, den wirklich tollen Chor, unterstützt von ein paar Instrumenten, zu hören und intensiv miteinander zu beten. Anschließend hatte ich die Gelegenheit, bei einigen Gesprächen dabei zu sein.

Einer der Insassen hält Katechese und kümmert sich um die Christen der kleinen Gemeinde. Er sorgte auch für Ordnung, da natürlich alle gerne mit Monsignore sprechen wollten, um ihren Fall persönlich vorzutragen und Hilfe zu erhalten. Also wurden die härtesten Fälle ausgewählt und diese bekamen die Gelegenheit zum persönlichen Gespräch. Die Geschichten dieser Menschen sind ergreifend. Viele sind seit Jahren in Untersuchungshaft – ohne Prozess. Ich konnte nicht allen Gesprächen folgen, aber unschwer von den Gesichtern ablesen, wie schwer das Leben innerhalb dieser Mauern ist. Ich wurde mehrfach um einfache Dinge wie Seife angebettelt. Die Menschen leben unter kaum vorstellbaren Verhältnissen – kein fließendes Wasser, keine Moskitonetze, schlechte oder keine medizinische Versorgung, wenig und schlechte Nahrung, Krankheiten und zum Teil Kleidung, die wir hier nicht mehr in die Sammlung geben würden. Dazu kommt, dass viel zu viele Menschen in zu wenigen und zu kleinen Räumen untergebracht sind. Es gibt kaum asphaltierte Stellen, man watet durch den Morast, wenn es, wie zur Regenzeit täglich, regnet. Alle sind auf einem Gelände untergebracht – wir begegneten Jugendlichen, Kleinkriminellen, Verbrechern, sowie bereits Verurteilten.

Ich konnte aber auch die Früchte der Unterstützung der Christen von "draußen" erkennen - Lebensmittelspenden der Gemeinde vor Ort, das Gebet der Christen in Nigeria und finanzielle Unterstützung helfen diesen Christen, ihren Glauben zu bewahren und ihn gerade dort zu finden - viele werden im Gefängnis getauft oder finden wieder zu Gott. So verbessert sich die Situation innerhalb der Gefängnismauern, da diese Menschen ihren Glauben weitertragen und ihre Situation mit Hoffnung und Zusammenhalt annehmen. Leider stehen zu geringe Mittel zur Verfügung und es kann nicht allen auch nur mit dem Nötigsten geholfen werden. Letzte Woche erfuhr ich, dass durch unsere Spende 5 Menschen Weihnachten zuhause feiern konnten, die ansonsten noch unberechtigt Jahre im Gefängnis zugebracht hätten.

Abschied

Sister Cecilia bringt mir zum Abschied zwei selbstgemachte Rosenkränze vorbei. Einen für mich und einen für meine Mutter. Beide sind so kitschig, dass Obiora sehr breit lächelt, als er sie segnet. Am Abend bekomme ich zum Schluss noch einen afrikanischen Namen: Ngossi Ijeoma. Das bedeutet: Ein Segen, eine Gute.

"Kirche in Not" unterstützt die Arbeit der Kirche in Nigeria. Helfen auch Sie!

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Foto: © Kirche in Not / Meggy Kantert


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