Amy Grant: Aufstieg und Fall eines christlichen Superstars

26. Juli 2002 in Jugend


25 Jahre im christlichen Musikgeschäft. Amy Grant revisited. Eine Reportage von Markus Spieker für idea


Als “Michael Jackson der Gospel-Szene” hat die Tageszeitung New York Times die Sängerin Amy Grant bezeichnet. Der Superlativ paßt. 20 Millionen Tonträger hat sie verkauft. Fünfmal wurde sie mit einem Grammy ausgezeichnet, dem wichtigsten Musikpreis der Welt. Als erste fromme Interpretin schaffte sie es auf Platz 1 der internationalen Verkaufshitparaden. Seit 25 Jahren, als sie ihre erste Platte aufnahm, ist Amy Grant nicht wegzudenken aus dem . Anläßlich ihres Karriere-Jubiläums hat sie eine neue, mittlerweile ihre 17., CD herausgebracht: “Legacy”, (Vermächtnis). Der Rückblick auf ihre Laufbahn stimmt freilich etwas wehmütig. Denn das Brave-Mädchen-Image hat zuletzt einige Kratzer bekommen. Auch das hat sie mit dem skandalerprobten Michael Jackson gemeinsam: Auf den Auf- folgte der Abstieg.

Vielleicht ging am Anfang alles zu glatt: Amy Grant wuchs im US-Bundesstaat Georgia auf, der Herzregion des amerikanischen “Bibelgürtels”. Sie war die älteste von vier Töchtern eines erfolgreichen Krebs-Spezialisten, besuchte die evangelische “Church of Christ”. 1977 schickte die damals 16jährige eine Demo-Kassette mit selbstgeschriebenen Songs an eine Plattenfirma. Prompt bekam sie einen Vertrag. Ihr Debütalbum verkaufte sich 250.000 Mal. 1979 katapultierte sie der Song “My Father’s Eyes” auf Platz 1 der christlichen Hitparaden. Drei Jahre später gelang ihr der endgültige Durchbruch mit der Platte “Age to Age”. Darauf befanden sich die modernen Lobpreis-Klassiker “El Shaddai” und “Sing Your Praise to the Lord”, die selbst hartnäckige Traditionalisten mit dem trendigen Sound versöhnten.

Die säkularen Kritiker rümpften zwar immer noch die Nase über den seichten Sakral-Pop, aber mit den Nachfolge-Alben “Straight Ahead”, “Unguarded” und “Lead Me on” räumte Amy alle Zweifel an ihrem künstlerischen Kaliber aus. Im Zentrum der Texte stand immer noch Gott, aber der Klangteppich war rockiger, kantiger. Auf der Plattenhülle zu “Unguarded” zeigte Amy Grant einen sexy Hüftschwung und eine Jacke mit ultra-coolem Leopardenmuster. In einem Interview mit dem Musikjournal “Rolling Stone” plapperte sie offenherzig über das Nacktbaden in Südafrika und über die sexuellen Bedürfnisse moderner Christen. Starker Tobak für den “Bibelgürtel”, aber durchaus verkaufsfördernd. Was den Star vom Heiligen unterscheidet, ist schließlich die emotionale Nähe zu seinen Fans. Und die identifizierten sich gerne mit der koketten Südstaaten-Schönheit, die fromme Hingabe mit unbekümmerter Lebenslust verband. Endlich eine von ihnen, die auch jenseits des Kirchenghettos Anerkennung fand! 1987 stand Amy Grant mit “Next Time I Fall” an der Spitze der amerikanischen “Top 100”, allerdings nur als Begleitsängerin des Rock-Veteranen David Cetera. 1991 schaffte sie es dann solo. “Baby, Baby” wurde zum Sommerhit des Jahres. Christen von Sao Paulo bis Stuttgart, stolz auf die erfolgreiche Glaubensschwester, trällerten den Ohrwurm-Refrain ausgelassen mit.

Der 30jährigen Amy Grant lag, buchstäblich, die Welt zu Füßen. Das Boulevardmagazin “People” wählte sie unter die “50 schönsten Menschen der Erde”. Derartig breiten Zuspruch bekommt man meistens nur, wenn man auf Tiefgang verzichtet. Je höher Amy Grant in den Hitparaden stieg, umso mehr schraubte sie den christlichen Textanteil zurück. Auf den CDs “Heart in Motion” (1991) und “House of Love” (1994) überwog keimfreier Schmusepop. Und wenn man im Beiheft zu “Behind the Eyes” (1996) die Liedtexte durchlas, suchte man vergeblich nach “Gott” oder “Jesus”. Die Kassen klingelten, aber die fromme Musikszene hatte ein Problem: Verdiente eine Platte, die ohne jeden Glaubensbezug auskam, überhaupt das Attribut “christlich”?

Dazu kamen wenig später die Eheprobleme von Mrs. Grant. 1982 hatte sie den drei Jahre älteren Gary Chapman geheiratet: Predigersohn, Sänger, Liedermacher. Die meisten Stücke auf “Age to Age” kamen aus seiner Feder. Dafür wurde er von christlichen Kollegen als “Songschreiber des Jahres” ausgezeichnet. Zwischen ihm und der “Sängerin des Jahres” funkte es. Aber schon wenige Jahre nach der Hochzeit drohte der Ehe-GAU, als Amy merkte, daß ihr Mann alkohol- und kokainabhängig war. Es folgten monatelange Sucht- und Ehetherapien. Aber das Paar blieb zusammen. In Interviews mit christlichen Zeitschriften erzählten sie freimütig von ihrer Ehekrise. Gary gab zu, daß er manchmal darunter litt, im Schatten seiner Superstar-Gattin zu leben: “Wenn ich im Vorprogramm zu ihrer Show auftrete, kratzt das ganz klar an meinem Ego.” Aber, so versicherten beide, die “steinigen, wilden Zeiten‘” waren jetzt vorbei, die Ehe hatte “neuen Schwung” bekommen. Die christliche Szene atmete auf. Denn Mitte der neunziger Jahre meldeten die frommen Prominenten reihenweise Beziehungsbankrott an. Erst Michael English, der mit der ebenfalls verheirateten Sängerin von “First Call” eine Affäre hatte. Dann Sandi Patty und Susan Ashton, die ihre Ehemänner für neue Liebhaber verließen. Balsam für die geplagte Christenseele war da der Anblick, den Amy und Gary im Sommer 1994 auf dem Titelblatt des Musikjournals “CCM” boten: eng umschlungen.

Im Herbst desselben Jahres sagte Amy ihrem Mann, daß sie ihn nicht mehr liebe. Immerhin verließ sie ihn nicht sofort, sondern ließ sich zu weiteren Therapiesitzungen überreden. Gary erzählte später, daß er Amy mehrfach “auf Knien angefleht” hatte, ihn nicht zu verlassen, vor allem wegen ihrer drei Kindern. Aber 1998 wollte Amy nicht mehr. Sie ließ sich scheiden und heiratete ein Jahr später den Country-Sänger Vince Gill, mit dem sie seit 1993 eine Freundschaft verband. Die christliche Öffentlichkeit wurde 1999 vor vollendete Tatsachen gestellt. Amy betonte, daß sie mit sich im Reinen war: “Gott hat mich aus dieser Ehe entlassen.” Und: “Gott ist ein Gott der zweiten Chancen.” Bei ihrem Seelsorger hatte sie nämlich gelernt: “Die Ehe ist dafür da, daß zwei Menschen sich aneinanderfreuen können. Wenn aber das Gegenteil der Fall ist, wenn Menschen dadurch innerlich krank werden, dann kann die Ehe aufgelöst werden.” In ihren Interviews tauchten dutzendweise die Begriffe “Verletzung” und “Heilung” auf, von “Sünde” und “Reue” war kaum die Rede.

Die öffentliche Empörung hielt sich in Grenzen. Die meisten nahmen achselzuckend zur Kenntnis, daß Christen allmählich nicht nur in den Hitparaden, sondern auch in den Klatschspalten zur “Welt” aufschlossen. Die Zeitschrift “Christianity Today” stellte die rhetorische Frage, ob für christliche Musiker nicht die gleichen hohen Standards gelten sollten wie für Pastoren. Nur – welche Konsequenzen sollten bei Amy Grant gezogen werden: Womöglich ein Boykott? Tatsächlich nahmen einige Geschäftsinhaber die ihre Platten aus dem Sortiment. Einige enttäuschte Fans demonstrierten vor den Konzerthallen, in denen Amy Grant und ihr “Neuer” gemeinsam auftraten. Amy Grants Tage als Superstar, so scheint es, sind ohnehin gezählt. Auf ihrer neuen CD “Legacy” singt sie, mittlerweile 41 Jahre alt, Kirchenhymnen à la “Welch ein Freund ist unser Jesus”. Der Kritikertenor ist lauwarm. “Dieses Album ist ein kläglicher Versuch, die christliche Szene zufriedenzustellen”, schreibt ein jugendlicher Internet-Rezensent. “Aber meine Generation erwartet von christlichen Künstlern, daß sie ihren Glauben tatsächlich leben.”

Der Autor ist promovierter Historiker und Fernsehredakteur beim Mitteldeutschen Rundfunk.


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