
8. Februar 2011 in Spirituelles
Vor dem Zölibat gibt es nur eine Alternative: Entweder es gibt Gott, oder der zölibatär lebende Mensch ist verrückt - Von Kardinal Meisner
Köln (kath.net/pek)
Die fragwürdigste Einrichtung in der katholischen Kirche, so hat man gegenwärtig den Eindruck, sei der Zölibat. Und er ist es in der Tat! Aber nicht aus den Gründen, die man heute zu seiner Abschaffung ins Feld führt. Diese Fragwürdigkeit zeigt gerade die Wichtigkeit und hohe Aktualität dieses Lebensstils. Was nicht wichtig ist, wird nicht hinterfragt. Nach dem, was keine Bedeutung hat, fragt niemand. Die Gegner des Zölibats ahnen gar nicht, dass sie damit eigentlich die Unverzichtbarkeit und hohe Bedeutung dieser Einrichtung des katholischen Priestertums unterschreiben. Dieses Fragezeichen hinter der zölibatären Lebensform der Priester ist in allen Jahrhunderten der Kirchengeschichte sichtbar geworden, mit besonders propagandistischer Kraft in der Reformation, in der Säkularisation und vielleicht auch heute. Aber auch in den frühesten Zeiten wurde immer wieder nach dem Warum gefragt. Und das ist auch gut so! Darum gibt es auch in jedem Jahrhundert großartige und bewegende positive schriftliche und existentielle Beschreibungen dieser Lebensform, die ja auch die Lebensform Jesu Christi in dieser Welt war.
Um es kurz auf einen Nenner zu bringen: Vor dem Zölibat gibt es nur eine Alternative: Entweder es gibt Gott, oder der zölibatär lebende Mensch ist verrückt. Eine andere Alternative gibt es nicht! Wer Ehe und Familie eine so elementare Möglichkeit des Lebens aufgibt, um allein durch die Welt zu gehen, der muss krank sein oder einen anderen wichtigen Grund haben, der ihn dazu bewegt. Und das ist die Wirklichkeit des lebendigen Gottes. Nur wer Gott kennt, der kennt den Menschen, sagt Romano Guardini. Und nur wer Gott kennt, der kennt den Zölibat: Gott ist die Liebe (1 Joh 4,16) ist die zentrale Botschaft des ersten Johannesbriefes. Und dieser Feuerbrand der Liebe, nämlich Gott, kann einen Menschen mit diesem Feuer anstecken und entzünden, sodass er um es überspitzt zu sagen das Heiraten vergisst. Gott und sein Reich sind für ihn so sehr zur Priorität geworden, dass er die hohen Werte von Ehe und Familie nicht zu verwirklichen vermag. Das gibt seinem priesterlichen Dienst aber eine Überzeugungskraft, weil er ja mit seinem Lebensstil das beweist, was er in der Kirche predigt.
Darum ist es hoch angemessen, dass die Kirche den Zölibat mit dem Priestertum verknüpft: Die Priester sollen nicht nur reden, sondern das mit ihrem Leben bezeugen, was sie anderen sagen. So ist und war der Zölibat immer gemeint.
Diese den Zölibat begründende Liebe Christi spricht ein Hymnus in unserem priesterlichen Stundengebet aus:
Christus, göttlicher Herr,
dich liebt, wer nur Kraft hat zu lieben:
unbewusst, wer dich nicht kennt;
sehnsuchtsvoll, wer um dich weiß.
Christus, du bist meine Hoffnung,
mein Friede, mein Glück, all mein Leben:
Christus, dir neigt sich mein Geist;
Christus, dich bete ich an.
Christus, an dir halt ich fest
mit der ganzen Kraft meiner Seele:
dich, Herr, lieb ich allein
suche dich, folge dir nach.
Dass ein solcher Weg natürlich Berufung ist, wusste die Kirche schon immer.
Ich bin persönlich der Meinung, dass der Priestermangel nur der Vorwand der Zölibatsablehnung ist. Im Grunde liegt der Widerspruch tiefer, vielleicht unbewusst: Gott kann dem Menschen so nahe kommen, sodass er auch sein Leben völlig in dieser außerordentlichen Weise umorientieren könnte. Das aber macht für jeden deutlich: Gott ist auch nicht fern von meinem Leben, und er bleibt auch Herr meines Daseins.
Er ist also ein außerordentlich naher Gott, den man sich aber lieber ein wenig auf Distanz wünschen möchte. Und darum ist der Zölibatär das habe ich in meinem langen Priesterleben schon öfter erfahren eine reale Möglichkeit des Mitmenschen, mit Gott gegenwärtiger und realer zu rechnen als bisher. Das möchten offenbar nicht alle. Sie glauben schon an Gott, aber dass er so nahe ist und so detailliert in die Lebensplanung eingreifen kann, wird manchmal wie eine Bedrohung erfahren. Darum erfreut sich der Zölibat nicht immer der Sympathie seiner Mitmenschen.
Wir sollten eigentlich hier in Deutschland nicht so sehr von Priestermangel sprechen als vielmehr immer zuerst von Christenmangel. Auch in den katholischen Milieus werden leider immer weniger Ehen geschlossen und immer weniger Kinder geboren. Ja, wo sollen denn die Priesterberufungen herkommen?
Gott ruft sie aus den Familien heraus, aber die gibt es immer weniger. Ich bin zutiefst überzeugt, dass Gott genügend Menschen zum Priestertum ruft, aber die Berufungen sterben, weil sie nicht gefördert, begleitet und ermutigt werden. Schon in den Familien, in den Verwandtschaftskreisen, manchmal sogar in den Pfarrgemeinden, in der Schule sowieso, im Sportverein und wo auch immer wird bestenfalls nicht so sehr gegen den Zölibat geredet, aber für ihn überhaupt nicht. Und so sterben Berufungen.
Das ist eine bittere Erfahrung der Kirche. Und darum ist der Priestermangel eine ernste Frage an alle Christen, ihr Denken, Handeln und Sprechen über die zölibatäre Lebensform unserer Priester, die ja ein Geschenk Gottes an seine Kirche ist, zu überdenken und eventuell zu korrigieren und den Mut zu haben, andere Berufenen zu ermutigen, zu begleiten, zu fördern und besonders für sie zu beten.
Ein Großteil meiner geistlichen Kraft habe ich in einem fast ein halbes Jahrhundert andauernden Priesterleben, davon 36 Jahre als Bischof, aufgebracht, um dieser großen Aufgabe zu dienen. Vergessen wir nicht: Ohne Priester keine Eucharistie, und ohne Eucharistie keine Kirche. Darum tragen wir eine wirkliche Mitverantwortung vor Gott für die Kirche in der Welt, indem wir gegen die Trends die faszinierende Wirklichkeit der zölibatären Lebensform, die ja die Lebensform Jesu ist, erfassen, fördern und begleiten. Keine Angst! Gott ist auch heute noch faszinierend und beglückend, wie schon die hl. Theresa von Ávila (1515-1582) sagte: Gott allein genügt.
+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln
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