Frankfurter Rundschau leugnet Judenrettung durch Papst Pius XII.

16. Dezember 2010 in Chronik


Historische Wahrheit wird durch die Frankfurter Rundschau zur jungerfundenen „Retter-Legende“ umgefärbt – Die Fakten zu einer langumstrittenen Frage – Ein Kommentar vom Historiker Michael Hesemann


Rom (kath.net) Der Historiker Michael Hesemann kommentiert einen Artikel der Frankfurter Rundschau, in dem die historisch belegte Rolle von Papst Pius XII. bei der Rettung tausender römischer Juden bestritten wird. Die Frankfurter Rundschau wärmt im Artikel „Papst Pius XII.: Die Legende vom Retter der Juden” altgewordene Fehlurteile über den päpstlichen Gegenspieler Hitlers wieder auf. Da wird behauptet: „Pius handelte schweigend, zaudernd, mutlos“, und: Die Retter-Legende sei „vor wenigen Jahren zum ersten Mal von den jesuitischen Vatikanhistorikern Pater Blet SJ, Pater Sale SJ und Pater Gumpel SJ“ formuliert worden.

Kath.net bringt den Kommentar des Historikers Michael Hesemann in voller Länge:

Kühlweins Darstellung der Ereignisse vom 16. Oktober 1943 ist nicht weniger als eine bewusste Verfälschung der historischen Umstände mit dem Ziel, den ebenso mutigen wie umsichtigen Weltkriegs-Papst Pius XII. zu diskreditieren. Dass er dabei ausgerechnet den Vatikanhistorikern wie der jüdischen Pave-the-Way-Foundation „Geschichtsklitterung“ vorwirft, grenzt an Absurdität. Viel wichtiger scheint ihm zu sein, die Thesen seines schon bei seiner Veröffentlichung veralteten und in Fachkreisen höchst umstrittenen Buches um jeden Preis zu retten.

Tatsache ist, das entnehmen wir einem Fernschreiben des Außenamtes in Berlin an die deutsche Botschaft in Rom vom 9.10.1943, dass „aufgrund eines Führerbefehls die 8000 in Rom lebenden Juden“ deportiert werden sollten. Die Größe der jüdischen Gemeinde war zuvor festgestellt worden, als der SS-Kommandant von Rom, Herbert Kappler, die Karteien der römischen Synagoge beschlagnahmte. Darin waren, natürlich, Flüchtlinge aus anderen Regionen nicht enthalten. Dass am Ende gerade einmal 1007 Juden deportiert wurden, trotz dieses eindeutigen Befehls, muss einen Grund gehabt haben. Die SS war nun mal nicht für ihre Nachlässigkeit bekannt und zu behaupten, man habe einfach aufgegeben, als man nach wenigen Stunden nicht mehr als diese 12,5 % finden konnte, zeugt von nicht geringer Naivität.

Wie kam es also, dass die SS-Aktion an jenem 16. Oktober 1943 nach nur einem halben Tag, nämlich bereits um 14.00 Uhr – wie selbst Kühlwein zugibt – abgeblasen wurde? Auch hier sind wir nicht, wie Kühlwein, auf Mutmaßungen angewiesen, sondern haben glaubwürdige Zeugenaussagen vorliegen. Schon im November 2000 erklärte Leutnant Nikolaus Kunkel, der damals als junger Ordonnanzoffizier bei dem Stadtkommandanten von Rom, Generalmajor Rainer Stahel, diente, in einem Interview mit der KNA, dass der Kommandant sehr wohl reagierte, als er von Pater Pfeiffer den Brief überreicht bekam, den ihm der österreichische Bischof Alois Hudal im Auftrag des Papstes geschrieben hatte. Laut Kunkel versuchte Stahel zunächst, über den deutschen Vatikanbotschafter Ernst von Weizsäcker etwas zu erreichen, der gerade erst in den Vatikan zitiert worden war. Dort hatte ihm Kardinalstaatssekretär Maglione einen päpstlichen Protest angedroht, sollten die Verhaftungen nicht unverzüglich eingestellt werden. Weizsäcker erwiderte, ein Protest könne unabsehbare Folgen für den Vatikan haben. Er wusste, dass Hitler längst den Befehl erteilt hatte, im Fall eines solchen Protestes den Vatikan zu stürmen und den Papst nach Deutschland zu verschleppen, ein Befehl, über den auch Pius XII. im Bilde war.

Weizsäcker telegrafierte zwar den Hudal-Brief nach Berlin, teilte aber mit, dass er in dieser Angelegenheit nicht helfen könnte.
Als er Generalmajor Stahel davon berichtete, wurde Lt. Kunkel gerade noch Zeuge, wie der Stadtkommandant von seinem Vorzimmer eine Direktverbindung zu Heinrich Himmler verlangte. Der Inhalt des Gespräches blieb lange ein Geheimnis, sicher war nur, dass er Stahels Karriere schadete.

Nur zwei Wochen später wurde der Stadtkommandant trotz gesundheitlicher Probleme mit sofortiger Wirkung an die Ostfront versetzt. Bei der Verteidigung Warschaus geriet er in russische Gefangenschaft, wo er Anfang der 1950er Jahres in einem Kriegsgefangenenlager verstarb.

Erst im Rahmen des Seligsprechungsprozesses für Pius XII. gelang es dem Relator (Untersuchungsrichter) Pater P. Gumpel, SJ, einen weiteren Augenzeugen, Generalmajor Dietrich Beelitz, zu vernehmen. Beelitz, damals Oberst im Generalstab von Generalfeldmarschall Albert Kesselring, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht in Italien, war Zeuge, als sich Stahel nach Erhalt seines Versetzungsbefehls verabschiedete. Auf die Gründe dafür angesprochen, erklärte der Ex-Stadtkommandant von Rom ihm: „Das war eine Rachemaßnahme von Heinrich Himmler“. „In scharfen Worten“, so Stahel, habe er Himmler auf die Gefahren hingewiesen, die durch die Deportation der Juden drohte: ein Protest des Papstes könne die Bevölkerung vollends gegen die deutschen Besatzer aufbringen, die Versorgung der Truppen an der Südfront gefährden. Als Himmler erfuhr, dass eine Intervention des Papstes der wahre Anlass für diese Intervention war, habe er Stahels Strafversetzung bewirkt.

Während der offizielle diplomatische Protest des Vatikans bei Botschafter von Weizsäcker also erfolglos geblieben war, hatte Pius XII. durch sein Gesuch an Generalmajor Stahel die „Judenaktion“ der SS erfolgreich stoppen können. 7000 der 8000 römischen Juden, deren Deportation angeordnet worden war, wurden dadurch verschont. Für sie ließ der Papst jetzt die römischen Klöster, Institute, Seminare und sogar den Vatikan öffnen, um sie auch zukünftig den Händen der SS-Schärgen zu entziehen. Immerhin hatte Generalmajor Stahel noch vor seiner Versetzung auf Bitten des Papstes an allen römischen Klöstern Plakate anbringen lassen, die diese zu extraterritorialem Staatsgebiet des Vatikans erklärten; deutschen Soldaten und SS-Männern war es damit offiziell untersagt, hier einzudringen.

Kühlweins Behauptung, es habe nach der Deportation der 1007 Unglücklichen in Rom „keine registrierten Juden mehr“ gegeben, ist ebenso widersinnig wie unwahr.

Selbst der Oberrabbiner von Rom, Israel Zolli, überlebte mit seiner Familie im Vatikan, und mit ihm Tausende seiner natürlich registrierten Gemeindemitglieder. Er selbst war so tief berührt von der aufopfernden Hilfe des Papstes, dass er zum katholischen Glauben konvertierte und sich auf den Namen „Eugenio“, den Taufnamen des Papstes, taufen ließ.

Tragisch war nur, dass der Abtransport der 1007 nicht verhindert werden konnte. Allerdings versicherten die Deutschen dem Vatikan, sie würden nur als Geiseln nach Mauthausen, ein Arbeitslager bei Linz, gebracht; noch im November bemühte sich der Papst, ihnen Hilfsgüter zukommen zu lassen. Doch für sie kam jede Hilfe zu spät. Aus Wut über den Abbruch der Aktion hatte Adolf Eichmann den Zug nach Auschwitz umgeleitet. Das kam beim Eichmann-Prozess in Jerusalem zur Sprache, als es in der Anklageschrift ausdrücklich hieß: „Als der Papst persönlich zugunsten der Juden Roms intervenierte ... und Eichmann gebeten wurde, sie in italienische Arbeitslager zu bringen, statt sie zu deportieren, wurde diese Bitte abgeschlagen – die Juden wurden nach Auschwitz geschickt.“

Doch auch dieses Dokument ist dem Theologen Kühlwein, wie so vieles, offenbar unbekannt.


Michael Hesemann: Der Papst, der Hitler trotzte


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