'Alles hängt von Obamas Wiederwahl ab'

9. April 2010 in Interview


Rechtsprofessor Robert George aus Princeton über die Gesundheitsreform des US-Präsidenten, die Abtreibung und die Zukunft des Lebensschutzes in Amerika - Von Oliver Maksan / Die Tagespost


Princeton (kath.net/Tagespost)
Robert George gilt als der führende katholische Intellektuelle Amerikas. Er berät die amerikanischen Bischöfe in moralischen Fragen, in denen er strikt naturrechtlich argumentiert. Die "New York Times" bezeichnete ihn kürzlich als "konservativ-christlichen Großdenker". Der 1955 geborene George ist Juraprofessor an der Eliteuniversität Princeton. Gleichzeitig hat er eine umfangreiche publizistische und politische Aktivität entfaltet. 2008 zeichnete ihn Präsident Bush dafür mit der Presidential Citizens Medal aus.

Professor George, kürzlich hat US-Präsident Obama die Gesundheitsreform unterzeichnet. War das ein Schritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit in Ihrem Land?

Ich wünschte, es wäre so. Leider hat diese Reform den Zugang zur Abtreibung in den Vereinigten Staaten weiter erleichtert, indem es die staatliche Unterstützung erweitert hat. Damit hat sie das Grundprinzip der Katholischen Soziallehre verletzt, den Lebensschutz. Zudem verstößt sie gegen das Hyde-Amendment von 1976, das die Bezuschussung der Abtreibung durch Bundesmittel verbietet.

Aber war es nicht so, dass Abtreibungsgegner unter den Abgeordneten der Demokratischen Partei wie Bart Stupak dem Präsidenten in letzter Sekunde die Zusage abrangen, dass dies nicht geschehen sollte?

Leider nein. Stupak hat von Obama einen präsidialen Erlass erreicht, executive order genannt. Darin hat Obama tatsächlich zugesagt, dass es keine Bundesmittel für Abtreibung geben wird. Allerdings steht ein solcher Erlass nicht über einem vom Kongress verabschiedeten und vom Präsidenten unterzeichneten Gesetz. Das bedeutet, dass die Gerichte bei der Interpretation und Anwendung des Gesetzes zur Gesundheitsreform diesem den Vorrang vor dem Erlass geben werden. Und das Gesetz sieht vor, dass Familienplanung und gynäkologische Dienste zu den Leistungen der Krankenkassen gehören. Das werden die Gerichte als die Abtreibung beinhaltend auslegen, weil sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird.

Deswegen waren die katholischen Bischöfe auch gegen diese Gesundheitsreform.

So ist es. Die Bischöfe unterstützen Obamas Plan grundsätzlich. Sie legten keinen Widerspruch dagegen ein, dass sich der Staat im Gesundheitssystem so sehr engagiert, was viele Bürger veranlasst hat, gegen das Gesetz zu sein. Obama hätte, um die volle Unterstützung der Bischöfe zu bekommen, nichts anderes tun müssen als seine Zusagen aus dem Erlass in das Gesetz selbst zu schreiben. Wenn er das, was er im Erlass geschrieben hatte, ehrlich gemeint hätte, hätte ihm das auch nichts ausgemacht. Aber hieran sieht man unbezweifelbar, dass Obama es nicht ernst gemeint hat.

Aber warum hat er das nicht getan?

Obama hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er das Hyde-Amendment als einen Verstoß gegen das Grundrecht der Frau ansieht, die staatliche Hilfe zu bekommen, die ihr zusteht. Steuergeld für Abtreibung eingeschlossen. Warum also, frage ich, sind wir jetzt überrascht, dass seine Zusage im Erlass bedeutungslos ist? Wir hatten nie einen Präsidenten, der sich mehr für die Freigabe der Abtreibung eingesetzt hat als Amtsinhaber Barack Obama.

Haben amerikanische Katholiken ein Problem damit, dass der Staat neuerdings so sehr in das Gesundheitssystem eingreift?

Die Katholische Soziallehre verbietet weder noch fordert sie ein staatliches Engagement. Sie schreibt auch nicht den Grad staatlichen Eingreifens vor, wenn man sich dafür entschieden hat. Vernünftige Katholiken können dem aber aus vernünftigen Gründen widersprechen und etwa mehr marktorientierte Zugänge bevorzugen. Mit der Abtreibung ist das natürlich anders. Hier kann es keinen Dissens unter Katholiken geben.

Im November haben Katholiken, Evangelikale und Orthodoxe die sogenannte Manhattan- Erklärung verabschiedet, worin sie sich für die Ehe von Mann und Frau, gegen Abtreibung und embryonale Stammzellforschung ausgesprochen haben. Sie waren eine der führenden Personen dahinter. Hat Präsident Obamas Politik die Christen überkonfessionell zusammengeschweißt?

Ja. Wir haben uns aus all den von Ihnen genannten Gründen zusammengeschlossen. Ein wichtiger Punkt war uns dabei auch, auf die Bedrohung der Religionsfreiheit all derer hinzuweisen, die im Gesundheitswesen arbeiten. Sie sollen gezwungen werden, an Abtreibungen mitzuwirken. Jetzt erst hat es Pharmazeuten erwischt, die ihre Zulassung verloren haben, weil sie sich geweigert haben, abtreibende Medikamente auszugeben. Oder ein anderes Beispiel. Eine Berufsfotografin evangelikalen Glaubens weigerte sich sehr höflich, während einer schwulen Hochzeit zu fotografieren. Sie hat das mit ihrem biblischen Glauben begründet, aufgrund dessen sie nicht an so etwas teilnehmen könne. Der Staat von New Mexico hat sie deswegen zu einer Geldstrafe in Höhe von mehreren tausend Dollar verurteilt. Denn in diesem Staat gibt es ein Gesetz, das Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung unter Strafe stellt.

Sie argumentieren stets mit dem Naturrecht. Ist das für Ihre evangelikalen Verbündeten kein Problem, die ja als Protestanten die Erkenntniskraft der Vernunft eher schwach einstufen und eher mit der Bibel argumentieren?

Nur für einen kleinen Teil. Die meisten stützen sich auf eine Stelle aus dem Römerbrief, wo es heißt, dass das Gesetz auch in die Herzen der Heiden eingeschrieben sei, die das Gesetz des Moses nicht kennen. Die meisten Evangelikalen sehen darin einen Hinweis darauf, dass es sittliche Grundsätze gibt, die ohne Offenbarung erkannt werden können durch die reine Vernunft als solche.

Sie haben auch eine Organisation gegründet, die sich "The American Principles Project" nennt. Darin argumentieren Sie gegenüber Politikern mit der amerikanischen Verfassung.

Ja. Weil ich glaube, dass die Prinzipien unser Verfassung nicht einfach nur amerikanisch sind, sondern universelle Geltung haben, weil sie auf dem Naturrecht beruhen. Wir Amerikaner haben sie aber zur Grundlage unseres Landes gemacht.

Wie kam es dann aber überhaupt zum Urteil Roe versus Wade 1973, mit dem die Abtreibung legalisiert wurde? Den Obersten Richtern damals lag ja dieselbe Verfassung vor wie Ihnen heute.

Durch einen Akt roher richterlicher Gewalt. Das stammt nicht von mir, sondern von dem von Präsident Kennedy ernannten Richter Byron White, der damals zur unterlegenen Minderheit gehörte. Anders gesagt: Roe versus Wade hatte zu keiner Zeit eine Grundlage in der Verfassung. Die Richter hatten schlicht den politischen Willen, Abtreibung zu legalisieren.

Sehen Sie als Rechtsprofessor eine Möglichkeit, dieses Urteil zu kassieren?

Ja. Meiner Meinung nach gibt es derzeit vier von neun Richtern, die Roe versus Wade kippen würden. Das ist natürlich meine Spekulation. Aber nach allem, was ich von diesen Richtern gelesen oder gehört habe, würden sie das tun. Alles hängt davon ab, ob Präsident Obama wiedergewählt wird. Wenn ja, dann wird es keine Neuberufung eines Richters geben, der denkt wie die genannten vier. Es müssen aber fünf Richter sein, um das Urteil zu ändern. Wenn er von einem republikanischen Kandidaten besiegt würde, wäre eine solche Neuernennung wahrscheinlich und Roe versus Wade würde auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.

Aber würde das nicht zu einem Volksaufstand führen?

Ich glaube nicht. Die meisten Amerikaner, auch die Liberalen, fühlen sich schuldig wegen dieses Gesetzes. Wenn Sie die Häuser amerikanischer Großeltern besuchen, sehen Sie dort oft Fotos der Enkel, die mit Sonarbildern aus dem Mutterleib beginnen. Häufig haben die Kinder schon seit den ersten Aufnahmen einen Namen. Die Leute sehen deshalb, dass sie einen Menschen töten würden, wenn sie abtreiben. Würde Roe versus Wade kassiert, hätten wir eine große Debatte im Land. Sicher. Das Gesetz würde verschärft werden. Wir könnten wahrscheinlich nicht sofort ein völliges Verbot der Abtreibung in allen Staaten erreichen. Es wäre aber der Beginn, einen wirklich effektiven Schutz des Lebens der ungeborenen Kinder zu erreichen.

Wie kam es eigentlich, dass die Abtreibungsfrage seit den Sechzigern mehr oder weniger entlang der amerikanischen Parteigrenzen verläuft. Früher waren die Demokraten ja mitnichten die Partei der Abtreibungsbefürworter.

Ja. In der Tat. Teddy Kennedy, der Schwarzenführer Jesse Jackson, auch Bill Clinton und Al Gore: Sie alle erklärten früher, dass sie pro life seien. Viele Republikaner gleichzeitig waren für Abtreibungen, weil sie es als Möglichkeit sahen, die Sozialausgaben für die zumeist alleinstehenden Mütter zu reduzieren, die den Steuerzahler Geld kosteten. Aber nach Roe versus Wade 1973 drehte sich das. Die Abtreibungsbefürworter gewannen bei den Demokraten die Oberhand. Um künftig nominiert werden zu können, mussten Präsidentschaftskandidaten pro choice, für die Wahlfreiheit sein. Leute wie Bill Clinton wechselten einfach ihre Positionen. Einfach so. Ohne Begründung. Dasselbe passierte auch bei den Republikanern. Bush Senior, der ursprünglich für Abtreibung war, wechselte seine Position. Allen voran natürlich Reagan, der als Gouverneur in Kalifornien Pro-Abtreibungsgesetze erlassen hatte.

Sehen Sie eine Möglichkeit, dass sich parteiübergreifender Konsens für das Leben bildet?

Nein. Abtreibung ist bei den Demokraten zu sehr mit dem Glauben an Selbstbestimmung verbunden. Ich glaube sogar, dass wir eher noch eine politische Zuspitzung in diesen Fragen bekommen werden. Die Euthanasie-Debatte kommt als nächstes.

Täuscht der europäische Eindruck, dass amerikanische Konservative für das Leben sind, sich aber weniger für Fragen der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit engagieren?

Ja, er täuscht. Das ist das, was Amerikas Linke sagt und was die Europäer nur zu gerne glauben. Amerikanische Konservative unterscheiden sich von Europäern sicher dadurch, dass sie soziale Gerechtigkeit nicht in allererster Linie durch den Wohlfahrtsstaat hergestellt sehen wollen, wie das Europäer tendenziell tun. Sie betonen viel stärker das Prinzip der Subsidiarität, der Hilfe zur Selbsthilfe. Das heißt aber nicht, dass sie weniger an soziale Gerechtigkeit glauben. Sie wollen zivilgesellschaftliches Engagement gegenüber der Bürokratie stärken. Sie fürchten, dass die Tendenz hin zum Staat weder für die Freiheit noch die soziale Gerechtigkeit gut ist.

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