Zölibat geht nur durch Wunder

11. September 2009 in Interview


Cicero-Interview mit Pattloch-Verlagsleiter Bernhard Meuser über seinen 12-tägigen Klosteraufenthalt im Stift Heiligenkreuz und sein neues Buch über das Klosterleben


Berlin (kath.net/Cicero.de)
Mit der Gregorianik CD „Chant“ wurden die Mönche des Klosters Heiligenkreuz weltberühmt. Der Autor Bernhard Meuser hat eine Weile unter ihnen gelebt, und ein Buch daraus gemacht. Mit Cicero Online spricht er über seine denkwürdigen Erfahrungen mit den Zisterziensern

Herr Meuser, ist der Schritt von unsrer Welt in die Klostermauern eines 900 Jahre alten Ordens ein Kulturschock?

Ganz am Anfang war es ein bisschen beklemmend, aber das hielt nur solange an, bis ich die Rituale so einigermaßen drauf hatte – man tut beispielsweise nichts ohne Einladung; erst wenn ein Pater mit einer freundlichen Handbewegung zu verstehen gibt, dass man sich in die schweigende Reihe der Mönche, die zum Refektorium zieht, einreihen darf, geht man los. Spätestens nach zwei Tagen war dieses Einfügen in einen rituell bestimmten Tagesablauf eine Wohltat für die Seele.

Rituell bestimmt ist auch der Tagesablauf einer Bundeswehrkaserne. Worin besteht die seelische Wohltat?

Wir Leute in der Welt leben im Irrtum, Spaß im Leben ließe sich nur durch Abwechslung herstellen. in Wahrheit powern uns die immer neuen Kicks, mit denen wir uns aufkratzen, seelisch aus. Die Mönche suchen Freude, nicht Spaß. Nur sehr oberflächliche Betrachter nennen das Monotonie, wenn die Mönche fünfmal am Tag und 365 Tage im Jahr zum Stundengebet kommen, die immer gleichen Verneigungen machen, Kerzen anzünden und sie löschen, sich mit geweihtem Wasser die Stirn benetzen oder die Knie beugen. Wenn man das mit innerer Anteilnahme tut, kommt man immer mehr in die Tiefe, man berührt die Quelle der Freude und es entsteht eine Art Flow, ein innerer Frieden, der unbeschreiblich sein kann.

Der Mönch lebt zölibatär, feiert aber in der Regel auch keine Messen, ist also eine Sparversion des Priesters. Zudem nimmt er praktisch nicht an der Welt außerhalb der Klostermauern teil. Welchen Sinn und Nutzen haben Mönche überhaupt?

Mönche sind Wesen, die mindestens so nutzlos wie sinnvoll sind. Ein Mönch ist ungefähr so nutzlos wie ein Rembrandt in einer japanischen Konzernzentrale. Rembrandt hebt weder die Umsätze noch die Stimmung der Mitarbeiter. Trotzdem wäre es ein unerhörter Verlust, wenn es dieses bestimmte Bild nicht gäbe, weil es ein Moment von Wahrheit, eine Art Lichtung von Sein ist. Genauso ist das mit den Mönchen. Sie entziehen sich eigentlich jeder Nützlichkeitsrechnung. Aber allein dafür, dass sie da sind und sich nicht vereinnahmen lassen vom totalitären Zugriff unserer Gesellschaft und ihrer Wirtschaftsstrukturen, halten sie die Welt offen auf etwas Größeres hin, für das wir den Namen Gott haben. "Gott allein genügt", sagte einmal die Mystikerin Teresa von Avila. Mönche bezeugen das. Wenn es Gott nicht gibt, hatten sie ein absurde Existenz. Wenn es ihn gibt, haben sie ein prophetisches Leben geführt.

Gibt es einen bestimmten Typus Mensch, den es ins Kloster und die mönchische Existenz zieht?

Das klassische Vorurteil lautet, dass in Klöstern nur Spinner und solche, die in der „Welt“ nicht zurechtgekommen sind, leben. Aber viele der jungen Mönche in Heiligenkreuz sind hochqualifiziert, die haben manchmal richtige Karrieren hinter sich; als Künstler, Mikrobiologen, Betriebswirte, Keyaccounter, Literaturwissenschaftler. Früher trat man meistens direkt nach dem Abitur in ein Kloster ein. Heute ist das anders. Der Großteil der Kandidaten hat ordentlich Lebenserfahrung auf dem Buckel. Es gab Liebesbeziehungen, aus denen nie eine Ehe wurde. Es gab den erfolgreichen Unternehmer, der irgendwann seinem Herzenswunsch folgte und Mönch wurde. Einer war Literaturagent in New York, ein anderer schrieb witzige literarische Glossen für Wiener Motorradzeitschriften. Was ich nicht gefunden habe: Einen, der in seinem Brotberuf gescheitert wäre – und darum ins Kloster flüchtete.

Aber ist so ein radikaler Schnitt mit der Welt und dem bisherigen Leben nicht immer auch eine Flucht?

Gut, wenn sich hinter dir die Tür geschlossen hat und du für immer in dieser Republik der Mönche bleiben darfst, musst du dich um die Rente nicht mehr kümmern, du musst nie wieder einen Lohnsteuerausgleich machen, keine Gehaltsforderungen mehr stellen und nie mehr einkaufen gehen. Streichen muss man aber auch den Südseeurlaub, den Lustkauf, sexuelle Erfüllung oder die freie Berufswahl.

Natürlich, aber es kann ja durchaus Menschen geben, die sich das überlegen. Das ganz normale Leben wie wir es führen, mit den unzähligen Entscheidungen die wir täglich Treffen, kann ja für manche auch eine Zumutung sein.

Diese Rechnung geht nicht auf. Es gab und gibt immer wieder Kandidaten, besonders in Zeiten nachlassender Christlichkeit, die im Kloster die soziale Nische suchten. Die Aufnahmefilter wurden hie und da auch passiert, nur mündete das in schöner Regelmäßigkeit in der persönlichen Katastrophe. Wer aus anderen als übernatürlichen Gründen im Kloster ist, fährt existenziell an die Wand. Da fehlt es nicht an Beispielen…

Was genau sind „übernatürliche“ Gründe um ins Kloster zu gehen?

Halten Sie sich an den Wortsinn. Das sind Gründe, die aus der Natur heraus nicht zu erklären sind. Weil man ein Dach über dem Kopf braucht. Weil man gerne in einem mittelalterlichen Habit herumläuft. Weil man Weihrauch- oder Gregorianik-Fetischist ist. Das funktioniert alles nicht. Das Christliche operiert ja generell unter der Voraussetzung, dass es „jemand“ außerhalb unserer Begründungszusammenhänge und Kausalketten gibt, dass man mit diesem „jemand“ sprechen kann, dass dieser „jemand“ mich auf der Agenda hat, mit mir fühlt und etwas von mir will, und dass einem dieser „jemand“ Signale und Zeichen gibt – sofern man die zu lesen gelernt hat.

Gott, der mit dem Zaunpfahl winkt?

Ja. Immer wieder sprechen Mönche von einer Art Liebesgeschichte mit Gott. Es gibt Leute, die Gott als sehr nahe erfahren. In ihrem Leben nimmt Gott plötzlich den zentralen Platz ein. Kann sein, dass so einer dann den Wink verspürt, Mönch zu werden.

Und diese übernatürliche Beziehung mit Gott entschädigt einen dann für den Verlust einer irdischen, fleischlichen Liebesbeziehung, für den lebenslänglichen Verzicht auf Sex?

Klar, das wollte ich auch genauer wissen. Wie kann man denn auf so eine fundamentale vitale Äußerung verzichten? Lange sprach ich mit dem Subprior – das ist die Nummer drei im Kloster – über diesen Punkt. Pater Simeon, ein temperamentvoller, viriler Rheinländer, trug kein Blatt vor dem Mund und meinte: „Letztlich muss ich sagen. Auf natürliche Weise lässt sich kein Zölibat leben. Da gibt es keine Tricks: Mach´s so, mach´s so! Dabei kommen nur scheinheilige Tugendbolde oder krumme Charaktäre heraus – kalte Fische oder alte, böse, Frauen verachtende Knaben. Zölibat, das geht nur auf übernatürliche Weise. Es geht nur als Wunder. Es geht nur im Gebet.“

Können verzweifelte Singles etwas von den Mönchen lernen?

Genau danach habe ich auch gefragt. Und Pater Simeon gab mir eine interessante Antwort: „Wir sind keine Singles und haben der Singlegesellschaft eher wenig zu sagen. Wir sind nämlich gar keine Spezialisten für das Alleinbleiben. Wir leben eine Liebe, nur eine mit Gott. Wir sind verheiratet mit ihm. Alles, was man darüber wissen muss, steht im Hohelied der Bibel.“

Die einzigen erotischen Schrift in der Bibel.

Richtig. Die Zisterzienser beziehen sich immer wieder auf Bernhard von Clairvaux. Der war nicht nur Kreuzzugsprediger, sondern - man könnte sagen - der erste Erotiker unter den Heiligen. Er hat nichts so intensiv gelesen und kommentiert wie das Hohelied aus der Bibel: das Verlieben, das Suchen nach dem Geliebten, der gegenseitige körperliche Lobpreis der Geliebten, die hochzeitliche Vereinigung und so weiter. In diesen Bildern hat Bernhard von Clairvaux den gesamten christlichen Glauben als eine Liebesgeschichte ausgelegt. Also mal nicht Pflicht und Ich-aber-sage-euch-ihr-müsst! Sondern Liebe. Und dieser Ansatz ist es, der die Zisterzienser heute so anziehend macht. Darum haben sie – mindestens in Heiligenkreuz – solchen Zulauf. Der spirituelle Ansatz ist hochmodern.

Haben sie rückblickend Schlüsselerlebnisse aus ihrer Zeit im Kloster mitgenommen?

Ich habe keine Erleuchtung bekommen, wenn Sie das meinen. Aber ich kam unruhig und leicht depressiv im Kloster an. Nach zwölf Tagen fuhr ich gelassen, konzentriert, mit Freude im Herzen, ja geradezu fröhlich von dort weg - obwohl meine Aufenthalt harte Arbeit war und ich gewissermaßen rund um die Uhr am Laptop saß, wenn ich nicht gerade an den Gebeten der Mönche teilnahm. Seit meiner Kindheit habe ich den Advent nicht mehr intensiver erlebt.

Wie fühlt sich denn nach 12 Tagen die Welt außerhalb der Klostermauern an?

Als ich die Schlüssel meines Wagens umdrehte, knallte mir Musik entgegen. Ich machte sofort das Gerät aus. Ich brauchte Stille und den Nachklang des "Ave regina coelorum", eines uralten gregorianischen Gesanges. Noch heute kommt ein Gefühl von Wärme, Schönheit und Frieden in mir hoch, wenn ich an das Mönchskloster im Wienerwald zurückdenke

Danke sehr für das Gespräch!

Das Interview führte Constantin Magnis / CICERO

Buchtipp:

Bernhard Meuser
Chant - Leben für das Paradies
Pattloch
160 Seiten
15,30 Euro

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