Papst Benedikt und die Kirchensteuer

6. April 2009 in Aktuelles


Die Kirchensteuer steht immer wieder in der Kritik – Als bekanntester Kritiker gilt Papst Benedikt XVI. selbst, der sich vor einigen Jahren in einem Interview mit Peter Seewald für das italienische System ausgesprochen hatte


Wien (kath.net)
Die Kirchensteuer, die es derzeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz eingehoben wird, steht immer wieder bei Katholiken in der Kritik. Als bekanntester Kritiker des Systems gilt Papst Benedikt XVI. selbst.

Kath.net dokumentiert dazu Auszüge aus dem „Salz der Erde“, ein Interviewbuch mit Peter Seewald aus dem Jahre 1994:

Seewald: Ein großer Teil der Bevölkerung verlangt nach einer stärkeren Trennung von Kirche und Staat. Diskutiert wird die Aufhebung des Gottesbegriffes im Grundgesetz, die Streichung von Feiertagen, die Entheiligung des Sonntags, die Abschaffung der Kirchensteuer. Daß Schulkreuze im Klassenzimmer hängen, ist zu einem Verfassungsstreit geworden.

Ratzinger: Die Frage, wie das richtige Verhältnis zwischen Kirche und Staat beschaffen sein muß, muß natürlich immer neu gestellt werden. Solange es einen gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, daß die Grundwerte des Christentums auch Vorgabe für die Gesetzgebung sind, kann eine relativ nahe Verflechtung von Staat, Gesellschaft und Kirche durchgehalten werden, gibt Sinn und steht der Freiheit der Religion nicht entgegen. Aber wenn da keine Überzeugungen mehr dahinterstehen, kann natürlich eine zu starke institutionelle Verflechtung zur Gefahr werden.

Deswegen bin ich nicht grundsätzlich dagegen, daß man in entsprechenden Situationen auch zu stärkeren Trennungsmodellen schreitet. Es hat insgesamt der Kirche eher gutgetan, daß sie sich nach dem Ersten Weltkrieg aus den staatskirchlichen Systemen lösen mußte. Die zu starken Verbindungen sind ihr immer schlecht bekommen. Insofern, denke ich, müssen die Bischöfe in Deutschland ganz realistisch überlegen, welche Formen der Verbindung von Staat und Kirche wirklich von innen her durch Überzeugungen gedeckt und dadurch fruchtbar sind, und wo wir nur Positionen aufrechterhalten, auf die wir eigentlich kein Recht mehr haben. Eine solche Bestandsaufnahme ist sicher angebracht und nötig.

Die einzelnen Punkte, die Sie nennen, würde ich sehr unterschiedlich beantworten. Gott in der Verfassung zu haben, erscheint mir nach wie vor als etwas sehr Wichtiges, denn das hängt ja gar nicht an einem bestimmten christlichen Bekenntnis. Wenn man sich völlig davon löst, daß es ein Maß und einen Herrn über uns gibt, dann muß man Ideologien an die Stelle setzen oder sich allmählich alles auflösen lassen. Ein so kritischer Theologe wie Bultmann hat einmal gesagt: »Ein unchristlicher Staat ist möglich, ein atheistischer nicht.« Ich glaube, daß er im Prinzip recht hat. Wo kein Maß über unsere eigenen aktuellen Meinungen hinaus besteht, herrscht immer mehr die Willkür, verfällt der Mensch. Die anderen Dinge, wie etwa die Frage der Kirchensteuer, das sind alles Fragen, die man sorgsam und bedachtsam überlegen muß.

Seewald: Eine brisante Frage; wie könnte die Antwort aussehen?

Ratzinger: Das wage ich nicht zu beurteilen. Im großen ganzen wird, wie mir scheint, das deutsche Kirchensteuersystem heute noch von einem ziemlich breiten Konsens getragen, weil man die Sozialleistung der Kirchen anerkennt. Vielleicht könnte in Zukunft einmal der Weg in die Richtung des italienischen Systems gehen, das zum einen einen viel niedrigeren Hebesatz hat, zum anderen aber - das scheint mir wichtig - die Freiwilligkeit festhält. In Italien muß zwar jeder einen bestimmten Satz seines Einkommens - o,8 %, glaube ich - einem kulturellen bzw. wohltätigen Zweck zuführen, worunter die katholische Kirche figuriert. Aber er kann den Adressaten frei wählen. Faktisch wählt die ganz große Mehrheit die katholische Kirche, aber die Wahl ist freiwillig.

Peter Seewald: Gleicht euch nicht der Welt an, fordert der Papst. Aber hat sich nicht auch die Kirche selbst zu sehr angeglichen? Sie scheint an der Sicherung ihrer Erbhöfe zu kleben, sie investiert viel Geld, Zeit und Energie in die Erhaltung ihrer Immobilien. Müßte sie statt dessen nicht wieder deutlicher machen, worin ihre Heilsangebote liegen?

Kardinal Ratzinger: Da würde ich Ihnen recht geben. Auch in der Kirche ist das Beharrungsvermögen ein sehr starker Faktor. Sie neigt infolgedessen dazu, einmal erworbenes Gut und erworbene Positionen zu verteidigen. Die Fähigkeit zur Selbstbescheidung und Selbstbeschneidung ist nicht in der richtigen Weise entwickelt. Ich glaube, daß uns das gerade auch in Deutschland trifft. Hier haben wir weit mehr kirchliche Institutionen, als wir mit kirchlichem Geist decken können. Und gerade das bringt die Kirche dann in Mißkredit, daß sie am Institutionengefüge festhält, auch wenn eigentlich nichts mehr dahintersteht. So entwickelt sich der Eindruck, in einem Krankenhaus oder zum Beispiel in einer Schule würden Menschen, die eigentlich nichts damit zu tun haben, auf eine kirchliche Haltung festgelegt, nur weil eben die Kirche der Eigentümer ist und das Sagen hat. Hier muß es eine wirkliche Gewissenserforschung geben. Leider war es in der Geschichte aber immer so, daß auch die Kirche nicht die Fähigkeit hatte, selber das irdische Gut abzustoßen, sondern daß es ihr immer wieder genommen werden mußte und dieses Genommenwerden ihr dann zum Heil gereichte.

Mitunter allerdings war das etwas anders; ich denke an die Trennung von Staat und Kirche in Frankreich unter Pius X., also zu Beginn dieses Jahrhunderts. Damals wurde der Kirche eine Formel zum Festhalten ihres Besitzes angeboten, die allerdings eine gewisse Einbindung in die staatliche Oberaufsicht mit sich gebracht hätte. Dazu hat dann Pius X. erklärt, das Gut der Kirche ist wichtiger als ihre Güter. Wir geben die Güter weg, weil wir das Gut verteidigen müssen. Das ist, glaube ich, ein großer Satz, den man sich immer wieder vor Augen halten muß.


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