Latinität der Präsidialgebete

30. Dezember 2008 in Latein


Bei der Übersetzung galt Verständlichkeit als wichtigstes Kriterium, die lateinischen Originale wurden häufig "umgebaut". Das nahm den Texten etwas von ihrer ursprünglichen Schönheit, Kraft und theologischen Tiefe. Von Gero P. Weishaupt.


Vatikan (kath.net) Die Präsidialgebete der Heiligen Messe, wozu neben der Präfation die Collecta, die Oratio super Oblata (Secreta) und die Postcommunio gehören, zeichnen sich in ihren lateinischen Originaltexten durch stilisierte, quantitierende und rhythmisierende Prosa aus (Christine Mohrmann), die in ihrer geballten Prägnanz und erhabenen Strenge nicht nur einen Wesenszug römischen Geistes ausdrückt, sondern auch der Sakralität, Objektivität und Transzendenz, die dem Römischen Ritus der Heiligen Messe eigen sind, entspricht.

Die lateinischen Präsidialgebete sind Höchstformen spätlateinischer Kunstprosa, von denen manche in ihren Formen auf Vorbilder in der homerischen Poesie und altrömischer Gebets- und Rechtstexte zurückgehen. Es ist wunderbar, "bis zu welcher Höhe von Schönheit und innerer Glut diese Orationen manchmal emporsteigen, ohne doch die erhabene Jenseitigkeit überindividueller Frömmigkeit zu verlassen, die aus ihnen zu sprechen pflegt.

Sprachlich ist ihnen aus guter Rhetorenüberlieferung gefälliger Rhythmus der Sprache eigen, der cursus, der sich besonders in den Satzschlüssen äussert und dort von der Melodie der einfachen Kadenzen aufgenommen wird" (Joseph Pascher, Eucharistie und Vollzug, Freiburg 1947, 61).

Wegen ihrer stilisierten Formen stellen die Orationen hohe Ansprüche sowohl an den Übersetzer in Neusprachen als auch an den Redaktor lateinischer Orationen, wie man sie in den altkirchlichen Sakramentarien (Leonianum/Veronense, Gelasianum, Gregorianum, um nur die bedeutendsten zu nennen) vorfindet. In der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sind für die Editio Typica des Missale Romanum Pauls VI. vereinzelt lateinische Orationen des Missale Romanum Pius´V. stilistisch verbessert worden.

Infolge des Grundsatzes der aktiven Teilnahme der Gläubigen an der Heiligen Messe, die die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium des Zweiten Vatikanischen Konzils wünscht, wurden die lateinischen Messtexte in die jeweiligen Landessprachen übersetzt. Dabei galt Verständlichkeit als wichtigstes Übersetzungskriterium.

Das führte zu einer Vereinfachung der Texte, was häufig einen "Umbau" der lateinischen Originale in den Übersetzungen zur Folge hatte. Viele der übersetzen Orationen wurden außerdem mit interpretativen Zusätzen versehen. Nicht selten entfernten sich die Übersetzer sogar inhaltlich von den lateinischen Vorgaben.

Das führte nicht nur zu einer Banalisierung der Texte, sondern nahm ihnen auch etwas von ihrer ursprünglichen Schönheit, Kraft und theologischen Tiefe. Die Übersetzer hätten behutsamer mit ihren lateinischen Vorgaben umgehen sollen.

"Es kann nicht eindringlich genug darauf hingewiesen werden, dass die römischen Orationen nicht als einfache Prosa gesehen werden dürfen. Sie stehen an der Grenze von Poesie und Prosa und können nur mit grösster Behutsamkeit 'verbessert' werden, wie es hier und da ML" (= das lateinische Missale Romanum Pauls VI.) "tut.

Die Redaktoren von MD" (deutsches Missale Romanum Pauls VI.) "haben wohl gewusst, dass sie diese Art der Poesie nicht nachahmen können oder dass sie es doch nur in beschränktem Umfang tun können. Vielleicht haben sie die Schönheit des Originals zu radikal aufgegeben" (Josef Pascher, Die Orationen des Missale Romanum Papst Pauls VI., St. Ottilien 1982, 120).

Die Instruktion Liturgiam Authenticam von 2001 fordert für Neuübersetzungen der liturgischen Bücher wieder eine grössere Nähe zum lateinischen Original, soweit dies möglich ist.

In der Form der lateinischen Originale fällt der stets gleichbleibende Aufbau im Wechsel paralleler und antithetischer Gegenüberstellungen von Satzteilen oder Wörtern auf. Als typische rhetorische Figuren, die zum kunstvollen Gepräge der Präsidialgebete beitragen, treten neben Parallelismus und Antithese Anapher, Chiasmus, Hyperbaton und Zäsur in Erscheinung. Aber auch Klangfiguren wie die Alliteration, das Homoeoteleton oder die Onomatopoiie sind nicht selten anzutreffen.

Einige Beispiele aus dem Missale Romanum (hier Pauls VI.) mögen veranschaulichen, wie rhetorischer Schmuck (ornatus) die Orationen durchzieht und ihnen eine ihrem theologischen Inhalt angemessene edle und schöne Gestalt verleihen:

Einen Parallelismus (membrorum) lassen die Oratio super Oblata und die Postcommunio der Tagesmesse (Missa in Die) von Weihnachten erkennen. Im folgenden ersten Beispiel wird im Relativsatz die "nostrae reconciliationis placatio" der "divini cultus plenitudo" kunstvoll gegenübergestellt, wobei die am Ende positionierten Substantive "placatio" und "plenitudo" einerseits als Alliteration, andererseits als Onomatopoiie einen besonders schönen klanglichen Effekt bewirken.

Im zweiten Beispiel entsprechen ebenso "actor" und "largitor", die zugleich als Homoeoteleuta der Oration eine auffallend akustische Note geben, die ihre Gegenüberstellung und Hinordnung nochmals klanglich unterstreicht.

Oblatio tibi sit, Domine hodiernae sollemnitatis accepta,

qua et nostrae reconciliationis processit placatio

et divini cultus nobis est indita plenitudo.

Per Christum Dominum.

Praesta, misericors Deus,

ut natus hodie Salvator mundi

sicut divinae nobis generationis est auctor,

ita et immortalitatis sit ipse largitor.

Eine auffallende Anapher findet sich in der Collecta des 2. Sonntags nach Ostern:

Deus misericordiae sempiternae,

qui in ipso paschalis festi recursu

fidem sacratae tibi plebis accendis,

auge gratiam quam dedisti,

ut digna omnes intelligentia comprehendant,

quo lavacro abluti,

quo spiritu regenerati,

quo sanguine sunt redempti.

Per Dominum.

Der 5. Sonntag nach Ostern zeigt in der Collecta einen Chiasmus sowohl im Gott lobpreisenden Relativsatz als auch im folgenden Finalsatz:

Deus, per quem nobis

et redemptio venit et praestatur adoptio,

filios dilectionis tuae benignus intende,

ut in Christo credentibus

et vera tribuatur libertas et hereditas aeterna.

Per Dominum.

In der reinen Prosa sähe das etwa so aus:
"et redemptio venit et adoptio praestatur ..... et vera libertas et aeterna hereditas tribuatur".

Das Hyperbaton (Sperrung) fällt in der Collecta der Tagesmesse (Missa in Die) des Weihnachtstages auf, wobei weniger inhaltliche als rhythmische Kriterien für dieses auch in reinen Prosatexten beliebte und häufig anzutreffende Stilmittel entscheidend sind. In der lateinischen Kunstprosa tritt die Funktion des Hyperbaton als eines syntaktisch zusammengehörige Begriffe hervorhebendes Stilelementes hinter das Streben des Beters, durch das Hyperbaton einen rhythmischen Wohllaut zu erzielen, zurück:

Deus, qui humanae substantiae dignitatem

et mirabiliter condidisti et mirabilius reformasti,

da, quaesumus, nobis
eius divinitatis esse consortes,

qui humanitatis nostrae fieri dignatus est particeps.

Qui tecum vivit.

Anstatt: "eius divinitatis consortes esse, qui humanitatis nostrae particeps fieri dignatus est".

Schliesslich sei noch eine Oration angeführt, in der eine sog. Zäsur (Einschnitt) erkennbar ist. In der Collecta vom Freitag (hier: Feria sexta post sollemnitatem Epihaniae) der Wochentage in der Weihnachtszeit werden die Verben "reveletur" und "crescat" durch das Adverb "semper" und die koordinierende Konjunktion "et" aus rhythmischen Gründen voneinander getrennt. In der reinen Prosa müsste das Adverb vor den Verben und die koordinierende Konjunktion zwischen ihnen platziert stehen. Also: "semper reveletur et crescat." In der Kunstprosa, wie die Orationen sie meisterhaft darstellen, sieht das jedoch so aus:

Praesta , quaesumus, omnipotens Deus,

ut Salvatoris mundi, stella duce, manifesta nativitas,

mentibus nostris reveletur semper et crescat.

Per Dominum.

Ebenso verfährt die Oratio super Oblata des 1. Sonntages in der Weihnachtsoktav ("Sonntag der Heiligen Familie"), in der die Substantive "gratia" und "pace" durch das Adverb "firmiter" und die beigeordnete Konjunktion "et" voneinander getrennt werden:

Hostiam tibi plactationis offerimus, Domine,

suppliciter deprecantes,

ut Deiparae Virginis beatique Ioseph

intervienente suffragio,

familias nostras

in tua gratia firmiter et pace constituas.


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