15. Oktober 2008 in Spirituelles
"Es liegt auf der Hand, dass die mentale Versenkung in das Sonnengeflecht oberhalb des Nabels etwas anderes ist als die eucharistische Anbetung oder der demütige Rosenkranz." Eine Grenzziehung auf dem "Jahrmarkt der Spiritualitäten" von Pater Karl Wa
Würzburg (kath.net/Die Tagespost/Zenit.org) Seit einigen Jahren ist der Begriff Spiritualität wieder populär geworden, sodass manche Trendforscher sogar schon ein Zeitalter der postsäkularen Respiritualisierung ausrufen wollen. Jedenfalls würde es heute auch ein nadelgestreifter Topmanager durchaus nicht als abwertend empfinden, wenn er als religiös oder spirituell eingestuft wird; vielleicht schließt ja sein Trainingsplan im Fitness-Center eine halbe Stunde transzendentaler Meditation ein oder er gönnt sich im Wellness Hotel auch etwas aus dem spirituellen Angebot von Reiki, Tai-Chi, Zen, Qi Gong, Yoga oder sonst etwas.
Wir Christen sollten sensibel für die Strömungen des Zeitgeistes sein, Jesus lädt ja ein, auf die Zeichen der Zeit zu achten und sie zu deuten. Den neuen Kult um die Spiritualität dürfen wir weder ignorieren noch naiv bejubeln. Zuvor gilt es klar zu machen, was wir unter christlicher Spiritualität verstehen, denn es liegt auf der Hand, dass die mentale Versenkung in das Sonnengeflecht oberhalb des Nabels etwas anderes ist als die eucharistische Anbetung oder die biblische Betrachtung oder der demütige Rosenkranz. Eine Grenzziehung ist unerlässlich! Und um zu beurteilen, wo die Unterschiede zwischen christlicher Spiritualität und nichtchristlicher Spiritualität liegen, müssen wir zunächst einmal wissen, was wir unter christlicher Spiritualität verstehen.
Die Initiative zur Verbindung liegt bei Gott
Faktum ist zunächst einmal, dass wir Christen immer schon Spiritualität hatten, auch als wir noch viel schlichter von Frömmigkeit, Gläubigkeit oder Gebet gesprochen haben. Für uns ist Spiritualität die konkrete Anwendung des Glaubens an den offenbarenden Gott, denn der entscheidende und folglich unterscheidende Aspekt der christlichen Religion besteht darin, dass Gott von sich her in dieser Welt gegenwärtig geworden ist. Die Initiative zur religiösen Verbindung von Gott und Mensch liegt bei Gott.
Der Eintritt Gottes in unsere Wirklichkeit beginnt im Alten Testament, als Gott sich in Gesetz, Weisheit und in der Geschichte Israels ausspricht. Und wo Gott von sich aus zu uns Menschen herüberspricht, dort kann der Mensch hinübersprechen. Biblische Spiritualität trägt immer den Charakter der menschlichen Reaktion auf eine göttliche Aktion, der menschlichen Antwort auf ein göttliches Wort: Gott spricht zuerst, der Mensch ist frei zu antworten.
Ist es nicht beachtlich, dass wir nirgendwo in der Bibel ein selbstisches Sich-Erobern-Wollen Gottes finden? Im Gegenteil. Biblische Spiritualität entsteht immer erst nach einem großen Erschrecken, nach einer Erfahrung, die keineswegs herbeimeditiert worden ist: Es ist geradezu der nicht-suchende Mensch, der von Gott gesucht und angesprochen wird. Und der Mensch reagiert mit Erschrecken: Mose, Abraham, Jesaja, Jeremia, Jona, Ezechiel und wie sie alle heißen, werden geradezu überrumpelt.
Um es pointiert zu sagen: Auch Maria hat sich nicht im meditativen Lotussitz durch die Rezitation reinigender Mantren eine wohlige Erleuchtung herbeigemurmelt, sondern sie wird, ohne es erwartet zu haben, mitten in ihrer Lebenswirklichkeit von Gott angerufen und sie erschrickt.
Ihr Erschrecken verbürgt uns den großen Unterschied: Hier sucht nicht der Mensch nach Gott, sondern hier findet Gott den Menschen (Lukas 1,29). Unsere christliche Spiritualität ist deshalb davon überzeugt, dass wir mit unseren Gebeten, unserem Kult, unseren Betrachtungen und Meditationen Gott wirklich erreichen können, weil Er uns schon zuvor erreicht hat, in unserer Geschichte.
Wir wissen uns von Gott in einen Dialog gerufen, von einem Gott, der nicht ein nebulöses Irgendetwas-wird-es-schon-geben ist, nicht eine feucherbachsche Projektion unserer aufpotenzierten Wunschvorstellungen, sondern ein liebendes Du. Ein Du freilich, dass uns im Dialog Freiheit lässt: ein Gott, mit dem man feilschen kann wie Abraham um Sodom und Gomorra (Genesis 18), gegen den man argumentieren kann, wie Jesaja und Jeremia in ihrer Berufungserfahrung (Jesaja 6,5; Jeremia 1,6), mit dem man streiten kann, wie Mose das in der Wüste (Exodus 32,11), ja gegen den man hadern kann, wie der verzweifelte Kranke in Psalm 88.
Schon im Alten Testament eröffnet sich dieses Charakteristikum einer Spiritualität des freien Dialoges; die neutestamentliche Offenbarung freilich erfüllt und überbietet sie: Denn wo der eine und einzige Gott-Jahwe bei aller Annäherung doch ganz in einer Sphäre der Erhabenheit und Unzugänglichkeit verhüllt war, überspringt er nun von sich aus nochmals radikal unerfindlich die Grenze zu uns hin.
In der Menschwerdung seines Sohnes spricht Gott nicht nur prophetisch-vermittelte Worte zu uns, sondern sein Wort, der Sohn selbst wird einer von uns, um uns sein Wesen als versöhnende Liebe kraft seiner Hingabe am Kreuz vor Augen zu stellen.
Es ist bedeutungsvoll, dass schon die Menschwerdung des göttlichen Wortes durch den Geist gewirkt wird, dass dieser Geist Jesus in seinem irdischen Leben leiten wird, dass Jesus diesen Geist aber von Kreuz und Auferstehung weg gleichsam freigeben wird. Spiritualität kommt von spiritus, Geist. Geist gibt es in allen Religionen, Geist ist das Zauberwort so mancher Philosophie.
Doch der Geist, den wir meinen, ist der Geist Jesu Christi. Nie gibt es im Christentum Spiritus und Spiritualität ohne Christus (vgl. 1 Korinther 12,3; 2 Korinther 3,17). Christus haucht am Kreuz diesen Geist in die Welt aus (Markus 15,37), am Ostermorgen haucht er ihn seinen Jüngern ein (Johannes 20,22), am Pfingsttag befeuert er die Kirche mit diesem Geist (Apostelgeschichte 2,3).
Im Unterschied zu allen anderen Formen von Spiritualität muss die christliche Frömmigkeit daher das Göttliche nicht erst mit Riten, Kulten und Gebeten entdecken und erobern. Der Geist liegt uns immer schon voraus, ja er ist uns zugrunde, weil er bei der Taufe im Glauben in unsere Herzen (Galater 4,6) eingegossen ist. Christliche Spiritualität ist daher von der Gefahr befreit, bloß selbstisches und egomanisches Tun zu sein, wo das Ich doch immer nur beim Ich landet.
Authentische christliche Spiritualität geschieht dort, wo uns Christi Geist von innen her auf das große Du Gottes öffnet: So nimmt sich der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. (Römer 8,26).
Östliche Meditationstechniken führen nicht zum liebenden Du
Halten wir also fest, dass für uns niemals Spiritualität gleich Spiritualität sein kann. Es kann uns nicht egal sein, wie die Menschen heute mit dem Göttlichen in Verbindung treten. Die Respiritualisierung, die heute im außerchristlichen Bereich läuft, ist zwar Ausdruck einer tiefen Ursehnsucht des Menschen. Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Gott, hat Augustinus seine Gefühle während der Jahre seiner verzweifelten Suche nach dem wahren Gott beschrieben. Aber wie leicht bleibt der Spirituelle bloß in seinen eigenen Vorstellungen stecken.
Natürlich werden wir zum Beispiel anerkennen, dass die Nirwana-Spiritualität des Ostens von klugen philosophischen Prinzipien ausgeht. Doch vertröstet sich in dieser religiösen Haltung nicht doch bloß das kleine Ich mit der Illusion, von sich selbst aus mit dem Ganzen eins werden zu können? Bleibt nicht doch schwarz immer schwarz, weiß immer weiß wie im Yin-Yang-Symbol, also folglich auch endlich immer endlich?
Natürlich kann der Ausstieg aus der Weltwirklichkeit durch östliche Meditationstechniken psychologisch beruhigend sein und von vielen in unserer mörderischen westlichen Businessgesellschaft durchaus als positiver Stressabbau und relaxte Harmonieerfahrung hilfreich empfunden werden. Aber führen diese Erfahrungen wirklich hinaus in die Weite des Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat? Stiften sie einen letzten Sinn?
Und die Esoterik wird man fragen müssen, ob nicht all die Empfindungen von Urkräften im eigenen Ich, welche sie zu aktivieren vorgibt, etwas anderes sind als eine Form weltflüchtiger Psychologie? Öffnet das alles wirklich auf ein letztes liebendes Du, wie es uns im christlichen Gebet dialogisch gegenübersteht?
Auf dem Jahrmarkt der Spiritualitäten und religiösen Vorstellungen stehen wir vor der Notwendigkeit, die Abgrenzungen aufzuzeigen, die zwischen dem Geplänkel des Religiösen und der christlichen Spiritualität liegen. Dazu müssen wir auch ganz einfach wieder wissender werden: wir müssen besser wissen, woran wir glauben.
Der Gott der Offenbarung ist anders als der religiös Erdachte
Denn wir sind nicht Mächten, Kräften und Gewalten unterworfen, wir hängen nicht vom Kreislauf der Gestirne und Mondzyklen ab, sondern von dem Gott, der sich uns als Liebe geoffenbart hat. Voraussetzung für eine gesunde christliche Spiritualität ist daher auch, dass wir über die Unterschiede unseres Glaubens gegenüber anderen Religionen Bescheid wissen.
Auch im Vergleich mit dem Islam, der durch, ja gerade durch sein alttestamentlich beeinflusstes Gottesbild und seine simplen Gebotsfrömmigkeit mittlerweile immer mehr Europäer fasziniert, sind die Unterschiede größer als die Ähnlichkeiten. Es ist etwas anderes, ob einer sich aus der Haltung der Unterwerfung Islam bedeutet ja Unterwerfung vor einem Unsichtbaren, Weltfernen und Allgewaltigen namens Allah mit dem Gesicht voran in den Staub drückt, oder ob einer sich vor dem Tabernakel hinkniet, wo jener Gott, den er in der Hostie auf Knien anbetet, immer noch viel kleiner und demütiger ist, als der Beter sich je machen könnte.
Es ist ein Unterschied, ob einer sich vor einem weltfernen Allah niederbeugt, oder ob einer einen Gott anbetet, der uns nicht nur auf Augenhöhe gleich werden wollte, sondern der unsere Niedrigkeit nochmals unterboten hat durch sein Kreuz und seinen Abstieg in das Reich des Todes? Spiritualität ist nicht gleich Spiritualität, weil Glaube nicht gleich Glaube ist, und weil der Gott der christlichen Offenbarung ganz anders ist als das von den Religionen Erahnte, aus dem sie sehr unterschiedliche Vorstellungen von Gott entwickelt haben.
Der Trend zu Meditation, zu Esoterik und all dem diffusen und vielfältigen Spirituellen, aber auch zu Wallfahrt- und Klosterboom muss uns motivieren, selbst wieder die spirituellen Dimensionen des christlichen Glaubens zu entdecken und spiritueller zu werden. Und Gewissenserforschung würde uns auch gut tun:
Was stimmt nicht mit unseren Gottesdiensten, dass sie als langweilige Kultakte empfunden werden? Ist unsere Liturgie zu kopflastig und damit hirnbelastend geworden? Ist das Mysteriale im Fleischwolf des Zerredens zugrunde gegangen? Warum atmen die Leute lieber in teuren Meditationsseminaren östlicher Gurus durch anstatt in unseren Kirchen?
Unsere Kernkompetenz als Christen ist die Verbindung der Menschen mit Gott, auf allen Ebenen. Und es ist ja gar nicht unsere Arbeit, die Menschen mit Gott zu verbinden, Gott tut das schon selbst. Um unseren Gott müssen wir uns keine Sorgen machen, er ist eine Wirklichkeit, die sich selbst beweist, die sich selbst vermittelt, die sich selbst in die Herzen der Menschen einpflanzt und ihre Sehnsucht stillt.
Wir müssen nur die Vorbedingungen dazu schaffen, dass er auch heute Menschen anrührt und mit seiner Gnade überrascht, ja erschrickt. Wenn die Schrift davon berichtet, wie sich die Wirklichkeit Gottes in die Wirklichkeit der Menschen hinein vermittelt, dann spricht sie von Wundern und Zeichen. Unsere Aufgabe wird es zusehends sein, auf das Voraus des göttlichen Geistes unbedingter zu vertrauen. Wir sind es dem fundamentalsten Dogma des christlichen Glaubens, dem Glauben an die Selbstoffenbarung Gottes, einfach schuldig, dass wir in unserer Spiritualität auch wieder stärker darauf vertrauen, dass es Gott selbst ist, der in unseren Gebeten, unseren Liturgien und in der Feier der Sakramente anwesend werden möchte.
Eine Religion, die von ihrem Herrn die gewisse Zusicherung hat, dass Er bei uns sein wird alle Tage bis ans Ende der Welt (Matthäus 28,20), darf die Verheißung gottmächtiger Gegenwart nicht den Gurus und Quacksalbern, den Wunderheilern und Magiern, den Spiritisten und Okkultisten überlassen. Darum müssen wir alles tun, um selbst aus einer authentischen christlichen Spiritualität zu leben.
Wenn unsere Gebete, unsere Gottesdienste, unsere liturgischen Feiern von dem Vertrauen getragen sind, dass die Gnadenwelt Gottes in unsere hereinreicht, dass der Mund des auferstandenen Herrn gerade heute die Menschen in ihrer unösterlichen Finsternis mit dem Heiligen Geist anhauchen möchte, dann werden wir über die Wunder einer echten Spiritualisierung, nämlich einer christlichen, staunen dürfen.
Der Zisterzienserpater Professor Karl Wallner ist Rektor der Päpstlichen Philosophisch-Theologischen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz und ebendort Professor für Dogmatik.
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