Buddhismus light – Europas süßeste Versuchung, seit es Religionen gibt

9. August 2008 in Chronik


Ein Kommentar von Guido Horst / Die Tagespost


Rom (kath.net/DieTagespost)
Kein Gott, kein Dogma, keine ewige Seele. Atheismus von seiner schönsten Seite. Für Reproduktionsmediziner und Embryonenforscher müssen die fernöstlichen Weisheiten ein wahrer Segen sein. Denn die Lehre, die der Dalai Lama so prominent verbreitet, hat nichts mehr zu tun mit dem christlichen Personenbegriff.

Dass die in den vergangenen Jahren beschworene Rückkehr des Religiösen nicht bei der katholischen Kirche zu Buche geschlagen hat, haben deren Verantwortliche kaum bemerkt. Zu sehr mit dem Rückbau der Strukturen pfarrlicher Seelsorge beschäftigt, stellt sich dem pastoralen Management eine ganz andere Herausforderung: Da wo Pfarrgemeinden zusammengelegt und Kirchen geschlossen werden, beenden viele – meist ältere – Gläubige ihren regelmäßigen Gottesdienstbesuch. Zwar mag der religiöse Grundwasserspiegel in Deutschland wieder gestiegen sein. In Feuilletons, bunten Magazin und Illustrierten, aber auch im Kino und im Boulevard ist die Frage nach Gott und der Übernatur nicht mehr tabu. Doch ein Aufbruch in den kirchlichen Gemeinden wurde daraus nicht.

Wer einen Niederschlag der Renaissance des Religiösen mit den Händen greifen will, muss ganz woanders suchen, etwa beim FC Bayern. Dort überraschten Buddha-Statuen die Öffentlichkeit, als Neu-Trainer Jürgen Klinsmann Anfang Juli im zum „Leistungszentrum“ umgewandelten Stammsitz des Münchener Edel-Vereins seine Arbeit aufnahm. Es war die Idee des Innenarchitekten Jürgen Meißner, den der schwäbische Kalifornier beauftragt hatte, für einen „guten Energiefluss“ (Klinsmann) zu sorgen. Die Neuzugänge aus Fernost stehen nicht nur auf dem Dach des Clubhauses, sondern auch im Inneren an Fensterbänken oder auf dem Boden.

Nur ein Modegag? „Wohl kaum. Seit längerem beobachte ich, dass es bei vielen Menschen im Westen sehr beliebt ist, sich eine Buddhafigur ins Regal, ins Schaufenster oder ins Büro zu setzen“, erklärte Genpo Döring, Ehrenvorsitzender der Deutschen Buddhistischen Union (DBU), gegenüber der Münchener „Abendzeitung“. Im Buddhismus wolle man die Reinheit und Vollkommenheit des Geistes aus eigener Kraft erreichen. Die Bayern sollten in sich ruhen.

Und was sagen die Kicker des Star-Vereins zu den Buddhas? „Wer bei ihrem Anblick seine Ruhe findet, für den ist es okay“, meinte Mittelfeldspieler Mark van Bommel und fügte lächelnd hinzu: „Ich habe das Gefühl, dass die Figuren uns beobachten.“ Der aus Belgien stammende Abwehrspieler Daniel van Buyten hat sogar eine Figur zu Hause, „die ich mal in Frankreich gekauft habe. Für mich ist es nicht nur Dekoration, der Buddha gibt mir Ruhe und Kraft. Ich habe ihn in einem Leseraum stehen, in den ich mich zurückziehe“.

„Auf dem

ökumenischen

Kirchentag 2005

in Berlin wurde der Dalai Lama so

begeistert empfangen, wie es sonst nur den Päpsten auf

Weltjugendtagen

geschieht. Hier zeigt sich der Atheismus von seiner schönsten Seite. Denn der Buddhismus ist eine Religion

ohne Gott“

Rückzug in die religiöse Innerlichkeit, kein Auftritt in der Gemeinde. Vorbei sind die Zeiten, in denen die orangerot gewandeten Jünger der Bhagwan-Sekte in Pulks durch die deutschen Innenstädte tanzten. Man muss auch nicht besonders friedfertig sein, um sich Buddhist nennen zu können. Die italienische Komikerin Sabina Guzzanti, die im Juli auf einer Anti-Berlusconi-Veranstaltung in Rom bei einem verbalen Rundumschlag auch Papst Benedikt in die Hölle verpflanzte, wo er dereinst von Homos und Lesben gequält würde, bezeichnet sich als bekennende Anhängerin dieser Religion. Und man muss nicht mehr in den fernen Osten reisen, um sich seinen Lehrmeister zu suchen. Die Zahl buddhistischer Gemeinschaften steigt in Europa stetig und schnell: In Deutschland etwa von fünfzehn Gruppen Anfang der siebziger Jahre auf über sechshundert heute. Die „Deutsche Buddhistische Union“ schätzt die Zahl der praktizierenden Buddhisten auf mehr als zweihunderttausend. Was Sympathisanten betrifft, so sind es wohl Millionen. In den buddhistischen Zentren gibt es Kurse und Schulungen zu allen Lebenslagen, mal fürs Herz, mal fürs Hirn. Die Deutschen können zwischen den Hauptrichtungen wählen: „Theravada“ aus Sri Lanka, Thailand und Burma, „Zen“ aus China, Japan und Korea sowie dem „Tibetischen Buddhismus“, der auch im indischen Ladakh, in der Mongolei und in Bhutan gelehrt wird. Die beliebteste Technik ist das „Vipassana“, eine Atemschulung, die Achtsamkeit und Einsicht fördern soll.

Kaum hatten die Zeitgeist-Spezialisten von Wolfram Weimer (Cicero) bis Matthias Matussek (Der Spiegel) über die Rückkehr der Religion gejubelt, meldeten sich auch die handfesten Atheisten zu Wort: Richard Dawkins etwa, der mit seinem Buch „Der Gotteswahn“ zu einem Publikumsmagneten der jüngsten Frankfurter Buchmesse wurde. Doch seine Thesen klingen seltsam unerleuchtet, vom Christentum versteht er nichts, in der Argumentation ist er geschwätzig und nicht selten aggressiv. Ganz anders der Buddhismus und sein prominentester Botschafter, der in aller Welt neue Anhänger Buddhas sammelt: der Dalai Lama. Auf dem ökumenischen Kirchentag 2005 in Berlin wurde er so begeistert empfangen, wie es sonst nur den Päpsten auf Weltjugendtagen geschieht. Hier zeigt sich der Atheismus von seiner schönsten Seite. Denn der Buddhismus ist eine Religion ohne Gott, eine Lehre ohne Dogma und die Weisheiten Buddhas waren alles andere als göttliche Botschaften.

Etwa um 563 vor Christus als wohlbehüteter Spross einer indischen Fürstensippe geboren, erlebte Siddhartha Gautama mit 29 Jahren zum ersten Mal alte gebrechliche Männer und sah Kranke, die sich in ihren Exkrementen wälzten. Da begriff er, dass Leid zum Leben gehört wie der Blitz zum Donner. Er machte sich, von Trauer getrieben, auf eine Wallfahrt nach höherer Erkenntnis. Suchte nach Wegen, das Leid zu überwinden. Sechs Jahre marterte er Kopf und Körper. Dann war für ihn klar, dass Leiden oft nur der selbstsüchtigen Gier des Menschen nach Glück, Reichtum und Ruhm entspringt, dass alles relativ ist, nichts von Dauer und jeder Moment nur ein flüchtiger Augenblick. Als ihn die vollkommene „Erleuchtung“ traf, war er 35 Jahre alt und damit der erste Buddha.

Doch kein Gott steht im Mittelpunkt dieser Erleuchtung, sondern die stete Wiedergeburt, die Weitergabe des guten und schlechten Karma und das Verlassen dieses Kreislaufs im Nirvana. Dieses ist kein Himmel und keine greifbare Seligkeit im Jenseits. Nirvana ist ein Abschluss, kein Neubeginn in einer anderen Sphäre, sondern eher ein Zustand der Zustandslosigkeit, in dem alle Vorstellungen und Wunschgebilde überwunden und gestillt sind. Auch tritt das Nirvana nicht erst mit dem Tod ein – Buddha selbst lebte und unterrichtete noch 45 Jahre, nachdem er Nirvana erreicht hatte. Das endgültige Aufgehen oder „Verlöschen“ im Nirvana erfolgt nach dem Tod.

„Der Buddhismus light als Europas Religion für morgen? Der Clou bei dieser Vision: Da wo heute Halbmond und Krummsäbel herrschen, hatte in früheren

Zeiten der Buddhismus die Seelen eingeschläfert. Wenn Europa

buddhistisch würde, müsste der Islam nicht zürnen: Auch dann wäre Europa für ihn noch nicht verloren“

In den meisten Veröffentlichungen über den Buddhismus wird ein indischer Mystiker aus dem achten Jahrhundert zitiert, der gesagt haben soll: „Wenn der Eisenvogel fliegt und Pferde auf Rädern dahinrollen, wird der Buddhismus in Richtung Westen wandern und in die fernsten Länder kommen.“ Wie dem auch sei, als Flugzeuge flogen und Eisenbahnen rollten, trat der Buddhismus seine Reise in den Westen an. Nur knapp hundert Jahre hat er gebraucht, in Deutschland Fuß zu fassen. 1903 gründete der Leipziger Privatgelehrte Karl Seidenstücker den „Buddhistischen Missionsverein“. Bald darauf wurde der erste Deutsche buddhistischer Mönch: Anton Güth. 1924 beförderte der Arzt Paul Dahlke eine Gründerzeitvilla in Berlin-Frohnau zu einem buddhistischen Zentrum, in dem heute vor allem Mönche aus Sri Lanka leben. Die deutschen Buddhisten waren damals beeinflusst von den Ideen des Philosophen Arthur Schopenhauer, der 1854 „den Verfall des Christentums“ kommen sah: „Dereinst wird sich gewiss indische Weisheit über Europa verbreiten.“

Doch die wenigsten Europäer, die mit dem Buddhismus sympathisieren, begeben sich auf den steinigen Achtfachen Pfad, um selber zum „Erleuchteten“, zu einem Buddha zu werden. Dem Westler genügt der Buddhismus als Lebensgefühl, als „guter Energiefluss“ (Klinsmann), als religiöser Kick, der die leidige Gottesfrage und die Kirche erst recht nicht mehr braucht. Vor allem kennt der Buddhismus keine „ewige Seele“ und damit nicht den Begriff der Person, wie ihn die griechisch-jüdisch-christliche Tradition herausgearbeitet hat. Ein Segen für Reproduktionsmediziner und Embryonenforscher, für Fans des Klonens und der Euthanasie, für Bio-Klempner und Sterbehelfer. Der abzutötende Embryo in der Petrischale hat zwar eine Menge Karma. Aber es wird ja nur in die nächste Runde geschickt, in den nächsten Kreislauf des Lebens, bevor am Ende für alle das Verlöschen im Nirvana steht.

Der Buddhismus light als Europas Religion für morgen? Der Clou bei dieser Vision: Bevölkerungsgruppen in Asien, in denen der Buddhismus vorherrschend war, waren in der Vergangenheit besonders anfällig für die islamische Mission. Da wo heute Halbmond und Krummsäbel herrschen, hatte in früheren Zeiten der Buddhismus die Seelen eingeschläfert. Wenn Europa buddhistisch würde, müsste der Islam nicht zürnen: Auch dann wäre Europa für ihn noch nicht verloren.


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