14. Juli 2008 in Weltkirche
Die Sommerresidenz der Päpste im II. Weltkrieg - Von Ulrich Nersinger
Castel Gandolfo (kath.net)
Seit fast vier Jahrhunderten pflegen die Päpste sich für die Zeit des heißen römischen Sommers in die Albaner Berge zu begeben, nach Castel Gandolfo. Der klimatisch angenehme Ort liegt ungefähr fünfundzwanzig Kilometer südöstlich von Rom entfernt, mit einem herrlichen Ausblick auf den Lago di Albano. Der exterritoriale Besitz der Päpste vor den Toren der Ewigen Stadt ist bedeutend größer als die Vatikanstadt selber; auf ihm befinden sich unter anderem der Apostolische Palast mit seinen Gärten, die Sternwarte des Heiligen Vaters, ein ökologisch geführter Bauernhof, die Villa Cybo und die Villa Barberini.
Während des Zweiten Weltkrieges wurde die päpstliche Sommerresidenz zur Zufluchtsstätte für fast 15.000 Menschen. Als im September 1943 deutsche Truppen die Ewige Stadt besetzten und SS und Gestapo ihr verbrecherisches Handwerk auch in Rom ausübten, ordnete Pius XII. (Eugenio Pacelli, 1939-1958) an, in Gotteshäusern, Klöstern und kirchlichen Einrichtungen Verfolgten Zuflucht zu gewähren.
Vor allem die exterritorialen Besitzungen des Heiligen Stuhls nahmen viele Flüchtlinge auf, unter ihnen auch Tausende Männer, Frauen und Kinder mosaischen Bekenntnisses. Der Heilige Stuhl sah sich in die schwierige Pflicht genommen, den kaum möglichen Spagat zu wagen, einerseits seine Neutralität in diesem Krieg zu wahren, andererseits aber allen, die um seine Hilfe baten, diese auch zukommen zu lassen.
Eine Reihe von Zwischenfällen zu Beginn der deutschen Besatzung zeigte, dass der Vatikan, seine Besitzungen in Rom und die päpstlichen Villen in den Albaner Bergen erkennbar ge¬schützt werden mussten. Als Schutztruppe für die exterritorialen Gebiete bestimmte Pius XII. die Päpstliche Palatin-garde. Das Korps war 1850 als Miliz römischer Bürger begründet worden; es leistete bei Papstmessen und sonstigen feierlichen Zeremonien im Vatikan Ordnungs- und Ehrendienste. Da die Mannschaftsstärke von fünfhundert Mann für die neue Aufgabe nicht ausreichte, wurde mit Zustimmung des -Papstes die Anwerbung von Hilfsgardisten betrieben 16.000 Aufnahmeanträge (!) gingen beim Kommando des Korps ein. Noch im Oktober des Jahres 1943 wurde eine Abteilung der Päpstlichen Palatingarde nach Castel Gandolfo verlegt.
Die Landung anglo-amerikanischer Verbände bei Anzio und Nettuno (20. Januar 1944) brachte die Bevölkerung der Albaner Berge in beträchtliche Gefahr. Die unbeteiligten Zivilisten drohten zu Opfern der Kämpfe zwischen der deutschen Wehrmacht und den Alliierten zu werden. Pius XII. befahl, die Pforten seiner Sommerresidenz nun auch offiziell zu öffnen ohne dass nach Herkunft, Religion oder politischer Gesinnung gefragt wurde. Im Hause des Vaters ist jeder willkommen hatte der Papst zu Monsignore Giovanni Battista Montini, einem seiner engsten Mitarbeiter und dem späteren Papst Paul VI. (1963-1978), gesagt. Monsignore Montini bekam auch den Auftrag, die Flüchtlinge mit Matratzen, Decken und Lebensmitteln zu versorgen.
Seine Privatgemächer hatte der Papst werdenden Müttern zur Verfügung gestellt. Sechsunddreißig Kinder kamen im Apostolischen Palast von Castel Gandolfo wohlbehalten zur Welt, darunter auch ein Zwillingspaar. Die beiden Jungen erhielten von ihren Eltern, den der Kommunistischen Partei nahestehenden Eheleuten Zevini, die Vornamen Eugenio und Pio. Sie sollten nicht die einzigen bleiben, die in diesen Tagen aus Dankbarkeit auf die Namen des Papstes getauft wurden. Die eineiigen Zwillinge Eugenio und Pio Zevini sind noch heute fest davon überzeugt, dass sie ihr Überleben Pius XII. verdanken.
Aber auch in der Sommerresidenz des Papstes musste dem Krieg Tribut gezollt werden. Am 1. Februar warfen alliierte Geschwader Bomben über Albano und Castel Gandolfo ab auch auf die päpstlichen Villen, obwohl an deren Gebäude die gelbweißen Flaggen des neutralen Vatikanstaates wehten.
Offiziere und Mannschaften der Palatingarde leisteten sofort Hilfe. Sie transportierten die Verletzten in die Notquartiere, holten Verwundete und Tote darunter sechszehn Klarissinnen aus den Trümmern hervor. Neun Tage später sollte sich das ganze schreckliche Szenario wiederholen; nur das diesmal noch mehr Tote und Verletzte zu beklagen waren allein im dortigen Kolleg der Propaganda Fide hatten fünfhundert Menschen ihr Leben verloren.
In Castel Gandolfo und Umgebung ist bei vielen älteren Menschen die Erinnerung an diese Zeit nicht verblasst. Diejenigen von ihnen, die damals im Sommersitz des Papstes Zuflucht gefunden hatten, empfinden noch immer Dankbarkeit gegenüber Pius XII., der alles nur Menschenmögliche tat, um Menschenleben zu erhalten und vorstellbare Leiden zu lindern (Papst Paul VI. beim sonntäglichen Angelusgebet vom 9. März 1975).
Foto: (c) Fotoarchiv Nersinger
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