Warum es Papst und Apostel gibt

15. Juni 2008 in Spirituelles


Ein Kommentar von P. Cantalamessa zum XI. Sonntag im Jahreskreis.


Rom (www.kath.net/ Zenit)
Die Kirche ist nicht für sich selbst da, sondern für die anderen. Das betont der Prediger des päpstlichen Hauses, P. Raniero Cantalamessa OFM Cap., in seinem Kommentar zum XI. Sonntag. Die Kirche ist für die Welt, für die Menschen da - insbesondere für alle, die müde und erschöpft sind oder schwere Lasten zu tragen haben.

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Im Evangelium dieses Sonntags findet sich die offizielle Vorstellung des Apostelkollegiums: „Die Namen der zwölf Apostel sind: an erster Stelle Simon, genannt Petrus…“ Es findet sich hier ein klarer Hinweis auf den Primat des Petrus im Kollegium der Apostel, denn es heißt nicht: „erster Petrus, zweiter Andreas, dritter Jakobus…“, so als handelte es sich um eine einfache Aufzählung.

Petrus wird in dem Sinn als erster angeführt, dass er den anderen vorsteht, dass er der Wortführer ist, der sie alle repräsentiert. Jesus wird später im selben Evangelium des Matthäus den Sinn des „Er ist der erste“ näher erläutern, wenn er sagt: „Du bist Petrus, und auf diesem Felsen werde ich meine Kirche errichten.“

Aber ich möchte nicht beim Primat des Petrus verweilen, sondern vielmehr bei dem Grund, der Jesus dazu veranlasste, die Zwölf zu wählen und sie auszusenden. Dieser Grund wird so beschrieben: „Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ Jesus sah die vielen Menschen und verspürte Mitleid: Das veranlasste ihn, die Zwölf zu wählen und sie auszusenden, um zu predigen, zu heilen, zu befreien…

Es handelt sich hier um einen wertvollen Hinweis. Er will besagen, dass die Kirche nicht für sich selbst existiert, zu ihrem eigenen Nutzen oder zu ihrem eigenen Heil. Sie existiert für die anderen, für die Welt, für die Menschen, und ganz besonders für die Müden und Unterdrückten.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat ein ganzes Dokument (Gaudium et Spes) dazu verwandt, um dieses „Sein für die Welt“ der Kirche ins Licht zu setzen. Es beginnt mit den wohl bekannten Worten: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände.“

„Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ Die Hirten von heute, vom Papst angefangen bis hin zum letzten Landpfarrer, erscheinen uns in diesem Licht als Verwalter und Fortsetzer des Mitleids Christi.

Der betrauerte vietnamesische Kardinal Van Thuan, der 13 Jahre in den kommunistischen Gefängnissen seines Landes verbracht hatte, sagte in einer Meditation, die er vor dem Papst und der Römischen Kurie hielt: „Ich träume von einer Kirche, die eine stets offene ‚Heilige Pforte‘ ist, die alle umfasst, voll des Mitleids, die die Beschwerlichkeiten und Leiden der Menschheit versteht; eine Kirche, die schützt, tröstet und jede Nation zum Vater führt, der liebt.“

Die Kirche muss die Sendung des Meisters nach dessen Heimgang fortsetzen, die Sendung des Meisters, der sagte: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Das ist das menschliche Angesicht der Kirche, das am meisten die Seelen mit ihr versöhnt und ihre vielen Mangel und Armseligkeiten vergeben lässt.

Pater Pio von Pietralcina wollte das von ihm in San Giovanni Rotondo gegründete Krankenhaus „Haus der Erleichterung des Leidens“ nennen – ein wunderbarer Name, der aber auch auf die ganze Kirche angewendet werden kann: Die ganze Kirche sollte ein „Haus der Erleichterung des Leidens“ sein. Und zum Teil müssen wir auch anerkennen, dass sie es tatsächlich ist, es sei denn, man verschließt die Augen vor dem immensen Werk der Nächstenliebe und der Hilfe, das die Kirche unter den Ärmsten der Welt verwirklicht.

Dem Anschien nach sind die vielen Menschen, die wir um uns herum sehen – zumindest in den reichen Ländern –, nicht „müde und erschöpft“ wie zur Zeit Jesu. Aber täuschen wir uns nicht! Hinter der sorglosen und üppigen Fassade, unter den Dächern unserer Städte, ist oft viel Müdigkeit, Einsamkeit, Verlorenheit und manchmal sogar Verzweiflung vorhanden.

Es hat sogar den Anschein, dass wir nicht einmal „ohne Hirten“ dastehen, da doch viele Menschen in jeder Nation darum kämpfen, der Hirte der jeweiligen Bevölkerung zu werden, Oberhaupt und Machthaber. Wie viele von ihnen aber sind bereit, die Forderung Jesu in die Tat umzusetzen: „Umsonst habt ihre empfangen, umsonst sollt ihr geben“?


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