Was Joseph Ratzinger in Parma über Galilei sagte

17. Jänner 2008 in Aktuelles


"Der Glaube wächst nicht aus der Bezweiflung der Rationalität, sondern nur aus einer grundlegenden Bejahung und aus einer weiträumigen Vernünftigkeit."


Rom (www.kath.net) Wir dokumentieren einen Ausschnitt einer Rede, die Kardinal Joseph Ratzinger 1990 in Parma hielt. Professoren und Studenten der römischen Sapienzia-Universität hatten mit dieser Rede argumentiert, um gegen eine geplanten Vortrag von Benedikt XVI. zu protestieren. Sie warfen ihm vor, den Prozess der Inquisition gegen Galileo Galilei (1564-1642) gerechtfertigt zu haben. Tatsächlich sagte Joseph Ratzinger ganz andere Dinge. Lesen Sie selbst!

(...) Unsere bisherigen Überlegungen hatten ihren Ausgangspunkt in den Vorgängen des europäischen Ostens genommen, aber wir haben versucht, darin auch immer unsere eigenen Probleme, die Probleme der westlichen Welt und ihrer Ideologien mitzubedenken.

Diesen Aspekt unseres Fragens müssen wir in einem zweiten Teil noch etwas vertiefen, bevor wir Konsequenzen für die Wege des Glaubens heute ziehen können. Drei Aspekte vor allem möchte ich ansprechen: die Krise des Wissenschaftsglaubens, die neue Frage nach dem Geistigen und dem Ethischen und die neue Suche nach Religion.

a) Die Krise des Wissenschaftsglaubens

Der Widerstand der Schöpfung gegen ihre Manipulation durch den Menschen ist im letzten Jahrzehnt zu einem neuen Faktor der geistigen Situation geworden. Die Frage nach den Grenzen der Wissenschaft und nach den Maßen, denen sie zu folgen hat, stellt sich unausweichlich.

Bezeichnend für die Änderung des Klimas erscheint mir die Änderung in der Art und Weise, wie man den Fall Galilei beurteilt. Das im 17. Jahrhundert noch wenig beachtete Ereignis war im Jahrhundert darauf geradezu zum Mythos der Aufklärung überhöht worden: Galilei erscheint als das Opfer des in der Kirche festgehaltenen mittelalterlichen Obskurantismus.

Gut und Böse stehen sich in reinlicher Scheidung gegenüber: Auf der einen Seite finden wir die Inquisition als die Macht des Aberglaubens, als Gegenspieler von Freiheit und Erkenntnis. Auf der anderen Seite steht die Naturwissenschaft, vertreten durch Galilei, als Macht des Fortschritts und der Befreiung des Menschen aus den Fesseln der Unkenntnis, die ihn ohnmächtig der Natur gegenüber hielten. Der Stern der Neuzeit geht über der Nacht des mittelalterlichen Dunkels auf. (1)

Seltsamerweise war Ernst Bloch mit seinem romantischen Marxismus einer der ersten, der sich offen diesem Mythos widersetzte und eine neue Interpretation der Ereignisse anbot. Für ihn beruht das heliozentrische Weltsystem ebenso wie das geozentrische auf unbeweisbaren Voraussetzungen.

Dazu gehöre vor allem die Annahme eines ruhenden Raumes, die inzwischen durch die Relativitätstheorie erschüttert worden ist. Er formuliert: „Indem folglich mit dem Wegfall eines leeren ruhenden Raums keine Bewegung gegen ihn vorkommt, sondern lediglich eine relative Bewegung von Körpern gegeneinander, und deren Feststellung von der Wahl des als ruhend angenommenen Körpers abhängt: so könnte, falls die Kompliziertheit der dabei auftretenden Rechnungen dies eben nicht als untunlich erscheinen ließe, nach wie vor die Erde als feststehend, die Sonne als bewegt angenommen werden.“ (2)

Der Vorsprung des heliozentrischen Systems gegenüber dem geozentrischen besteht demnach nicht in einem Mehr an objektiver Wahrheit, sondern lediglich in einer leichteren Berechenbarkeit für uns. Bis hierher drückt Bloch wohl nur moderne naturwissenschaftliche Einsicht aus.

Erstaunlich ist aber nun die Wertung, die er daraus ableitet: „Nachdem die Relativität der Bewegung außer Zweifel steht, hat ein humanes und ein älteres christliches Bezugssystem zwar nicht das Recht, sich in die astronomischen Rechnungen und ihre heliozentrische Vereinfachung einzumischen, wohl aber hat es das eigene methodische Recht, für die Zusammenhänge der humanen Wichtigkeit diese Erde festzuhalten und die Welt um das auf der Erde Geschehende und Geschehene herumzuordnen.“ (3)

Wenn hier die beiden methodischen Sphären noch deutlich voneinander geschieden und in ihrem jeweiligen Recht wie in ihren Grenzen anerkannt werden, so klingt das Resümee des skeptisch-agnostischen Philosophen P. Feyerabend schon sehr viel aggressiver, wenn er schreibt:

„Die Kirche zur Zeit Galileis hielt sich viel enger an die Vernunft als Galilei selber, und sie zog auch die ethischen und sozialen Folgen der Galileischen Lehre in Betracht. Ihr Urteil gegen Galilei war rational und gerecht, und seine Revision lässt sich nur politisch-opportunistisch rechtfertigen.“ (4)

Unter den Gesichtspunkten der praktischen Wirkung geht zum Beispiel C. F. von Weizsäcker noch einen Schritt weiter, wenn er einen „schnurgeraden Weg“ von Galilei zur Atombombe sieht. Zu meiner Überraschung wurde ich vor kurzem in einem Interview über den Fall Galilei nicht etwa gefragt, wieso die Kirche sich angemaßt habe, naturwissenschaftliche Erkenntnis zu behindern, sondern ganz im Gegenteil, warum sie eigentlich nicht klarer gegen die Verhängnisse Stellung genommen habe, die sich ergeben mussten, als Galilei die Büchse der Pandora öffnete.

Es wäre töricht, auf solchen Auflassungen eine kurzschlüssige Apologetik aufzubauen; der Glaube wächst nicht aus dem Ressentiment und aus der Bezweiflung der Rationalität, sondern nur aus einer grundlegenden Bejahung und aus einer weiträumigen Vernünftigkeit; wir werden darauf zurückkommen. Ich erwähne dies alles nur als einen symptomatischen Fall, an dem sichtbar wird, wie tief die Selbstbezweiflung der Moderne, der Wissenschaft und der Technik heute greift (...)

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Anmerkungen

1 Vgl. W. Brandmüller, Galilei und die Kirche oder Das Recht auf Irrtum (Regensburg 1982).
2 E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung (Frankfurt/Main 1959) 920; vgl. F. Hartl, Der Begriff des Schöpferischen. Deutungsversuche der Dialektik durch E. Bloch und F. v. Baader (Frankfurt/Main 1979) 110.
3 Bloch. a.a.O. 920f.- Hartl 111.
4 P. Feyerabend. Wider den Methodenzwang (Frankfurt/Main 1976, 1983), 206.


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