Otto Habsburg: ‚Für den Glauben kämpfen’

17. März 2007 in Interview


Der langjährige Europa-Parlamentarier im Interview: Junge Menschen müssten in entscheidende Positionen geführt werden. "Hier müssen sie für ihren Glauben eintreten, hier müssen sie ihren Glauben auch verteidigen."


München (www.kath.net/KiN)
Am 25. März 1957 unterzeichneten Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande die Römischen Verträge, darunter den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vorläuferin der heutigen EU.

Woher kommt der europäische Gedanke und was bedeutet er heute noch? Darüber sprach Michael Ragg mit Otto von Habsburg. Der 94-jährige Sohn des selig gesprochenen letzten österreichischen Kaisers Karl I. gehörte zwischen 1979 und 1999 dem Europäischen Parlament an und ist Ehrenpräsident der Paneuropa-Union.

MICHAEL RAGG: Herr von Habsburg, Europa ist in den vergangenen fünfzig Jahren überaus erfolgreich gewesen. Dennoch gibt es eine gewisse Europamüdigkeit. Ist der Europagedanke heute noch wichtig?

Otto von Habsburg: Europa ist für uns an erster Stelle wegen der Sicherheit wichtig. Wir wurden im 20. Jahrhundert mit zwei Weltkriegen und zwei großen totalitären Diktaturen konfrontiert. Die Geschichte lehrt uns, dass nur ein Bündnis der europäischen Länder für den Frieden sorgen kann. Im Habsburger-Reich, also in Österreich-Ungarn, hatten wir verschiedene Nationalitäten und Kulturen. Über viele Jahre hinweg hat hier der Frieden trotz oder gerade wegen dieser Einheit gehalten. Schon hier konnten wir, bis ins 20. Jahrhundert hinein, feststellen, dass eine multinationale Zusammenarbeit sehr erfolgreich sein kann. Dieses Miteinander ist für Europa heute mehr denn je von außerordentlich großer Bedeutung.

Letzter starker Impuls für den Abschluss der Römischen Verträge, mit denen der europäische Zusammenschluss erste rechtliche Konturen bekam, war der Zweite Weltkrieg, während der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg die Völker eher noch weiter auseinandergebracht hat. Warum eigentlich?

Otto von Habsburg: Es gibt ein christliches Friedenskonzept und es gibt ein heidnisches Friedenskonzept. Das heidnische ist das „vae victis“, das „Wehe den Besiegten“ der Römer. Der Krieg ist nach dieser Auffassung dazu da, den Besiegten entweder ganz umzubringen oder aber soweit zu demütigen und zu besiegen, dass er dann nicht mehr auf die Beine kommt.

Der Wiener Kongress von 1815, nach den napoleonischen Kriegen, hat noch zu einem christlichen Friedensschluss geführt, weil man sogar den Besiegten hat mitverhandeln lassen. Damals hat man verstanden, dass ein Krieg nur dann sinnvoll beendet werden kann, wenn man ihn zu einem wirklichen Frieden führt. Es war ja dann tatsächlich ein ganzes Jahrhundert Friede, von kleineren regionalen Konflikten abgesehen.

Doch schon ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts hat das heidnische Konzept begonnen und zwar mit dem amerikanischen Bürgerkrieg, wo erstmals von der „bedingungslosen Kapitulation“ gesprochen worden ist. Der Versailler Friede nach dem Ersten Weltkrieg warleider auch ein Stück weit von diesem Gedanken getragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man daraus schon einiges gelernt und die Besiegten an der Neuordnung beteiligt.

Das politische Europa, das dann entstanden ist, hat ja Vorläufer, vor allem das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Was war das Wesentliche an diesem christlichen Reich, seine Leistung in der Geschichte?

Otto von Habsburg: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war eine Gemeinschaft, in der Menschen verschiedener Sprachen, Sitten und Gebräuche gelebt haben. Das Staats- und Kriegskonzept war ausgesprochen christlich und auch von Toleranz gegenüber Andersgläubigen geprägt. Kaiser Karl V. (1500-1558) hat stets von einem „Orbis Europaeus Christianus“, einem europäisch-christlichen Kreis, gesprochen. Dieser hat, das zeigt die Geschichte, zu allen möglichen Aussöhnungen unter den Völkern führen können.

Nationalismus führt zum Krieg

Trotz der vielen Völker, die ihm angehörten, sprach man damals vom Heiligen Römischen Reich „Deutscher Nation“...

Otto von Habsburg: Ja, aber das war ein ganz anderes Konzept der Nation als dieser enge Nationalismus eines Hitlers oder derer, die zu ihm geführt haben. Das war eine Lebensgemeinschaft, die oftmals verschiedene Sprachen hatte. Schauen Sie, in früherer Zeit hat man auch in Frankreich von den „deutschsprachigen Untertanen des Königs“ gesprochen. Und umgekehrt hat man bei den Deutschen selbstverständlich auch Französischsprachige hineingenommen. Diesen rassistischen Begriff von Nation, unter dem die Welt sehr viel leidet, den hat es nicht gegeben.

Hat dieses Europa so etwas wie eine spezifische Sendung, einen Auftrag in der Geschichte?

Otto von Habsburg: Ein reiner Nationalstaat ist für gewöhnlich aggressiv. Eines der großen Geheimnisse des Heiligen Reiches ist gewesen, dass man selbstverständlich andere Sprachen und andere Religionen akzeptiert hat; die konnten gar keine Kriege gegeneinander führen. Für mich ist das beste Beispiel die Schweiz. Warum hat die Schweiz eine Neutralität zustande gebracht? Weil sie aus drei Nationen zusammengesetzt ist: Italiener, Deutsche und Franzosen. Ein Kampf mit Ländern mit der gleichen Nationalität war unmöglich, hätte zu Problemen innerhalb der Schweiz geführt. Wenn wir jetzt dieses Europa mit den verschiedenen Nationen bilden, werden wir in der Welt genau nach dem Modell der Schweiz eine Art Friedenszentrale werden. Und das ist unsere große Aufgabe.

Ein ähnliches Staatsgebilde war Österreich-Ungarn, das Land, das mit Ihrer Familie ganz besonders verbunden ist. Man sagt ja auch „Habsburger-Reich“ dazu.

Otto von Habsburg: Es hat zwölf Nationalitäten gegeben, mit ihren Sprachen, mit all dem, was sie haben. Das ist heute fast undenkbar geworden. Ich sehe es in Europa nur mehr in einem Land, in Belgien, wo die drei Sprachen gleichberechtigt sind: Flämisch, Französisch und Deutsch. Als ich im Europa-Parlament war, ist ja der König der Belgier gekommen und der hat in diesen drei Sprachen gesprochen. So etwas wäre in der stumpfen Atmosphäre des Nationalismus undenkbar. Österreich-Ungarn hat im Ersten Weltkrieg immerhin über vier Jahre gegen eine Welt von Feinden durchgehalten. Bei den Nachfolgestaaten war es im Zweiten Weltkrieg anders: Die Tschechei hat kapituliert, ohne zu schießen, als der Hitler gekommen ist. Jugoslawien, das ungeheuer aufgerüstet war, ist in vier Tagen zusammengefallen, weil die Völker sich nicht für Staaten schlagen wollten, an die sie nicht geglaubt haben. Das darf man auch nicht vergessen.

Katholiken prägen Europa

Die multinationalen Großreiche, über die wir gesprochen haben, waren ja Staatsgebilde, die sich als christlich, als katholisch empfunden haben. Und da fällt ja auf, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg wieder vor allem Katholiken waren, die sich auf diesen Weg der europäischen Einigung gemacht haben. Ob das Pater Werenfried van Straaten war, der Gründer von KIRCHE IN NOT, der viel für die Versöhnung beigetragen hat, oder die Politiker, die den EWG-Vertrag unterzeichnet haben: Bundeskanzler Adenauer, der französische Außenminister Schumann, der jetzt vom Papst selig gesprochen werden soll, oder der Italiener de Gasperi - alles gläubige Katholiken. Ist das ein Zufall?

Otto von Habsburg: Nein, das ist kein Zufall! Schauen Sie, erstens einmal kann man als Katholik nicht so nationalistisch sein, weil der Nationalismus ja irgendwie eine Art Hass-Element in sich trägt. Das ist der große Unterschied zwischen dem Patrioten und dem Nationalen: Der Patriot liebt sein Land, aber er achtet den anderen. Der Nationalist vergöttert sein Volk, aber hasst die anderen. Das ist der große Unterschied, der es natürlich dem Katholiken viel leichter macht, den anderen gegenüber aufgeschlossen zu sein. Der frühere französische Präsident Mitterand, weiß Gott kein Katholik, hat seine letzte Rede im Europa-Parlament, schon sterbenskrank, mit den Worten beendet: „Le nationalism c’est la guerre“ - Nationalismus heißt Krieg. Und das ist wahr.

Papst Johannes Paul II. hat immer wieder davon gesprochen, Europa müsse auch eine Seele haben. Wie hat er das gemeint?

Otto von Habsburg: Der Kampf um die Seele Europas ist der Kampf um den Gottesbezug in der Verfassung. Wenn die Menschenrechte, die eines der wesentlichen Elemente Europas sind, einen Sinn und einen Inhalt haben sollen, muss es logischerweise einen Gott geben. Denn das Menschenrecht fußt schließlich auf dem Gedanken, dass der Mensch als von Gott erschaffenes Wesen eigene Rechte hat.

Aus diesem Grund plädiere ich dafür, den Gottesbezug in die Europäische Verfassung einfließen zu lassen. Es gibt in Europa großen Widerstand gegen alles, was mit Glaube und Christentum zu tun hat. Wir haben im Europa-Parlament einen Gebetsraum für alle Religionen. Bis wir eine katholische Messe erreicht haben, hat es über drei Jahre Kampf gebraucht. Die Gegenseite ist heute aktiver denn je. Der Teufel ist immer dort in der Nähe, wo der liebe Gottist - weil er der Widersacher Gottes ist. Die antichristlichen und antireligiösen Kräfte sind gut vorbereitet, was von unserer Seite nicht behauptet werden kann. Hier gibt es für die Christen noch viel zu tun.

Reicht das denn nicht, wenn man einfach die Menschenrechte in die Verfassung schreibt und sich an diese vernünftigen Grundsätze hält, die im Laufe der europäischen Geschichte entwickelt worden sind?

Otto von Habsburg: Es reicht eben nicht! Hinter all dem muss eine höhere Autorität stehen. Das war der Grund, warum früher Gott in allen Dokumenten erwähnt wurde, jene höhere Autorität, die die Kontinuität der ganzen Sache verbürgt. Wir brauchen einen Gottesbezug in der Europäischen Verfassung, wobei dieser von allen Monotheisten getragen werden sollte. Wer an Gott glaubt, ist in dieser Frage unser Verbündeter. Auf anderen Gebieten mag es durchaus Differenzen zwischen den Religionen geben. Aber wenn wir die europaweite Perspektive sehen, müssen wir alle Kräfte sammeln und die Menschen vereinen, die an Gott glauben und für einen Gottesbezug in der Europäischen Verfassung eintreten.

Papst Benedikt XVI. spricht von einer Unlust an der Zukunft, die er in Europa sieht, trotz des ganzen Wohlstandes, den wir haben. Er stellt einen „pathologischen Selbsthass des Abendlandes“ fest. Zurecht?

Otto von Habsburg: Wir müssen die Menschen wieder auf den Boden der christlichen Geschichte Europas stellen, damit sie wieder wissen, was sie haben. Wir müssen wieder mehr Erde und weniger Asphalt an unseren Schuhen tragen. Gerade in den Ländern, die in den vergangenen Jahren vom sowjetischen Joch befreit worden sind, sehe ich dafür gute Zeichen. In Europa haben wir einen Wetterwinkel: Frankreich. An Frankreich kann man viele Veränderungen frühzeitig erkennen, die erst später auf andere Länder übergehen. Vor zwei Jahren beging unser Nachbarland die Hundertjahrfeier der Trennung von Kirche und Staat. Man spricht von „Laizismus“. In der Bevölkerung finden Sie jetzt auf einmal ein Umdenken, eine Suche nach einem neuen Verhältnis von Kirche und Staat.

Der Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy stellt in seinem Buch „Die Republik, die Religionen, die Hoffnung“ jetzt den gesamten Laizismus in Frage. Darin bekennt er auch ganz offen, ein praktizierender Christ zu sein.

Könnte es zu einer Re-Christianisierung oder zu einer Re-Vitalisierung des Christentums in Europa kommen?

Otto von Habsburg: Ich bin überzeugt, dass es dazu kommt. Ich sehe viele Zeichen, die das bestätigen. Wer, außer der katholischen Kirche, hätte weltweit solche Jugendtreffen zustande gebracht? Wir leben in einer Zeit großer Veränderungen. Die Lebensbedingungen sind heutzutage ganz andere als früher. Die junge Generation hat das verstärkte Bedürfnis nach Halt, sie befindet sich auch wieder mehr auf der Suche nach Gott. Diese Chance gilt es zu nutzen.

Vor allem müssen junge, christliche Menschen in die Positionen kommen, wo Entscheidungen, auch für Europa, getroffen werden. Hier müssen sie für ihren Glauben eintreten, hier müssen sie ihren Glauben auch verteidigen. In einer gewissen Weise müssen sie auch für den Glauben kämpfen. Ich glaube, dass das eine wunderbare Aufgabe gerade für jüngere Leute ist. Sie ist sicherlich nicht leicht, aber sie ist es wert, angepackt zu werden. Wir müssen jedoch unseren Beitrag dazu leisten und dürfen nicht tatenlos anderen das Feld überlassen.

Zwei Fernseh-Interviews mit Otto von Habsburg können als DVD oder Hör-CD unentgeltlich bestellt werden bei: KIRCHE IN NOT, Telefon 0 89 / 7 60 70 55, [email protected], www.kirche-in-not.de.

Foto: © KiN


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