Für alle – für viele

22. Februar 2007 in Aktuelles


Bischof Heinz Josef Algermissen von Fulda erinnert an Stellungnahmen von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. zur "pro multis"-Diskussion.


Fulda (www.kath.net)
In der Diskussion um die Übersetzung des „pro multis“ im Eucharistischen Hochgebet sollte man Papst Johannes Paul II. zu Wort kommen lassen. Im Gründonnerstagsbrief 2005, seinem letzten, veröffentlicht wenige Tage vor seinem Tod, schrieb er diese Worte, die eines Kommentars nicht bedürfen:

„4. ‚Hoc est enim corpus meum quod pro vobis tradetur.’ Der Leib und das Blut Christi sind hingegeben für das Heil des Menschen, des ganzen Menschen und aller Menschen. Dieses Heil ist integral und gleichzeitig universal, damit es keinen Menschen gibt, der – wenn nicht durch einen freien Akt der Ablehnung – von der Heilsmacht des Blutes Christi ausgeschlossen bliebe: ‚qui pro vobis et pro multis effundetur’.

Es handelt sich um ein Opfer, das für ‚viele’ hingegeben wird, wie der biblische Text (Mk 14,24; Mt 26,28; vgl. Jes 53,11-12) in einer typisch semitischen Ausdrucksweise sagt. Während diese die große Schar bezeichnet, zu der das Heil gelangt, das der eine Christus gewirkt hat, schließt sie zugleich die Gesamtheit der Menschen ein, der es dargeboten wird: Es ist das Blut, ‚das für euch und für alle vergossen wird’, wie einige Übersetzungen legitim deutlich machen. Das Fleisch Christi ist in der Tat hingegeben ‚für das Leben der Welt’ (Joh 6,51; vgl. 1 Joh 2,2).“

Zudem empfehle ich zur Versachlichung den Artikel „Der Ursprung der Eucharistie im Ostergeheimnis“ unseres jetzigen Heiligen Vaters als Erzbischof von München und Freising in „Eucharistie – Mitte der Kirche“, Erich-Wewel-Verlag, München 1978. Daraus folgender Auszug, der aufklärt und den ich voll und ganz unterstreichen kann:

„An dieser Stelle möchte ich eine Frage einblenden, über die von einigen mit großer Heftigkeit gestritten wird: Die deutsche Übersetzung sagt nicht mehr ‚für Viele’, sondern ‚für alle’; dabei ist bekannt, dass im lateinischen Missale und im griechischen Neuen Testament, also in dem zu übersetzenden Urtext, ‚für viele’ steht.

Diese Differenz hat einiges an Unruhe hervorgerufen; es wird die Frage gestellt, ob hier nicht der biblische Text verfälscht, etwas Falsches in die heiligste Stelle unseres Gottesdienstes hereingetragen sei. Dazu möchte ich dreierlei sagen.

1. Im ganzen Neuen Testament und in der ganzen Überlieferung der Kirche ist immer klar gewesen, dass Gott das Heil aller will und dass Jesus nicht für einen Teil, sondern für alle gestorben ist; dass Gott von sich aus … keine Grenze zieht. Er scheidet nicht zwischen solchen, die er nicht mag, nicht zum Heil lassen will, und anderen, die er bevorzugen würde; er liebt alle, weil er alle geschaffen hat.

Deshalb ist der Herr für alle gestorben. So steht es im Römerbrief des heiligen Paulus: ‚Gott hat seinen eigenen Sohn nicht geschont, sondern ihn für uns alle dem Tod überlassen’ (8, 32); im fünften Kapitel des zweiten Korintherbriefs: ‚Er, der eine, ist für alle gestorben’ (2 Kor 5, 14). Im ersten Brief an Timotheus heißt es: ‚Christus Jesus hat sich als Lösegeld für alle hingegeben’ (1 Tim 2, 6).

Dieser Satz ist deswegen besonders wichtig, weil aus der Formulierung und dem Zusammenhang erkennbar ist, dass hier ein eucharistischer Text zitiert wird. So wissen wir, dass damals in einem bestimmten Umkreis der Kirche in der Eucharistie die Formel von der Hingabe ‚für alle’ gebraucht worden ist. In der Überlieferung der Kirche ist die so verwahrte Einsicht nie verlorengegangen.

Am Gründonnerstag wurde im alten Missale der Abendmahlsbericht mit den Worten eingeleitet: ‚Am Abend vor dem Leiden hat er für das Heil von allen…’ Aus solchem Wissen heraus wurde im 17. Jahrhundert ausdrücklich ein Satz der Jansenisten verurteilt, welcher sagte: ‚Christus ist nicht für alle gestorben.’ Diese Beschränkung des Heils wurde so ausdrücklich als Irrlehre zurückgewiesen, die gegen den Glauben der ganzen Kirche steht.

Die kirchliche Lehre sagt genau umgekehrt: Christus ist für alle gestorben. Wir dürfen nicht anfangen, Gott Grenzen zu ziehen; den Kern des Glaubens verfehlt, wer ihn nur dann für lohnend hält, wenn er sozusagen mit dem Unheil der anderen belohnt wird. Eine solche Gesinnung, die die Strafe der anderen braucht, hat den Glauben nicht von innen angenommen; sie liebt nur sich selbst und nicht Gott, den Schöpfer, zu dem seine Geschöpfe gehören.

Eine solche Gesinnung wäre wie die Gesinnung derjenigen, die es nicht ertragen konnten, dass auch die letzten Arbeiter den einen Denar bekamen; wie die Gesinnung derer, die sich nur belohnt gefühlt hätten, wenn die anderen weniger bekommen hätten. Es wäre die Gesinnung des zu Hause gebliebenen Sohnes, der die versöhnende Güte des Vaters nicht ertragen mochte.

Es wäre die Verhärtung des Herzens, in der zum Vorschein käme, dass wir nur uns selbst und nicht Gott gesucht haben; in der zum Vorschein käme, dass wir den Glauben nicht liebten, sondern ihn wie eine Last ertrugen. Wir müssen endlich dahin kommen, nicht mehr zu meinen, es sei schöner, ungläubig zu leben, sozusagen auf dem Markt arbeitslos herumzustehen wie die Arbeiter, die erst in der elften Stunde gesucht wurden; wir müssen frei werden von dem Wahn, geistliche Arbeitslosigkeit sei besser als das Leben mit dem Wort Gottes.

Wir müssen den Glauben wieder so leben und bejahen lernen, dass wir in ihm die Freude erkennen, die wir nicht bloß tragen, weil dann die anderen benachteiligt werden, sondern deren wir dankbar voll sind und die wir weiterschenken möchten. Dies also ist das Erste: Es ist eine Grundaussage der biblischen Botschaft, dass der Herr für alle gestorben ist – Heilsneid ist nicht christlich.

2. Als Zweites ist nun hinzuzufügen, dass Gott allerdings niemanden zum Heil zwingt. Gott nimmt die Freiheit des Menschen an. Er ist kein Zauberer, der zu guter Letzt alles, was war, beiseite wischt und das Happy End herausführt. Er ist ein wirklicher Vater; ein Schöpfer, der die Freiheit bejaht, auch dann, wenn sie ihn nicht will.

Deswegen schließt der umfassende Heilswille Gottes nicht ein, dass alle Menschen auch wirklich zum Heil kommen. Es gibt die Macht der Verweigerung. Gott liebt uns; wir brauchen nur die Demut aufzubringen, uns lieben zu lassen.

Aber wir müssen uns auch immer wieder fragen, ob wir nicht den Hochmut haben, der es selbst leisten will; ob wir nicht dem Geschöpf Mensch und dem Schöpfer-Gott seine Größe und Würde rauben, indem wir dem Leben des Menschen seinen Ernst nehmen und Gott zum Zauberer oder zum Opa degradieren, vor dem alles gleichgültig wird. Auch, ja gerade die unbedingte Größe von Gottes Liebe hebt die Freiheit der Verweigerung und so die Möglichkeit des Unheils nicht auf.

3. Was also ist von der neuen Übersetzung zu halten? Schrift und Überlieferung kennen sowohl die Formel ‚für alle’ wie die Formel ‚für viele’. Beide sagen je einen Aspekt der Sache aus: den umfassenden Heilscharakter von Christi Tod, der für alle Menschen gelitten wurde einerseits; die Freiheit der Verweigerung als Grenze des Heilsgeschehen auf der anderen Seite.

Keine der beiden Formeln kann das Ganze sagen; jede bedarf der Auslegung und der Rückbeziehung aufs Ganze der Botschaft. Ich lasse die Frage offen, ob es sinnvoll war, hier die Übersetzung ‚für alle’ zu wählen und damit Übersetzung mit Auslegung zu vermengen, wo doch Auslegung in jedem Fall unerlässlich bleibt.

Eine Verfälschung in der Sache ist nicht gegeben, denn ob die eine oder andere Formel steht, in jedem Fall müssen wir das Ganze der Botschaft hören: dass der Herr wahrhaft alle liebt und für alle gestorben ist. Und das andere: dass er unsere Freiheit nicht in einer spielerischen Zauberei beiseite schiebt, sondern uns Ja sagen lässt in sein großes Erbarmen hinein.“


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