Bischof Marx: 'Der alte Marx hat ja nicht nur Unrecht gehabt'

22. Mai 2006 in Deutschland


Bischof von Trier im Interview: "Wir wollen nicht zu einer Gefühlsreligion werden, mit etwas esoterischem oder folkloristischem Klimbim. Ich will, dass der Glaube auch vor der Vernunft standhält."


Trier/Hamburg (www.kath.net/pbt)
„Wenn die Kapitalrendite zum höchsten Gut wird und die Arbeit an Wert verliert, kann die Gesellschaft doch nur ins Rutschen geraten. Wenn es so weitergeht, wird das System an die Wand fahren.“ Das hat der Trierer Bischof Dr. Reinhard Marx in einem Interview mit dem Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ betont, das am 22. Mai veröffentlicht wurde.

Im Blick auf den 96. Deutschen Katholikentag, der vom 24. bis zum 28. Mai in Saarbrücken unter dem Leitwort „Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht“ steht, sagt Bischof Marx, gefragt nach seinem Namensvetter, dem aus Trier stammenden Begründer des Kommunismus, Karl Marx: „Der alte Marx hat ja nicht nur Unrecht gehabt mit seiner Kritik am ungebremsten Kapitalismus.“ Von Karl Marx habe er gelernt, dass die sozialen Menschenrechte und die bürgerlichen Freiheiten zusammengehörten und dass man sie nicht gegeneinander ausspielen dürfe: „Die Freiheit des Marktes, die Freiheit, Geschäfte zu machen und die Pressefreiheit – all diese Freiheiten sind absolut notwendig. Aber es muss die soziale Gerechtigkeit dazukommen. Freiheit beginnt auch hier zu Lande damit, dass ein Mensch auf seinen eigenen Füßen stehen kann.“

Die Wirtschaft, so stellt Bischof Marx klar, biete aus sich heraus zu wenig Werte an. Er sei besorgt, dass die Kapitalrenditen immer mehr zur einzigen Orientierungsmarke würden: „Doch Marktwirtschaft ist mehr, sie besteht aus Arbeitnehmern und Arbeitgebern, nicht nur aus Aktiengesellschaften und Börsenkursen.“ Bischof Marx ermutigt in dem Interview Pfarrer, sich auch politisch zu engagieren, sich dabei aber nicht instrumentalisieren zu lassen. Kirche sei zwar kein politischer Akteur, solle aber versuchen, das Gewissen zu schärfen. Bischof Marx: „Wenn die Leute sagen, wir haben Angst um unseren Arbeitsplatz, würde ich auch heute als Pfarrer mit ihnen demonstrieren.“

Hinsichtlich der Situation der Kirche, räumt der Trierer Bischof ein, dass diese manchmal zu träge und zu sehr im Status quo verhaftet sei. Notwendig sei eine mentale Wende. Es gelte, das „verheerende Missverständnis“ zu durchbrechen, modern und katholisch sein ginge nicht zusammen. Bischof Marx: „Wir wollen nicht zu einer Gefühlsreligion werden, mit etwas esoterischem oder folkloristischem Klimbim. Ich will, dass der Glaube auch vor der Vernunft standhält.“ Das sei es ja gerade auch, was Papst Benedikt XVI. bewege: ein christlicher Glaube, der reflektiert und gleichzeitig ganz stark auch von Erfahrungen geprägt sei.

Durch die Wahl eines Deutschen zum Papst und durch den Weltjugendtag des vergangenen Jahres sieht der Bischof von Trier die Aufmerksamkeit für die Kirche und den Glauben gerade bei jungen Leuten gewachsen. Der Weltjugendtag habe viele Katholiken erst einmal selbst gestärkt. Bischof Marx: „Sicher, das löst unsere Probleme noch nicht, gar keine Frage. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Wir sind keine Wurstfabrik, die ein neues Label druckt, Marketingunternehmen bestellt und sagt, jetzt wollen wir mal wieder.“


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