Der nahe Gott

3. Februar 2006 in Aktuelles


Christen glauben nicht an einen apathischen Beobachter, sondern an einen, der sich für den Menschen hingibt. Der Theologe Michael Stickelbroeck über "Deus Caritas Est".


St. Pölten (www.kath.net) Man hat in der Vergangenheit das Spezifische des christlichen Glaubens, die Trinitätslehre, vielfach aufgegeben zugunsten eines reinen „Theismus“. Mit dieser Spielart der Gotteslehre hatte die aufklärerische Theologie versucht, gegen den modernen Atheismus anzutreten. Der „theistische“ Gott ist der, den man mit der Vernunft beweisen kann.

Er ist begabt mit Unveränderlichkeit und Mitleidlosigkeit, der Welt absolut überhoben, der sich selbst als absolut Seiender genügt. Dieser ferne Gott versagt allerdings, wenn es um Leid und Unrecht in der Welt geht. Der „theistische“ Versuch, den Gottesglauben vor dem andrängenden Atheismus zu retten, zerbrach dadurch jämmerlich.

Demgegenüber kommt Papst Benedikt mit seiner ersten Enzyklika auf den Kern des Christlichen zurück: der Gott, an den wir glauben, genügt sich nicht selbst in starrer Einsamkeit und Abgeschlossenheit. Er ist vielmehr in sich selbst Beziehung, Leben, Hingabe, Liebe.

Anders als der apathische Gott der griechischen Philosophie ist der Gott und Vater Jesu Christi in einem affektiven Engagement auf Welt und Mensch bezogen. „Gott liebt den Menschen so, dass er selbst Mensch wird, ihm nachgeht bis in den Tod hinein und auf diese Weise Gerechtigkeit und Liebe versöhnt“ (nr. 10). Hier ist die grösste Nähe Gottes zur Welt ausgesagt.

Mit dieser neuen Akzentuierung der christlichen Trinitätslehre kommt der Papst auf ein Wirklichkeitsverständnis zurück, das vom Vorrang der Person und der Liebe ausgeht. Dies ist wohl auch in den Dialog mit den Religionen Ostasiens einzubringen, in denen das Ziel oftmals das Verschmelzen, Untergehen des Ich im namenlosen Antlitz des Göttlichen ist. Man könnte auch sagen: der Sinn von Sein ist die Selbstlosigkeit der Liebe.

Diese göttliche Liebe vor Augen, untersucht der Papst, was der Sinn und die Erfüllung der menschlichen Liebe ist. Dabei wagt er es, auch vom Eros zu sprechen, den er als „Ekstase zum Göttlichen hin“ versteht. Mit der alten Mystik und ihres Auslegung zum „Hohelied der Liebe“ erkennt er darin einen Weg des Aufstiegs zu Gott. Voraussetzung: Der Eros muss eine Reinigung durchlaufen und sich auf die zweite Dimension der Liebe, die Agape, übersteigen:

Dann wird Liebe von der Selbstzentriertheit wegführen. „Sie will nicht mehr sich selbst …, sie will das Gute für den Geliebten: Sie wird Verzicht, sie wird bereit zum Opfer“ (nr. 6). Wenn die Liebe den Menschen wirklich aus sich herausführen soll, dann muss der Eros die Agape in sich aufnehmen. Nur so kann das wahre Wesen der Liebe verwirklicht werden, dass dann auch zum tätigen Einsatz in der Sorge um die Anderen drängt.

Der Autor ist Professor für Dogmatik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in St. Pölten.

Deus Caritas Est - Teil I im Wortlaut

Deus Caritas Est - Teil II im Wortlaut

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