Auf Augenhöhe Gottes gehen

7. Jänner 2006 in Deutschland


Um das Richtige erkennen zu können, müssen wir uns niederknien, sagte der Kölner Erzbischof, Kardinal Joachim Meisner, in seiner Predigt zum Fest Epiphanie.


Köln (www.kath.net) Wir dokumentieren die Predigt des Erzbischofs von Köln, Joachim Kardinal Meisner, zum Epiphaniefest 2006 im Hohen Dom zu Köln.

Liebe Schwestern, liebe Brüder!

Die Werbeindustrie beneidet uns wegen unserer Werbeträger und Werbespots. Die ersten Christuspilger, die so genannten Heiligen Drei Könige, waren und sind solche Werbeträger. Sie haben im vergangenen Jahr über eine Millionen junger Christen aus 188 Ländern nach Köln zum Weltjugendtag bewegt, und die kommentierenden Worte aus dem 2.000-jährigen Matthäusevangeliums über den Sinn der Pilgerschaft der ersten drei Christuspilger: „Wir sind gekommen, um IHN anzubeten“ (vgl. Mt 2,2), haben sich als wirksame Werbespots erwiesen und Jugendliche aus aller Welt auf die Beine gebracht, um hier in der Domstadt Köln vor dem Dreikönigsschrein mit den ersten Christuspilgern niederzuknien, um ihn anzubeten.

Wer dem Ursprünglichen auf die Spur kommt, in dessen Leben wird alles ursprünglich, frisch, kreativ, geisterfüllt. Das war ja das Ergebnis dieser Pilgerfahrt junger Menschen im August vergangenen Jahres nach Köln. Sie haben der Stadt ein anderes Antlitz gegeben, ein menschenwürdigeres, ein christlicheres.

„Die Heiligen Drei Könige hatten damals nur ein Gerücht, um sich daran zu halten, aber es bewegte sie, die weite Reise zu machen. Die Schriftgelehrten in Jerusalem wussten ganz anders Bescheid, aber es bewegte sie nicht! Wo war da am meisten Wahrheit? – Bei den drei Königen, die einem Gerücht nachliefen oder bei den Schriftgelehrten, die mit all ihrem Wissen ruhig sitzen blieben?“ fragt der große Theologe Sören Kierkegaard.

Wir sind heute in einer viel positiveren Situation. Wir wissen, dass das Kommen Gottes nicht nur ein Gerücht, sondern eine pure Realität ist. Wir sind mit den drei Weisen gekommen und sind durch sie an das Ziel aller menschlicher Pilgerschaft gelangt, nämlich zu Jesus Christus, um vor ihm niederzuknien und ihn anzubeten.

Dass Gott uns liebt, verstehen wir, aber dass er uns bis zur Krippe und zum Kreuz geliebt hat, das bestürzt uns. Vor einer solchen Liebe gibt es nur eine einzige würdige Haltung: die Haltung von Maria und Josef, die Haltung der Hirten von Bethlehem, die Haltung der drei Könige aus dem Morgenland, die Haltung der christlichen Völker aller Zeiten. Und das ist die Anbetung! Die Krippe von Bethlehem ist daher aller Anbetung Mittelpunkt, aller Liebe Höhepunkt, aller Zeiten Wendepunkt und allen Heiles Ausgangspunkt.

Dieser Abgrund an Liebe, die hier sichtbar wird, diese Torheit eines Gottes, der Fleisch wird, verwirrt den menschlichen Verstand. „Alles, nur das nicht!“, wird der Ungläubige sagen. Vor der Krippe befindet sich der Mensch an einer Wegkreuzung: Entweder nimmt er Gott und das Mysterium seiner Liebe an oder er verweigert sich ihm. Wenn ein Mensch sich für Gott entscheidet, nimmt er auch sofort teil am Mysterium Gottes.

Gott steht unendlich hoch über den Menschen. Seine Wege sind nicht unsere Wege. Würde der Mensch Gott verstehen, so würde Gott nicht mehr Gott sein oder der Mensch würde aufhören, Mensch zu sein. Denn Verstehen heißt: auf gleicher Stufe stehen. Wenn der Mensch auf seinem Platz stehen will, muss er sich niederknien vor dem unendlich Größeren.

Aber wenn er sich Gott verweigert, wählt er das Absurde. Das Leben ist dann nichts anderes mehr als ein Blitzstrahl zwischen einem Nichts und einem anderen Nichts. Niemals wird er das Absolute, das Seinsnotwendige, also Gott, erkennen, wenn er bloß Relatives aneinander reiht oder Zufälliges mit Zufälligem multipliziert.

Die Existenz der Welt, deren Teile verschwinden können und die ihren Daseinsgrund nicht in sich selbst haben, nur durch die Nebeneinanderstellung aller ihrer Fragmente zu erklären, heißt, sich für das Absurde zu entscheiden: Gott oder Nichts! Das Mysterium Gottes oder das Chaos! – Wir haben keine andere Wahl. Um das Richtige klar zu erkennen, müssen wir uns vorerst niederknien.

Wenn beim Menschen das Bewusstsein der Gegenwart Gottes schwindet, d.h. die Verbindung nach oben durchgeschnitten wird, dann büßt er sein Bestes ein, er wird nicht mehr in Ehrfurcht und Vertrauen vom Heiligen an sich betroffen. Solche Leute mögen in zweit- und drittrangigen Dingen, vor allem in der Technik und Zivilisation ganz tüchtig sein, aber sie werden nicht mehr beunruhigt von den ewigen Fragen: Wer bin ich, woher komme ich und wohin gehe ich? – Ein großer Ausfall!

Von dieser Unruhe hätten sie als Menschen vor den anderen Geschöpfen ihren Vorzug, ihre Spannkraft und ihr hohes Bewusstsein, sodass sie nicht mehr eingeebnet werden könnten. So aber fällt bei ihnen die ganze obere Welt aus. Es wölbt sich kein Firmament mehr über sie. Sie sind wie in abgedeckten Häusern.

Die Menschwerdung Gottes ist in erster Linie ein Anlass zur Anbetung. Die erste Pflicht des Geschöpfes gegenüber Gott ist, ihn als den anzuerkennen, der er ist: als Gott, d.h. als unendlich, ewig und unfassbar. Ein Mensch auf den Knien vor Gott ist etwas ganz Großes. Wer anbetet, steht am richtigen Ort, hat Sinn für Proportion und Maß in der Wirklichkeit.

Er bejaht, dass Gott alles ist. Das ist lautere Wahrheit und Gerechtigkeit. Anbetung ist der Beginn jedes wahren Lebens. Wo der Mensch in Anbetung nicht mehr niederkniet, dort gerät er außerhalb der Augenhöhe Gottes. Und dann schwindet Gott vor seinem Angesicht. Dann geht die Sonne unter. Dann naht die große innere Kälte. „Du wirst niemals mehr beten, niemals mehr anbeten, niemals mehr in endlosem Vertrauen ausruhen.

Du hast keinen fortwährenden Wächter und Freund für deine sieben Einsamkeiten. Du liebst ohne Ausblick auf ein Gebirge, das Schnee auf dem Haupte und Glut in seinem Herzen trägt. Es gibt keine Vernunft in dem mehr, was geschieht, keine Liebe in dem, was dir geschehen wird.“ Das hat nicht irgendein frommer christlicher Mystiker geschrieben, sondern der ehrlichste aller Gottlosen, Friedrich Nietzsche, in seinem Buch „Fröhliche Wissenschaft“.

Wo der Mensch in der Anbetung niederkniet, d.h. auf die Augenhöhe Gottes geht, dort gewinnt er wirklich menschliches Niveau und Profil. Gottes Herrschaft bedrückt nicht, sie erhöht die Niedrigen. Jeder, der sich vor ihm niederkniet, darf bekennen: „Der Mächtige hat Großes an mir getan“ (Lk 1,49). Den Wert und die Größe des Menschen machen aus, dass er Gottes ist, ja, dass Gott ihn liebt. Und wenn wir mit diesem Gott auf Du und Du stehen, uns gleichsam auf Augenhöhe mit ihm befinden, sind wir nie etwas, das man versklaven, ausbeuten oder wegwerfen darf. Dass Gott mich liebt, macht mich mir wert.

Von Anton Bruckner wird erzählt, dass er in der Weihnachtsnacht, nachdem er die Orgel gespielt hatte, betend in der Kirche zurückblieb. Als am Christtag die Sänger zum Morgenamt auf den Chor kamen, sahen sie den Meister immer noch tief im Gebet versunken da knien und unverwandt zur Krippe blicken. Erstaunt fragten sie: „Ja, Anton, du bist immer noch da?“ – Seine Antwort: „Ich bin einfach damit nicht fertig geworden, dass ER ein Mensch geworden ist“.

Man soll nicht allein anbeten. „Kommt!“, sagen die Hirten von Bethlehem zueinander. „Kommt, lasst uns den Herrn anbeten!“ ist die permanente Einladung der Liturgie an die Gläubigen. Die Heiligen Drei Könige kommen ebenfalls zu mehreren zur Anbetung. Anbetung ist nicht nur der Vorgang des Einzelnen, sondern ganz besonders der Gemeinschaft. Die Jugendlichen beim Weltjugendtag in Köln sind immer in Kleingruppen oder Großgruppen, also zu mehreren, gekommen, wie die Heiligen Drei Könige.

Gemeinsam sind sie vor dem Herrn niedergekniet als Gruppe, als Gemeinschaft, als Familie, um diese wunderbare Aufgabe zu erfüllen, Gott anzubeten. Die Stimmen, die im Gebet ineinander verschmelzen, werden zu einem unüberhörbaren Gotteslob und machen die Betenden zu einer Urzelle der Kirche. Eine Gemeinschaft, eine Gruppe, eine Gemeinde, eine Familie, die miteinander anbetet, hält zusammen und bleibt zusammen.

Die Anbetung ist der Zement, der die Glieder einer Gemeinde, aber auch die eines Erzbistums zusammenfügt. Sie erzeugt Verbundenheit, Treue, aufmerksame Liebe füreinander. Sie ermöglicht erst richtige und echte Gemeinschaft. Deshalb wollen wir im Erzbistum die großen Wallfahrtserfahrungen des Domjubiläums 1998 und des vergangenen Weltjugendtages 2005 aufgreifen und von nun an jährlich eine Domwallfahrt zum Schrein der Heiligen Drei Könige halten.

Sie soll in jedem Jahr um den 27. September herum gefeiert werden, dem Weihetag unserer Domkirche. 100 Tage vor dem Fest der Erscheinung des Herrn wollen wir uns so mit den Heiligen Drei Königen auf den Weg zu Christus machen, um Ihn anzubeten. Auf diesem Weg werden wir die Freude aus der Nähe Gottes finden, mit der auch die Heiligen Drei Könige erfüllt wurden, als sie Gottes Stern sahen. Deshalb soll auch die diesjährige Wallfahrt unter dem Leitwort stehen: „Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt.“ (Mt 2,10)

Durch 2.000 Jahre hindurch haben die Heiligen Drei Könige von ihrer Faszination nichts verloren, und zwar deshalb nicht, weil sie die Faszinierten nicht bei sich behalten, sondern weil sie alle, die zu ihnen kommen, mitnehmen zu Christus, der die Vollendung unseres Lebens ist. Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner
Erzbischof von Köln

Quelle: Domradio Köln


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