Abbé Pierre publiziert provokante Thesen

27. Oktober 2005 in Aktuelles


Der 93-jährige Ordensmann will vieles anders als die katholische Kirche: Er hinterfragt das Pflichtzölibat und ist für das Frauenpriestertum; Homosexuelle sollen Kinder adoptieren dürfen.


Paris (www.kath.net, pb)
Der bekannte französische Ordensmann Abbé Pierre hat in einem Buch offenherzig und provokant zu kontroversen Themen in der katholischen Kirche Stellung genommen. „Mon Dieu… pourquoi?“ lautet der Titel des Büchleins, das am 27. Oktober erschien. Die Zeitung „La Croix“ stellte das Werk vor.

Der 93-jährige Ordensmann und Gründer der „Emmaus“-Gemeinschaft, der auch als „Vater der Obdachlosen“ bezeichnet wird, spricht darin über einige Reizthemen in der katholischen Kirche wie Pflichtzölibat, homosexuelle Paare und Frauenpriestertum, aber auch über seinen eigenen Umgang mit Sexualität und seine Vorstellung von der katholischen Kirche.

Manchmal habe er flüchtige sexuelle Beziehungen gehabt, bekennt Abbé Pierre. „Aber ich hatte niemals eine feste Beziehung, weil ich nicht zuließ, dass sich das sexuelle Verlangen in mir verwurzelte.“ Er kenne das sexuelle Verlangen „und seine sehr seltene Befriedigung, aber diese Befriedigung war eine echte Quelle der Unzufriedenheit, weil ich spürte, dass ich nicht in der Wahrheit war.“

Er kenne Priester, die seit langem mit einer Frau zusammenleben und mit dieser Situation gut leben können, schreibt er. Das Pflichtzölibat in der römisch-katholischen Kirche hinterfragt Abbé Pierre. Er sehe nicht, aus welchem Grund Johannes Paul II. noch vor kurzer Zeit festgestellt habe, dass eine mögliche Aufhebung des Pflichtzölibates nicht zur Diskussion stehe.

Positiv sieht Abbé Pierre hingegen das Frauenpriestertum. Es fehlt nach seiner Ansicht nach den Gegnern des Frauenpriestertums « ein entscheidendes theologisches Argument, das zeigt, dass der Zugang von Frauen zum Priesteramt im Widerspruch zum Glauben steht ». Ebenso befürwortet er die gesellschaftliche Anerkennung von Homosexuellen: Ihre Verbindung sollte als « Allianz » anerkannt werden, meint Abbé Pierre ; der Begriff „Ehe“ sei zu eng an die Einheit von Mann und Frau gebunden.

Homosexuelle Paare sollten außerdem Kinder adoptieren dürfen. Allerdings müsse darauf geachtet werden, dass dem Kind daraus kein „psychologischer oder sozialer Schaden“ entstehe. Seiner Ansicht nach „wissen wir alle, dass ein klassisches Elternmodell nicht unbedingt Garant für das Glück und die Ausgeglichenheit eines Kindes ist“.

Abbé Pierre bedauert in den letzten Kapiteln, dass das Papsttum „zu mächtig“ ist. Der Katholizismus müsse sich „von der römischen Bevormundung auf die Ortskirchen“ befreien. Dies sei eine Bedingung, damit die Kirche wieder ganz „evangelisch“ wird und eine Versöhnung der Christen möglich sei.


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