Momente der Stille

29. September 2005 in Spirituelles


Christliche Liturgie soll auch die Stille Christi widerspiegeln. 4. Teil einer Serie zur Eucharistiefeier von Pfarrer Christoph Haider.


Wien (www.kath.net)
In wenigen Wochen geht das von Papst Johannes Paul II. ausgerufene „Jahr der Eucharistie“ zu Ende. Es endet mit der Weltbischofssynode in Rom, die von 2. bis 23. Oktober stattfindet. KATH.NET stellt aus diesem Anlass erneut eine Kurzserie zum Thema „Eucharistie“ vor.

Pfarrer Christoph Haider (Tirol) beleuchtet verschiedene Aspekte der Eucharistiefeier: Den Bußakt, die Gabenbereitung, das liturgische Kleid, Momente der Stille in der Messe, die Erhebung der Hostie, die Eucharistie als Arznei der Unsterblichkeit sowie „Herr, ich bin nicht würdig“.

4. Teil der Serie zur Eucharistiefeier: Momente der Stille

„Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab“ (Weish 18,14–15a). Die Liturgie der Kirche hat dieses alttestamentliche Gotteswort aufgenommen und es auf das Ereignis der Menschwerdung bezogen.

Im Stundengebet des zweiten Weihnachtstages dient dieser biblische Vers als Magnifikat-Antiphon der poetischen Umschreibung der Geburt des Erlösers: Das Eintreten Jesu in die Welt war in der Tat ein stilles Ereignis im Schweigen der Nacht, fernab vom Lärm und von der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Das erneute Eintreten Jesu in die Welt, am dritten Tag nach seinem Tod, vollzog sich wiederum, als tiefes Schweigen das All umfing: Es war früh am Morgen, als es noch dunkel war.

Zwischen diesen beiden heilsgeschichtlichen Momenten der Menschwerdung und Auferstehung finden wir Jesus viele Male in kontemplatives Schweigen gehüllt. Immer wieder berichten uns die Evangelisten von einem Rückzug Jesu in die Stille, „um in der Einsamkeit zu beten“ (Mt 14, 23). Besonders heilsträchtige Brennpunkte im Leben Jesu, die Verklärung am Berg und die Todesangst im Garten, zeigen uns den Herrn abseits der Menge, versunken im Gebet.

Auch als Jesus sich anschickte, das letzte Mal vor seinem Leiden mit seinen Jüngern das Paschamahl zu feiern, um in ihrer Mitte das Sakrament des neuen und ewigen Bundes zu stiften, brach gerade das Schweigen der Nacht herein. Über dem Raum des Abendmahls lag eine Atmosphäre der Innerlichkeit und Sammlung.

Wie das Leben Jesu durchdrungen war von seinem kontemplativen Schweigen, so muss auch die christliche Liturgie neben aller Schönheit und Feierlichkeit diese Stille Christi widerspiegeln. Max Thurian, der Weggefährte von Frère Roger Schutz in den Anfängen der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, später Konvertit und katholischer Priester, hat vor einigen Jahren, kurz vor seinem Tod, daran erinnert:

„Das große Problem des liturgischen Lebens in der heutigen Zeit kommt daher, dass die Feier zuweilen den Charakter des Mysteriums, der den Geist der Anbetung begünstigt, verloren hat. Oft wird man Zeuge eines Wortschwalls von Erklärungen und Kommentaren oder allzu langen und schlecht vorbereiteten Predigten, die wenig Raum lassen für die Kontemplation des gefeierten Mysteriums.“

Anders gesagt: Viele Gottesdienste leiden an Übergewicht – sie sind überbeladen mit Worten. Die Qualität des Betens steigt keinesfalls parallel zur Quantität der Worte! Søren Kierkegaard sah es gerade umgekehrt: „Ich meinte erst, Beten sei Reden. Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören...“

Nun ist gemeinschaftliches Beten noch einmal anders als persönliches privates Gebet. Gemeinsames Gebet arbeitet mit fest gefügten Formen. Aber es bedarf eben auch im gemeinschaftlichen Vollzug eines Ausgleichs zwischen Reden und Schweigen, zwischen Wort und sakramentalem Zeichen, zwischen dem äußeren Tun und dem inneren Sein.

Beim Eröffnungsdialog der Präfation, an jener Stelle der Messe, wo sich die liturgische Handlung auf ihren Höhepunkt zu bewegt, spricht der Priester die Mitfeiernden an mit dem Ruf: „Erhebet die Herzen.“ Sie antworten: „Wir haben sie beim Herrn.“ Dass die Gläubigen dies aufrichtig sagen können, dafür ist auch eine äußere Atmosphäre der Andacht vonnöten.

Das beginnt bei der Einstimmung auf den Gottesdienst. Die Art und Weise, wie sich Priester, Mesner, Ministranten, Lektoren und Chorsänger auf die Feier vorbereiten; wie still es im und um das Gotteshaus ist, damit die Leute auch innerlich „ankommen“. Vielleicht kann ab und zu leises Orgelspiel oder sonst ein getragenes Instrumentalstück ein paar Minuten vor Beginn der Feier der Vorbereitung auf die heiligen Geheimnisse dienlich sein.

Wichtig ist natürlich ein pünktliches Erscheinen: Wenn der Priester erst fünf Minuten vor der Messe in die Sakristei stürmt, der Organist mit ihm noch schnell die Lieder ausmachen soll, die Ministranten auf die Diensteinteilung warten, Lektionar und Messbuch noch auf eine Begutachtung harren, wenn Gläubige in letzter Sekunde das Kirchenportal durchschreiten, dann wird innere Sammlung während der Feier schwer fallen.

Die allgemeine Einführung in das Messbuch in seiner neuesten Ausgabe sieht während der Messe folgende Momente als mögliche kleine Räume der Stille vor: beim Bußakt vor dem Sprechen des Schuldbekenntnisses, zwischen der Aufforderung „Lasset uns beten“ und dem darauf folgenden Tagesgebet, nach der Lesung vor dem Antwortpsalm, am Ende der Predigt, während der Bereitung der Gaben und nach der Spendung der heiligen Kommunion.

Außer diesen echten Räumen der Stille trägt sicher die kontemplative Haltung des Priesters während seiner „Amtsgebete“ wesentlich dazu bei, dass sich die Herzen der Gläubigen erheben können, um beim Herrn zu sein. Wie der Name schon sagt, sollte vor allem das Hochgebet wirklich geistlicher Höhepunkt der Messe sein, auch was die Art seines Vortrags betrifft. Es sollte so vorgetragen werden, dass die Engel im Himmel mit einstimmen können, dass sich ihr Lobpreis mit dem der Kirche auf Erden vereint.

Jede Form von Hast, Routine, Lautstärke oder Blickkontakt mit dem Volk sind hier fehl am Platz. Es ist auch nicht richtig, das Hochgebet in einem verkündigenden Tonfall zu sprechen wie eine Predigt. Der offene Himmel ist die Blickrichtung, der Vater die angesprochene Person, Christus der Mittler, der Heilige Geist der Beistand beim Gebet. Die schweigende Gemeinde, die erst beim „Amen“ wieder zu sprechen beginnt, ist nicht mundtot gemacht, vielmehr kann sie nirgends geistlich so aktiv sein, als wenn sie in diese innere Bewegung der Messe bewusst eingeht.

„Gehet hin in Frieden“ als Ruf der Entlassung wird für die meisten Gottesdienstteilnehmer bedeuten, auch wirklich zu gehen. Es ist dennoch schön, wenn man danach noch ein wenig im Gebet und in der Danksagung verweilt. Die Gegenwart Christi, die sich in der heiligen Kommunion in uns eingesenkt hat, hört ja nicht sofort auf.

Kardinal Christoph Schönborn gab diese Anregung bei einer seiner Katechesen zur Eucharistie: „Wie lange dauert die Gegenwart in der Eucharistie? Der Glaube der Kirche sagt ganz klar: So lange das Zeichen da ist... sakramental ist der Herr gegenwärtig, so lange die sakramentale Gestalt besteht. Daher eine ganz einfache praktische Schlussfolgerung: Wir gehen, solange die Kommunion sozusagen in uns noch da ist, nicht einfach zur Tagesordnung über. Darum hat es so einen großen Sinn, nach dem Empfang der Kommunion eine Weile in Stille, in Anbetung, in Dankbarkeit zu verweilen. Darum habe ich so gebeten, dass in den Gottesdiensten in unserer Diözese nach der Kommunion eine Zeit der Stille ist, der innigen Beziehung zu Christus, den ich in der Kommunion empfangen habe. Deshalb ist es schön, wenn es möglich ist, auch nach der Heiligen Messe es ausklingen zu lassen, nicht einfach davon zu stürmen und in den Alltag überzugehen.“


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