Terri Schiavo kehrt immer wieder

6. August 2005 in Aktuelles


Jeglichen Anfängen der Euthanasie in Deutschland wehren! Es gab und gibt nur eine bioethische Verpflichtung: weiterpflegen und weiterernähren. Ein Kommentar von Vizeoffizial Dr. Alexander Pytlik, Eichstätt


Das (Deutsche Ärzteblatt) bietet immer wieder aktuelle und wissenschaftliche fundierte Beiträge sowie Diskussionen. Es lohnt sich, zum Thema aktiver Sterbehilfe und zum Thema des sogenannten Wachkomas einen Blick in die jüngsten Ausgaben zu werfen.

Wir dürfen dabei gewisse Alarmsignale in Richtung Euthanasie auf deutschem Boden nicht übersehen, wenn z. B. in einer seriösen Umfrage von 2652 Ärztinnen und Ärzten, 5785 Krankenschwestern und -pflegern sowie 397 Altenpflegerinnen und Altenpflegern, publiziert im Dtsch Arztebl 2005; 102: A-2082 [Heft 30] http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=47775 und dankenswerterweise kritisiert von Prof. Dr. med. Karl H. Beine (Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Witten/Herdecke), knapp 55 Prozent der Befragten für eine Veränderung der Gesetzeslage in Deutschland nach niederländischem Vorbild und damit für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe votiert hätten. Knapp 65 Prozent seien der Überzeugung, daß es unter bestimmten Umständen gerechtfertigt wäre, das Leben eines Menschen im Wachkoma aktiv zu beenden, diese Überzeugung sei bei Ärztinnen und Ärzten mit knapp 52 Prozent weniger ausgeprägt.

Die Befürwortung sei signifikant häufiger bei Untersuchungsteilnehmern, die jung, konfessionslos, mit ihrer beruflichen Situation unzufrieden und erst seit kurzem im Beruf seien. Befragte aus den neuen deutschen Bundesländern, solche, die getrennt leben oder zivil geschieden sind, hätten häufiger für die aktive Sterbehilfe bei Menschen im Wachkoma plädiert als jene, die ein höheres Alter haben, konfessionell gebunden, mit ihrer beruflichen Situation zufrieden sind und über eine längere Berufserfahrung verfügen. Die Befürwortung der aktiven Sterbehilfe fällt in den alten Bundesländern und bei verheirateten oder verwitweten Untersuchungsteilnehmern weniger deutlich aus. Die Untersuchung liefert also Belege dafür, daß die Einstellung zur aktiven Sterbehilfe in hohem Maße von patientenbezogenen und persönlichen Faktoren beeinflußt wird.

Von daher kommt dann einem ausführlicheren Beitrag im Deutschen Ärzteblatt große Bedeutung zu, nämlich unter dem Titel "Persistent vegetative state: Verdursten lassen oder sterben dürfen?" von Matthis Synofzik, Dtsch Arztebl 2005; 102: A 2079 - 2082 [Heft 30] http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=47774
Trotz einer gewissen Ausgeglichenheit des Beitrages sind schwerwiegende Kritikpunkte anzubringen, die nicht zuletzt das Wohl der etwa 10000 Wachkoma-Patienten in Deutschland im Auge haben. M. Synofzik vom Institut für Ethik und Geschichte in der Medizin in Tübingen hat sich sehr kompetent der Frage angenähert, ob es gerechtfertigt ist, bei Wachkoma die Sondenernährung einzustellen. Die Grundfrage bleibt jedoch, ob eine gültige Patientenverfügung in solchen Fällen jemals die sittliche Legitimation zur Entfernung der Ernährungssonde geben wird können. Vom Naturrecht her, auf das sich der verstorbene Papst Johannes Paul II. in seiner diesbezüglich richtungsweisenden Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Fachkongresses zum Thema "Lebenserhaltende Behandlungen und vegetativer Zustand: wissenschaftlicher Fortschritte und ethische Dilemmata" vom 20. März 2004 zweifellos bezog, scheint dies absolut ausgeschlossen:

"Der Kranke im vegetativen Zustand, der die Wiederherstellung oder das natürliche Ende erwartet, hat das Recht auf eine grundlegende ärztliche Betreuung (Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit, Hygiene, Wärme usw.) und auf die Vorsorge gegen Komplikationen, die mit der Bettlägrigkeit verbunden sind. Er hat auch das Recht auf einen gezielten rehabilitativen Eingriff und auf die Überwachung der klinischen Zeichen einer eventuellen Besserung. - Insbesondere möchte ich unterstreichen, daß die Verabreichung von Wasser und Nahrung, auch wenn sie auf künstlichen Wegen geschieht, immer ein natürliches Mittel der Lebenserhaltung und keine medizinische Handlung ist. Ihre Anwendung ist deshalb prinzipiell als normal und angemessen und damit als moralisch verpflichtend zu betrachten, in dem Maß, in dem und bis zu dem sie ihre eigene Zielsetzung erreicht, die im vorliegenden Fall darin besteht, dem Patienten Ernährung und Linderung der Leiden zu verschaffen. - Denn die Pflicht, dem Kranken in solchen Fällen die gebotenen normalen Behandlungen nicht vorzuenthalten, umfaßt auch die Versorgung mit Nahrung und Wasser (vgl. Päpstl. Rat für die Pastoral im Krankendienst, Charta für den Krankendienst, Nr. 120). Eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, die auf den geringen Hoffnungen auf Besserung gründet, wenn der vegetative Zustand mehr als ein Jahr andauert, kann ethisch die Aussetzung oder Unterbrechung der Mindestbehandlungen des Patienten, einschließlich der Ernährung und Wasserverabreichung, nicht rechtfertigen. Denn der Tod durch Verhungern und Verdursten ist das einzig mögliche Resultat infolge ihrer Unterbrechung. In diesem Sinn wird er am Ende - wenn er bewußt und absichtlich herbeigeführt wird - zur tatsächlichen realen Euthanasie durch Unterlassung (...) Im übrigen ist der moralische Grundsatz bekannt, wonach auch der einfache Zweifel, ob man sich einer lebenden Person gegenüber befindet, schon dazu verpflichtet, diese voll zu respektieren und jede Handlung zu unterlassen, die auf ihren vorzeitigen Tod abzielt."

Tatsächlich erwähnt Synofzik völlig richtig, daß auch bei Terri Schiavo ein diagnostischer Irrtum nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden konnte und daß es keine letzte Sicherheit gibt, inwiefern noch bewußtes Erleben der Patientin möglich war. Widersprochen muß Synofzik jedoch darin werden, daß Ärzte den Patienten generell lediglich "nutzen" sollten. Ein bedenkliches Nützlichkeitsdenken spricht nämlich dann tatsächlich aus der unkritisch dargebotenen Wiedergabe einer angeblich immer stärkeren Auffassung, daß "es sich bei der künstlichen Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr auch um eine medizinische Maßnahme handelt, die grundsätzlich legitimationsbedürftig ist." Die reduktive Nützlichkeitsethik sieht aber nicht mehr den objektiven Wert des menschlichen Lebens auch im sogenannten Wachkoma und öffnet sich schrittweise in Richtung aktiver Sterbehilfe. Dies gibt Synofzik faktisch zu, indem er festhält, daß die Wirksamkeit der Sondenernährung außer Frage steht, da sie im Fall von Schiavo über 15 Jahre hinweg einen ausreichenden Ernährungszustand und damit das Überleben der Patientin sicherstellte. Weder ein angesprochener gesellschaftlicher Konsens noch eine Präferenz des Betroffenen können daher jemals die moralische Legitimation zum Abbruch der Sondenernährung im PVS geben. Im übrigen wird gerne verschwiegen, daß Schiavo zur Sicherheit im Sterbeprozeß niedrig dosiertes Morphium verabreicht bekam, um mögliches Leiden bei ihr auszuschließen.

Daher schließe ich mich der Meinung des über die Grenzen Italiens hinaus bekannten und medizinisch hochgebildeten Präsidenten des dortigen Bioethik-Komitees, Univ.-Prof. Dr. Francesco D'Agostino, vom 19. März 2005, zum Fall Terry Schiavo an: "Es ist eine schreckliche Entscheidung. Auch wenn diese Krankheitszustände mit niedriger Genesungswahrscheinlichkeit verbunden sind, gibt es da bioethisch nur eine einzige Pflicht: sich des Kranken pflegerisch anzunehmen. Die gesetzlichen Vertreter müßten die Personen im Wachkoma diesbezüglich rechtlich schützen. Im konkreten Fall kann man nicht von therapeutischem Übereifer sprechen: Terry braucht einfach Ernährung, und diese Ernährung ist weder eine komplizierte noch eine anspruchsvolle Technologie." Wir alle sollten daher gemeinsam dagegen ankämpfen, daß es zur weiteren Kürzung von Mitteln, zu einer Entwertung von alten und kranken Menschen und zur Verabsolutierung des Selbstbestimmungsrechtes kommt und schließlich als human und würdig verkauft würde, menschliches Leiden mit den Mitteln der Medizin "schnell und schmerzlos" zu beenden.

Vizeoffizial Mag. Mag. Dr. Alexander PYTLIK hat sich bei Francesco D'AGOSTINO in naturrechtlichen Fragen spezialisiert.
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