'Der neue Papst ist wohl die Antwort Gottes'

6. Juli 2005 in Interview


Interview mit Erzbischof Paul Joseph Cordes, dem Präsidenten des Päpstlichen Rates "Cor Unum", über Benedikt XVI., über den Relativismus und die Glaubenserneuerung in Europa


Rom (kath.net/ Zenit.org)
Erzbischof Paul Joseph Cordes, ein alter Bekannter und Landsmann des Heiligen Vaters, ist Präsident des Päpstlichen Rates "Cor Unum", der päpstlichen Koordinationsstelle für kirchliche Hilfswerke, die Ausdruck ist für die "Sorge der katholischen Kirche für die Notleidenden, auf dass die Brüderlichkeit unter den Menschen wachse und Christi Liebe sich zeige" (Apostolische Konstitution "Pastor Bonus" vom 28. 6. 1988, 145).

Den Nachfolger von Johannes Paul II. sieht der Erzbischof unter anderem als "Antwort Gottes" auf die "Not des Säkularismus", und er rechnet damit, dass der entscheidende Impuls zur Revitalisierung des Glaubens in Europa von den neuen geistlichen Bewegungen ausgehen werde.

ZENIT: Einige Kommentatoren sind der Meinung, dass Papst Benedikt XVI. für den moralischen und religiösen Relativismus das sein werde, was Papst Johannes Paul II. für den Kommunismus war. Wie sehen Sie diesen Vergleich?

Erzbischof Cordes: Bei seinen Berufungen knüpft Gott fraglos in der Lebensgeschichte und in der spezifischen Fähigkeit seiner Boten an. Der verstorbene Papst hatte die Tyrannei des Nationalsozialismus sowie die des Kommunismus schmerzhaft in seiner Jugend und als Bischof von Krakau erlebt. So kämpfte er mit großer Energie gegen die atheistischen Kräfte des Regimes. Ich durfte 1977 miterleben, wie er als Kardinal von Krakau bei der Weihe der Kirche von "Nowa Huta" - sie galt als Symbol dieses Kampfes - seinem heiligen Zorn freien Lauf ließ.
Auch als Bischof von Rom hat er nicht nachgelassen, vor "Königen und Präsidenten" für die Freiheit und Würde der Menschen einzutreten. Sein sehnlicher Wunsch, auch Russland und China zu besuchen, wurde ihm leider nicht erfüllt.
Papst Benedikt XVI. hat als theologischer Lehrer immer schon die Wahrheit von Glaube und Sitte verdeutlichen und einsichtig machen wollen. Er hat an der Universität die künftigen Priester und Katecheten geformt. Er hat Mittel gesucht, in der intellektuellen Welt von heute Argumente für die Bejahung der Offenbarung zu finden und sie zu verbreiten. Er hat als Präfekt der Glaubenskongregation Papst Johannes Paul II. zugearbeitet, die theologischen Weisungen für das Volk Gottes zu formulieren und herauszustellen - denken wir nur an den "Katechismus der Katholischen Kirche". Es liegt auf der Hand, dass er sich auch als Papst mit dem moralischen und religiösen Relativismus nicht abfinden wird.

ZENIT: Einige haben gemeint, Johannes Paul II. habe die Plätze füllen können, nun werde Benedikt XVI. wohl die Kirchen füllen. Die Begeisterung für den neuen Papst ist aber so groß, dass es so aussieht, als könne er Kirchen und Plätze füllen.

Erzbischof Cordes: Ich stimme Ihnen völlig zu. Man braucht nur den Zustrom der Pilger nach Rom ins Auge zu fassen, um die Meinung des genannten Kommentators als voreilig zu qualifizieren. Gewiss half und hilft Johannes Paul II. noch vom Himmel her, dass das Interesse an Person und Amt des Papstes Ratzinger dieses erstaunliche Echo hat. Aber niemand kann übersehen, dass es außerordentlich ist - ob bei der diesjährigen Fronleichnamsprozession, beim sonntäglichen Angelus oder bei den wöchentlichen Audienzen.

ZENIT: Nach fast 1000 Jahren gibt es heute wieder einen deutschen Papst, ein Ereignis, das durch den Fall der Mauer und den europäischen Einigungs- und Erweiterungsprozess von zusätzlicher Bedeutung ist. Der heilige Benedikt rettete die Gesellschaft vor der Verderbnis, die vom römischen Reich ausging, Benedikt XVI. steht nun vor der Aufgabe, das traditionell christliche Europa und die Länder des Ostens aus einer moralischen und religiösen Dekadenz zu befreien. Da Deutschland für das Schicksal von Europa von entscheidender Bedeutung ist, scheint ein deutscher Papst tatsächlich ein Zeichen der Vorsehung zu sein. Wie sehen Sie das?

Erzbischof Cordes: Der Säkularismus der so genannten ersten Welt hat schon Papst Johannes Paul tief bekümmert. Auch wenn er aus einem Land kam, das fest in der christlichen Tradition verankert war und durch die politische Herausforderung zusätzliche Glaubenskräfte mobilisierte, so sah er doch deutlich die Zeichen der Dekadenz. Darum hielt er bei seinem Österreichbesuch 1983 gegen das Abraten kirchlicher Diplomaten an einem Besuch am Kahlenberg bei Wien fest, um des 300-jährigen Jubiläums eines "glücklichen Sieges" zu gedenken, der Europa vor der Überfremdung durch die Türken und ihrer Religion bewahrt hatte.
Er sagte damals ferner bei seiner Begegnung mit den österreichischen Bischöfen in Wien ein klarsichtiges Wort zur europäischen Krankheit: "Die Erfahrung der scheinbaren Abwesenheit Gottes lastet nicht nur auf den Abständigen und Fernstehenden, sie ist generell. Die Geistesströmung des gängigen Bewusstseins prägt also gleichfalls die aktiven Glieder der Kirche . Darum sieht sich der kluge Hirte genötigt, in Welt und Kirche vor allem andern dem Licht Raum zu schaffen, das aus dem Glauben an die wirksame Anwesenheit Gottes kommt" (12.9.1983).
Der neue Papst ist wohl die Antwort Gottes, dieser Not des Säkularismus weiter zu wehren. Das deutet nicht nur der von ihm gewählte Name an. Papst Benedikt ließ nie Zweifel an seiner Beschwernis über die gott-lose Präambel der Europa-Konstitution. Mir scheint jedoch, dass der Beitrag Deutschlands für die rechte Verankerung des Christentums in Europa nicht sehr hoch angesetzt werden kann - aus mancherlei Gründen. Ich zähle für eine Revitalisierung des Glaubens in unserm Kontinent eher auf die neuen geistlichen Bewegungen, die in Italien, Spanien und Frankreich stärker Fuß gefasst haben. Sie standen an der Wiege des "Internationalen Jugendtages". Auch Papst Benedikt schätzt sie: 2006 zu Pfingsten sollen sie sich wieder zu einem großen Treffen hier in Rom einfinden.

ZENIT: Viele haben Papst Benedikt XVI. unmittelbar nach seiner Wahl als "großen Inquisitor" und "strengen Wächter der Rechtgläubigkeit" bezeichnet. Er selbst sieht sich als unwürdigen "Arbeiter im Weinstock des Herrn". Sie kennen ihn gut. Was halten Sie vom neuen Papst?

Erzbischof Cordes: Die wenigen Wochen seines Pontifikats haben gewiss genügt, um das von Ihnen angesprochene Vorurteil aus der Welt zu schaffen. Wer Kardinal Ratzinger kannte, hat es nie geteilt. Wem er fern stand, wurde eines Besseren belehrt. Der Grund für seine Diskreditierung war wohl auch die Tatsache, dass er gegebenenfalls unliebsame Wahrheiten von Glauben und Sitte in Erinnerung zu rufen hatte. Wie aber machen die Vermittler solcher Botschaften dann ihrem Ärger Luft? Indem sie den Boten herabsetzen und kaum etwas Positives über ihn berichten. Die Welt der Nachrichten ist ja immer auch durchstimmt von den Aggressionen mancher Journalisten. Dann aber verblüffen diejenigen, die "mit den Füßen abstimmen" - wie etwa bis heute die zahllosen Pilger zu Johannes Paul II. und diejenigen, die im Augenblick Benedikt XVI. sehen und hören wollen.

Foto: (c) korazym.org


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