Weihnachten - ein 'Appetithappen' auf das Heil Gottes

24. Dezember 2004 in Interview


Das große Weihnachts-Interview mit Klaus Berger - Jetzt im vollen Wortlaut auf KATH.NET - Warum sich die Kirche vor der modernen Theologie schützen muß


"Es begab sich aber zu der Zeit ..." beginnt die Weihnachtsgeschichte desEvangelisten Lukas. Bei vielen Universitätstheologen haben Lukas und seineKollegen allerdings keinen guten Ruf - weil ihre Berichte an zahlreichenStellen für Legenden gehalten werden. Eine Ausnahmeerscheinung unter denTheologieprofessoren ist der Heidelberger Neutestamentler Klaus Berger. Ervertritt in seinem neuen Jesus-Buch die Ansicht, daß es gute Gründe gibt,den biblischen Autoren zu vertrauen - gerade auch in ihrer Überlieferung derWeihnachtsereignisse. idea-Reporter Marcus Mockler sprach mit Berger überden Wahrheitsanspruch biblischer Autoren und über Irrtümer in modernenJesus-Bildern.

idea: Herr Prof. Berger, in Ihrem neuen Jesus-Buch werben Sie dafür, die"Fremdheit" biblischer Texte wieder ernstzunehmen und nicht alles alserfunden zu betrachten, was nicht in unser Verständnis paßt. Weihnachtenbietet genügend "Fremdes", zum Beispiel die Geburt eines Kindes durch eineJungfrau. Glauben Sie an die Jungfrauengeburt?

Berger: Ja - ohne Wenn und Aber. Das unterscheidet mich total von meinenFachkollegen. Die Kollegen sagen fast ausnahmslos: Von der VerkündigungMariens, daß sie ein Kind empfangen soll, über den Engelschor in derHeiligen Nacht bis zum Kindermord in Bethlehem sei alles Legende; es seinichts wahr. Ich sage: Auf dem Hintergrund der judenchristlichenÜberlieferung ist ein Bericht über Engel kein Indiz dafür, daß ein Berichtnicht wahr ist.

idea: Von 100 Hochschultheologen in Deutschland halten wie viele dieWeihnachtsgeschichte für wahr?

Berger: Vielleicht zwei.

idea: Aber welcher Pfarrer möchte seiner Gemeinde an Heiligabend erzählen,daß fast nichts an dem Bibeltext wahr ist, den er gerade vorgelesen hat?

Berger: In etwa so läuft es, wenn ein Theologiestudent nach dem erstenhalben Semester zum Fest nach Hause kommt und seiner Familie erklärt: "Ichhabe was Neues gelernt. Die Sache mit Bethlehem und mit der Jungfrauengeburtstimmt gar nicht." Die Familie wird sagen: "Du kannst Deine Weisheiten fürDich behalten, wir wollen Weihnachten feiern." Die historisch-kritischeMethode wird als destruktiv empfunden - und seelsorgerlich bringt sie garnichts. Und sie geht von einseitigen Voraussetzungen aus. Wenn man imStudium lernt "Engel gibt es nicht", dann ist das eine unzulässigeEinschränkung der Wirklichkeit.

idea: Warum halten Sie die neutestamentliche Überlieferung für verläßlich?

Berger: Weil die Autoren der Bücher nicht für ihre eigenen Fiktionen in denMärtyrertod gegangen wären. Das würde doch niemand machen - ein Martyriumauf sich nehmen für etwas, was man sich bloß ausgedacht hat. Meiner Meinungnach erheben die Evangelien alle den Anspruch, vor Gericht belegbar zu sein.Insbesondere das Johannes-Evangelium, dem man ja in der Wissenschaft amwenigsten zutraut. Die moderne Theologie geht von einem Grundverdacht desBetruges aus, als stehe hinter den Evangelien fast überall derSchreibtischtäter, der sich irgendwas ausdenkt. Die Situation der erstenGemeinden war ganz anders: Sie mußten damit rechnen, wegen der Botschaft vorGericht zu stehen.

idea: Warum überzeugt Sie die Mehrheitsmeinung nicht, bei derJungfrauengeburt handele es sich um eine Legende?

Berger: Exegeten behaupten, die Jungfrauengeburt sei die Nachbildung einesMythos aus der griechischen Welt, wo Götter mit menschlichen Frauen Ehebruchbegehen und dabei berühmte Männer zeugen - etwa Alexander den Großen. ImNeuen Testament weht ein völlig anderer Geist, da ist von solchenBetrugsmanövern nicht die Rede. Vielmehr steht die Entstehung Jesu durch denHeiligen Geist im Zusammenhang mit der alttestamentlichen Tradition. Schonbei den Propheten heißt es, daß sie von Mutterleib berufen sind; beiJohannes dem Täufer heißt es dann, daß er von Mutterleib mit dem HeiligenGeist erfüllt ist (das ist schon mehr); und bei Jesus, daß er durch denHeiligen Geist entstanden ist. Warum sollte die Gemeinde auf die Ideekommen, Jesus mit irgendwelchen Halbgöttern zu vergleichen?

idea: Wie sieht es mit dem Kindermord von Bethlehem aus? Kritiker sagen, eshabe ihn nie gegeben, weil keine außerbiblische Quelle darüber berichte.

Berger: Die traditionelle Auslegung (Exegese) setzt voraus, daß alles in derBibel erlogen ist, zu dem es keine außerbiblische Parallele gibt. DieseGrundvoraussetzung ist überaus anfechtbar. Es gehörte damals zur Politik,sich auf diese Weise seiner Rivalen zu entledigen. Das ist gerade fürs ersteJahrhundert belegt. Warum sollte Herodes, von dem auch sonst nichts Gutesberichtet wird, das nicht gemacht haben? Die Berichte der Evangelien sindbis zum Beweis des Gegenteils für wahr anzusehen.

idea: Woher kommt dann dieses abgrundtiefe Mißtrauen sehr vieler Theologen,die den Wahrheitsgehalt der Bibel noch niedriger ansetzen als den andererhistorischer Texte?

Berger: Das ist die Grundannahme des "Priesterbetruges", die bei uns seitdem Hamburger Philosophen Hermann Samuel Reimarus (1694-1768) herrscht undbehauptet: Jesus sei einfach ein guter Mensch gewesen, alles andere hättenKirchenleute hinzugedichtet. Seitdem kämpft die aufgeklärte Exegese gegendie Kirche. Ziel ist zu zeigen: Die Priester (bzw. Kirchenvertreter) sindLügner und Betrüger. Das gipfelt nun in neuesten amerikanischenForschungsthesen, die besagen: Vielleicht gibt es überhaupt kein echtesJesus-Wort. Solche Aussagen gelten als flott, sind aber völlig willkürlich.

idea: Was fasziniert Sie als Neutestamentler an Weihnachten?

Berger: Das, was schon Lukas fasziniert hat, der die Geburt Jesu beschreibt.Mit der Adressierung der Botschaft an Hirten und andere einfache Menschenwird deutlich, daß Gottes Herrschaft ganz anders kommt als sonst Herrschaftauf der Welt - nämlich auf eine friedvolle Weise, die bei Lukas schon Zügeeiner Idylle hat. Es ist eine Art Vorwegnahme des Heiles - Appetithappen aufdas, was Gott mit uns vorhat.

idea: Populäre Jesus-Bilder gab es in den vergangen Jahrzehnten viele:Jesus, der wahre Pazifist; Jesus, der neue Mann; Jesus, der Frauenversteher.Warum lehnen Sie diese Jesus-Bilder ab?

Berger: Weil man bei ihnen mit Händen greifen kann, daß es sich um bestimmteModetrends handelt, die Jesus angeblich in Vollkommenheit verkörpert hat.Solche Theologie ist mir grundsätzlich verdächtig, weil sie meistens nur vomMenschen redet und nicht von Gott. Hier geht es um menschlicheWunschvorstellungen, die den Evangelien nicht standhalten. Jesus war nichtnur Pazifist. Die Händler vertreibt er mit Gewalt aus dem Tempel. Er istauch nicht nur "lieb", denn er redet vom Gericht, verflucht den Feigenbaum,setzt Zeichen zur Bekämpfung des Bösen.

idea: Besonders unbequem ist ein Abschnitt in Ihrem Jesus-Buch, wo Sieschreiben, Jesus würde sich heute vehement gegen Abtreibung aussprechen. Wasmacht Sie da so sicher?

Berger: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Schöpfer, willbedingungslos das Leben, und er begegnet den Menschen immer wieder als Arzt.Auch Jesus tut das. Es ist nicht Aufgabe eines Arztes, Leben zu vernichten.Daß in einer Wohlstandsgesellschaft wie der unseren, die nachweislich diereichste und verfressenste aller Jahrtausende ist, Argumente wie "sozialerHärtefall" zu hören sind, ist angesichts der Bibel und der Armut derMenschen zu biblischen Zeiten ohnehin nicht zu rechtfertigen. Bei uns mußniemand verhungern. "Wem Gott das Häschen gibt, dem gibt er auch dasGräschen", sagt man in Ostfriesland. Das ist eigentlich eine christlicheWeisheit.

idea: Welche falschen Jesus-Bilder entdecken Sie in der evangelikalenBewegung?

Berger: "Die Evangelikalen" gibt es ja nicht. Neulich habe ich eine ganzeWoche mit landeskirchlichen Laienpredigern verbracht. Deren Offenheit fürdie Begegnung mit der Bibel hat mich so beeindruckt, daß ich denen gesagthabe: "Wenn das, was Sie vertreten, Pietismus ist, dann bin ich auchPietist." Manche theologisch Konservative scheitern daran, daß sieBibelstellen aus dem Zusammenhang greifen. Wer nur auf die Gerichtsaussagendes Neuen Testaments schaut, der hat Probleme, an die Barmherzigkeit zuglauben. Bibelstellen ohne Sinn und Verstand zu isolieren und sie ihremZusammenhang zu entreißen, erzeugt viele Probleme. Manchmal werden darausauch Patentlösungen entwickelt, die zu einfach sind.

idea: Sie ziehen in Ihrer Arbeit immer wieder apokryphe Schriften hinzu.Antike Texte, die auch über Jesus schreiben, von der Kirche aber nicht alsGottes Wort anerkannt wurden - etwa das Thomas-Evangelium. Was fasziniertSie an diesen Quellen?

Berger: Als Exeget sollte man die Apokryphen einfach kennen. Man darf dasNeue Testament nicht isolieren, sondern man muß fragen, was darüber hinausin den ersten beiden Jahrhunderten entstanden ist. Das kann sehr nützlichsein. Ich bin aber nicht dafür, den Kanon (Umfang) biblischer Bücher zuerweitern.

idea: Umgekehrt wären Sie wohl auch nicht dafür, diesen Kanon einzuschränkenund Bücher aus der Bibel zu entfernen?

Berger: Nein, aber das geschieht fortwährend in der Theologie. Ich kennekeinen Exegeten, der den Kanon des Neuen Testamentes wirklich ernst nimmt.Die Offenbarung des Johannes, der Hebräerbrief und der Judasbrief stündenwohl ganz oben auf einer "Streichliste" moderner Neutestamentler. Auch dasJohannes-Evangelium hält man für historisch völlig unglaubwürdig. MeinerMeinung nach müssen wir um jeden Preis den ganzen Kanon zusammenhalten. Undaus diesem Grund bin ich in Heidelberg der einzige, der in den vergangenen30 Jahren über alle neutestamentlichen Schriften Vorlesungen gehalten hat.

idea: Für einen Theologieprofessor etwas ungewöhnlich werben Sie für eineWiederentdeckung der Mystik. Warum?

Berger: Zunächst: Mystik ist nicht Augenverdrehen, nicht abseitigeSpekulation und nicht magische Manipulation; sondern von der Seite desMenschen her ist es Beten, von der Seite des Himmels her, daß wir gesegnetwerden und das Eingreifen Gottes erleben. Die Wirklichkeit Gottes darf nichtzu bloßer Humanität verdünnt werden.

idea: Wie sieht Mystik bei Ihnen praktisch aus?

Berger: Ich bete morgens, mittags und abends das Stundengebet derZisterzienser, das ja ähnlich - nach Augustinerregel - auch Martin Luthersein Leben lang vollzogen hat. Es ist eine Frage der eigenenGlaubwürdigkeit, ob man nur über Gott redet oder auch mit ihm spricht. Ohnediesen Lebenszusammenhang kommt das langweilige Theologengezänk heraus, daswir in der Wissenschaft erleben.

idea: Ist die neutestamentliche Theologie an den Universitäten wirklich solangweilig?

Berger: Wenn meine Frau abends nicht einschlafen kann, frage ich sie nur:"Soll ich Dir mal aus meiner Dissertation vorlesen?" Schon der bloße Gedankedaran läßt sie einschlummern. Meine in den 60er Jahren entstandeneDissertation ist in der Weise klassischer Exegese geschrieben. Bei denmeisten Professoren geht es über Quellenfragen, Textunterscheidung,Behandlung der Einwände wissenschaftlicher Gegner und Fußnoten nicht hinaus.Mich hat das unbefriedigt gelassen, denn die Studenten haben mich immerwieder nach meinem eigenen Standpunkt befragt. Und meine Erfahrung ist, daßdas einzige, was die Studenten behalten, die persönliche Grundeinstellungihres Professors zur Bibel ist.

idea: Über Ihre Konfession ist immer wieder Verwirrendes zu hören. Es heißt,Sie seien der einzige Katholik, der an einer evangelischen Fakultät lehrendürfe. Wo bezahlen Sie denn nun Ihre Kirchensteuer?

Berger: Bei der evangelischen Kirche. Aber ich bin nicht freiwillig zurevangelischen Kirche gekommen, sondern durch das Verhalten der katholischenFakultät in München bei meiner Promotion. Man hat mir damals falsche Lehrenvorgeworfen - dabei sind genau diese Lehren seit 1991 Teil des katholischenWeltkatechismus. Ich betrachte mich als Exil-Katholiken. Ich komme mir dabeiaber viel lutherischer vor als die meisten meiner Fakultätskollegen.

idea: Wobei Sie mit Ihren Ansichten sicher auch in der katholischenTheologie in Deutschland keineswegs salonfähig wären ....

Berger: Ich hätte keine Chance, an eine katholische Fakultät berufen zuwerden, weil ich für die zu konservativ bin. Mein Jesus-Buch hat jetzt schonbei katholischen Professoren stürmischen Protest hervorgerufen. Die meinen,sie müßten progressiver sein und die Protestanten links überholen. Und siebehaupten, Berger habe vieles "noch nicht" kapiert. Dabei habe ich daslängst hinter mir. So wie der breite Strom der Exegeten habe ich früher aucheinmal gedacht - aber das ist 40 Jahre her.

idea: Wenn heute Jesus Christus sichtbar vor Ihnen stünde - was würde derNeutestamentler Klaus Berger ihn fragen?

Berger: Ich bin Jesus gegenüber nicht von Neugierde geplagt, dazu sind mirdie Einzelheiten zu unwichtig. Wenn ich Jesus begegne, werde ich nichtwissenschaftliche Fragen klären, sondern sagen: "Gott sei Dank, da bist Du!"

idea: Wir danken für das Gespräch.

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