Biotechnologischer 'Fortschritt': Bedrohung für die Familie?

14. November 2004 in Österreich


Molekularpathologe Univ. Prof. Dr. Lukas Kenner: "Aus ethischer Sicht ist die Forcierung der Forschung und Entwicklung von Therapien auf Basis der adulten Stammzellen ausdrücklich zu empfehlen"


Wien (kath.net/rmb)
Am vergangenen Samstag hielt der Molekularpathologe univ. Prof. Dr. LukasKenner in der Nähe von Wien einen Vortrag zum Spannungsfeld derbiotechnologischen Forschung im Kontext mit Familienpolitik. kath.net dokumentiert eine Zusammenfassung des Vortrags:

Basis des derzeitigen Booms der Biotechnologie sind unter anderemFortschritte in der Stammzelltechnologie als auch die Entschlüsselung deshumanen Genoms, die eine Analyse sämtlicher menschlicher Gene erlaubt.Stammzellen sind zum einen unspezialisierte Zellen, die sich potentiellunendlich oft teilen (also sich selbst erneuern können) und sich aber auchin spezialisierte Zellen des Körpers entwickeln können. Wenn dieEntwicklungsfähigkeit der Stammzelle groß ist, d.h. wenn sie sich inverschiedenste oder alle Gewebe des Körpers entwickeln kann, nennt man siemulti- oder pluripotent. Durch diese beiden Fähigkeiten haben Stammzellendie Möglichkeit als Ersatzgewebe für verschiedenste Erkrankungen desMenschen zu dienen. Warum aber ist die Diskussion über Stammzellen ethischrelevant? Das Problem ist, dass Stammzellen sowohl aus Embryonen als auchaus dem erwachsenen (adulten) Körper gewonnen werden können. Man nennt siedaher auch embryonale (ES) oder adulte (AS) Stammzellen.

Was sind embryonale Stammzellen (ES)?

Beim Menschen werden die ES aus Blastozysten (Embryo am 5.-7. Tag seinerEntwicklung) von den bei der künstlichen Befruchtung (In vitroFertilisation) anfallenden überzähligen befruchteten Eizellen isoliert. DieBlastozyste wird bei diesem Vorgang zerstört und kann sich nicht weiter ineinen Embryo entwickeln. Die isolierten ES-Zellen können sich über einenlangen Zeitraum weiterteilen ohne sich zu verändern. Nach sechs Monaten sindzum Beispiel aus den ursprünglich 30 Zellen der inneren Zellmasse Millionenvon ES-Zellen hervorgegangen. ES-Zellen, welche man über Monate in Kulturgehalten hat ohne sie zu differenzieren, nennt man ES-Zelllinien. EinProblem der ES Zellverwendung zum Zwecke der Therapie ist, dass man dieES-Zellen vor der Verwendung in spezialisierte Zellen entwickeln muß.Gelingt das nicht und injiziert man undifferenzierte ES-Zellen in denKörper, so bilden sich Tumore (Teratome). Ein weiteres wichtiges Problem mitES-Zellen ist das Immunsystem, welches fremde Zellen erkennt und abstößt,wie zum Beispiel nach der Transplantation von Organen oder Zellen einesanderen Individuums (heterologe Transplantation). Eine Stammzelltherapiemüsste daher mit einer Langzeitbehandlung mit Immunsupressiva einhergehen,was zu einem größeren Infektions- und Krebsrisiko führen würde. DerZellkerntransfer somatischer Zellen (das sogenannte "therapeutische"Klonieren) gilt als eine Möglichkeit zur Vermeidung der immunologischenProbleme nach der Transplantation (siehe unten). Das Hauptargument gegen dieEntwicklung von auf ES-Zellen basierenenden neuen Therapien ist einethisches, da zur Gewinnung von ES-Zellen Embryonen zerstört werden müssen.Die Forschung an humanen ES-Zellen stellt die Gesellschaft vor die Fragenach der Definition von menschlichem Leben und nach dem moralischen Statusdes Embryos.

Wozu Klonen?

Zur Vermeidung der immunologischen Abstoßung der ES wird die Technik des"therapeutischen" Klonierens angestrebt. Dabei handelt es sich grundsätzlichum die selbe Technik wie beim reproduktiven Klonen, nur das eben dergeklonte Embryo nicht ausgetragen, sondern zwecks Stammzellgewinnungzerstört wird. Beim Klonieren wird ein Zellkern einer somatischen Zelle (z. B.der Kern einer Hautzelle) in eine entkernte Eizelle transferiert. Durch dieÜberführung in das Eiplasma erfährt der Zellkern eine weitgehende"Reprogrammierung", und es entsteht eine neue Zelle, die sich analog einerbefruchteten Eizelle zum Embryo entwickeln kann (sogenanntes"therapeutisches" Klonen). Aus dieser können dann ES-Zellen isoliert undgezüchtet werden. Im Grunde genommen werden beim "therapeutischen" KlonierenEmbryos hergestellt, um sie dann zwecks ES Gewinnung zu zerstören (imGegensatz zum reproduktiven Klonieren, wo diese Embryos ausgetragen werdensollen).

Was sind adulte Stammzellen (AS)?

Bis vor kurzem wurde angenommen, dass sich Stammzellen aus dem erwachsenen(adulten) Organsimus (AS) nur in Gewebe ihres Ursprungs entwickeln können.In der letzten Zeit konnte nachgewiesen werden, dass sich AS aus demKnochenmark in Leber-, Herzmuskel-, Nieren-, oder Nervenzellen etc.entwickeln können. Anders als ES-Zellen, die durch ihren Ursprung definiertsind, gibt es für AS-Zellen keine einheitliche Definition. Daher ist dasgrößte Problem, die AS aus dem Verband des sie umgebenden Gewebes zuisolieren und aufzureinigen. Daher ergibt sich auch ein ziemlicher Aufand,größere Mengen von AS zu isolieren und zu züchten. Die AS-Zellen besitzen inder Praxis drei besondere Vorteile gegenüber den ES-Zellen. Es kommt beieiner Transplantation nicht zu Abstoßungsreaktionen des Organismus, da dieZellen dem Patienten selbst entnommen werden können.

Der zweite Vorteil ist, dass AS-Zellen keine Tumore bilden, wie dies ja beiES-Zellen der Fall ist. Aus wissenschaftlicher Sicht lässt sich nichteindeutig sagen, welche Zellen, die AS-Zellen oder ES-Zellen geeigneter fürTherapien sind: beide weisen Vor- und Nachteile auf. Die ethische Debatte umden Einsatz von humanen ES-Zellen in der Forschung kreist zum größten Teildarum, ob der Embryo einen moralischen Status hat, der seine "Verwendung" inder medizinischen Forschung verwehrt, oder nicht.

In der Frage nach dem moralischen Status des Embryos kann in unsererpluralistischen Gesellschaft nur sehr schwer ein Konsens gefundenwerden.
Vereinfacht kann man zwischen drei Positionen unterscheiden:
(1) Der Embryo besitzt den vollen moralischen Status, daher die absoluteSchutzwürdigkeit;
(2) Der Embryo hat in den verschiedenen Entwicklungsstadien einenunterschiedlichen moralischen Status, was zu einer abgestuftenSchutzwürdigkeit führen würde oder
(3) der Embryo besitzt gar keinen moralischen Status und ist zu keinemZeitpunkt und in keiner Weise schutzwürdig. Beführwörter derES-Zellforschung halten Embryonen für schützenswert, aber eben nichtuneingeschränkt. Sie sehen eine utilitaristische Güterabwägung für zulässigan und heben den hochrangigen Zweck des Dienstes am Leben und der Medizinhervor. Dieses hohe Gut hat schlussendlich mehr Gewicht als der moralischeEinwand. Für Vertreter, die dem Embryo dagegen einen vollen moralischenStatus zusprechen und somit die absolute Schutzwürdigkeit, ist jeglicheForschung an Embryonen wie ES-Zellforschung nicht akzeptabel. Denn derangebliche "Zellhaufen" trägt von Anfang an das volle Lebensprogramm für dieEntwicklung eines Menschens in sich.

Nach die Menschenwürde sollte nicht an dasVorhandensein von irgendwelchen Eigenschaften, wie etwa das Bewusstsein,gebunden sein. Person und daher Träger unabwägbarer Menschenwürde ist jedesIndividuum der Spezies Mensch, unabhängig davon, ob er seine prinzipiellzukommende moralische Fähigkeit noch entwickeln muss (Embryo),zwischenzeitlich nicht aktualisiert (Mensch in Schlaf oder Koma) oder nichtmehr aktualisieren kann (Demenz). Eine Einschränkung der Menschenwürde inden Perioden der nicht aktualisierten moralischen Fähigkeit entbehrt jederkonsistenten Grundlage und widerspricht den wohlbegründeten Argumenten derPotentialität, Identität und Kontinuität.

Die Zulassung der Embryonenforschung zur Stammzellengewinnung würde zu einerAusweitung auf eine Vielzahl anderer Anwendungsgebiete führen. Der damitentstehende steigende Bedarf an Embryonen wäre mit der jetzigen Praxis derkünstlichen Befruchtung (IvF) bei weitem nicht gedeckt. ZusätzlicheEmbryonen müssten daher, nicht wie bisher für ihre eigene Weiterentwicklung,sondern als biologisches Verbrauchsmaterial erzeugt werden. Hier handelt essich um eine zunehmende Instrumentalisierung von menschlichen Leben, Lebendes Embryos, aber auch der Frau als Rohstofflieferantin. Daher ist ausethischer Sicht die Forcierung der Forschung und Entwicklung von Therapienauf Basis der AS ausdrücklich zu empfehlen.


© 2004 www.kath.net