,Wir brauchen ein Bündnis gegen das neue Heidentum‘

5. Oktober 2023 in Interview


Der evangelische Pfarrer Gerhard Wagner aus Alba Julia (Siebenbürgen) nahm im Juli an einer kath.net-Leserreise zu Nordkap teil und sprach im KATH.NET-Interview über Mission und Ökumene - Von Petra Knapp-Biermeier


Linz (kath.net / pk) „Allen christlichen Konfessionen hier ist klar, dass der Feind nicht eine andere Konfession ist oder der Staat an sich, sondern die atheistischen Ideologien, die den Staat in ihre Hände nehmen wollen.“ Das sagt der evangelische Pfarrer Gerhard Wagner aus Siebenbürgen im KATH.NET-Interview. Siebenbürgen, im Nordwesten Rumäniens gelegen, hat Siebenbürgen rund sieben Millionen Einwohner, drei Viertel davon sind rumänisch, ein Fünftel ungarisch, und es gibt eine kleine deutsche Minderheit, die sogenannten Siebenbürger Sachsen.

KATH.NET: Wie leben Sie Ihren Glauben in Siebenbürgen? Wie schaut Ihr persönlicher Alltag als Christ aus?

Gerhard Wagner: Als evangelischer Pfarrer in Siebenbürgen lebe ich meinen Glauben leicht, frei und mit sehr viel Freude. Unsere Gesellschaft hier ist durch und durch christlich geprägt, auch wenn es bei weitem nicht alle ernst mit der Kirche nehmen. Aber sie wissen Bescheid, so dass man sich wegen der eigenen Frömmigkeit nicht erklären muss. Oft habe ich bei kirchenfernen Menschen den Eindruck, dass sie an ihrer Unfähigkeit, an Gott zu glauben, leiden: Sie merken, dass andere eine Sicherheit und Freude haben, die ihnen fehlt.

Mir liegt daran, auch außerhalb meiner Wirkungsstätten durch die Kleidung als Pfarrer erkenntlich zu sein. Ich erlebe durchwegs Akzeptanz - ohne jede Spur von Spott oder Feindschaft. Die größten Hindernisse für meinen Glauben liegen in mir selbst: zu wenig Entschlossenheit, zu wenig Eifer, zu viele Kompromisse. Ich spüre, dass ich hinter den Erwartungen der Menschen um mich herum, ganz gleich welcher Konfession, zurückbleibe.

Im Alltag bemühe ich mich, von den drei Frömmigkeitsübungen Gebet, Fasten und Almosengeben möglichst viel in die Praxis umzusetzen. Zeit, Anlässe und Mittel dazu habe ich reichlich, die Grenzen liegen auch hier bei mir selbst, bei meinen Kräften.

KATH.NET: Wie hoch ist der Anteil der Christen an der Bevölkerung Siebenbürgens?

Gerhard Wagner: Laut Statistik erklären sich hier 97 Prozent der Bevölkerung als einer christlichen Kirche zugehörig. Das sagt natürlich nicht, dass alle diese Menschen praktizierende Christen sind, aber sie erklären damit ihre Bereitschaft, sich als Christen ansprechen zu lassen. Das schafft für Priester und Pastoren gewollt oder ungewollt eine Brücke, über die sie Zugang haben, auch zu den Fernstehenden und umgekehrt. So gut wie niemand trennt sich hier total und endgültig vom christlichen Glauben und von der Kirche.

KATH.NET: In Siebenbürgen gibt es die orthodoxe, die griechisch-katholische, die römisch-katholische sowie verschiedene protestantische Konfessionen. Sie selbst gehören der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses an. Wie ist denn der Kontakt der Christen zueinander?

Gerhard Wagner: Wir leben seit Jahrhunderten mit anderen Konfessionen zusammen. In jedem Dorf gibt es wenigstens drei oder vier Kirchengebäude. Herkömmlich ist es mehr ein friedliches Nebeneinander, so nach dem Prinzip „unvermischt und ungetrennt“. Dabei ist hilfreich, dass die Konfessionen auch mit den Nationen und Sprachen übereinstimmen: Orthodox und griechisch-katholisch sind die Rumänen, römisch-katholisch und reformiert sind die Ungarn und evangelisch sind wir deutschsprachigen Sachsen. Durch die Verschiedenheit der Kultsprachen sind die Konfliktherde auf ein Minimum reduziert und die Kontakte zueinander sind sehr entspannt. Alle gehen wohlwollend davon aus, dass die anderen dasselbe in jeweils ihrer Sprache betreiben. Ich empfinde es jedes Mal als hohes Lob, wenn mir bei Trauungen oder Beerdigungen, wo ich auch rumänisch spreche, gesagt wird: Das ist doch wie bei uns!

KATH.NET: Welche missionarischen Initiativen gibt es? 

Gerhard Wagner: Der Begriff „Mission“ ist hier etwas in Verruf geraten, denn nach der Wende, in den 90er Jahren, kamen viele Erweckungsprediger aus dem Westen zu uns, so als kämen sie unter Heiden. Sie missionierten mit plumpen und primitiven Methoden, sind aber alle gescheitert oder haben sich unserer Art der Frömmigkeit angepasst. Mission wird jedoch jetzt gleichgesetzt mit Proselytenmacherei (Proselytismus wird als abwertende Bezeichnung für eine „Abwerbung“ von Gläubigen ohne innere Bekehrung verstanden, Anm. d. Red.), und die ist allseits unerwünscht, wo doch jeder bereits einer Kirche angehört. Die aktuell einzig effiziente Methode, Leute zu Christus zu führen, ist das gute persönliche Beispiel. In dieser Zeit der überbordenden Wortgewandtheit sind Zeichen und Taten überzeugender als die klügste Argumentation.

KATH.NET: Hatten Sie persönlich Erlebnisse, wo sich Menschen bekehrt haben?

Gerhard Wagner: Ich traue mich nicht, von Bekehrung zu sprechen, aber ich weiß, dass in meinem Wirkungskreis Personen und Familien den Geboten Gottes gehorchend zu einem erneuerten Leben gefunden haben, dass ich Leute, die in Deutschland aus der Kirche ausgetreten waren, dazu bewegen konnte, wieder einzutreten und dass infolge meiner Erläuterungen Menschen davon abgesehen haben, sich einäschern zu lassen. Ob das als Bekehrung angesehen werden kann, weiß ich nicht, aber es machte mich jedes Mal froh und dankbar.

KATH.NET: Was blockiert Mission? Was fördert Mission? Wie würden Sie das beschreiben?

Gerhard Wagner: Ein Missionar muss in der Lage sein, sich hinzustellen und zu rufen: Schaut auf mich, wie ich auf Christus schaue! Folgt mir nach, wie ich Christus nachfolge! Oder, wenn er kein Prediger ist, muss er an dem Ort, wo Gott ihn hingestellt hat, einen solchen mit dem Evangelium übereinstimmenden Lebenswandel haben, dass seine Nächsten das bemerken und neugierig werden. Stattdessen brauchen heutzutage zu viele Christen genauso viel Vergebung wie auch Nichtchristen. Das macht sie für die Mission ungeeignet.

Es wird im Allgemeinen von den Kanzeln zu viel von der Rückkehr des verlorenen Sohnes und dem anschließenden Festmahl gepredigt. Die neuen Heiden wollen wissen, wie es weitergeht, nachdem das gemästete Kalb verzehrt, der Wein ausgetrunken und die Tanzmusik verklungen ist. Sie wollen den Alltag sehen - wie es zugeht, nachdem der bußfertige Sohn das Festgewand abgelegt und Arbeitskleidung angezogen hat. Und hier haben wir zu wenig Überzeugendes zu bieten.

Mir scheint manchmal, wir sitzen als Christen an Tafeln mit leeren Schüsseln und leeren Kannen, wo alles aufgegessen ist, ohne dass wir es merken. Wir sind in Feststimmung und laden andere dazu, und wundern uns, wenn diese ablehnen. Was ist zu tun? Wir müssen endlich zurück an die Feldarbeit, um neue Vorräte zu schaffen, wenn wir weitere verlorene Söhne festlich aufnehmen wollen.

KATH.NET: Was heißt das konkret?

Gerhard Wagner: Unser Arbeitsfeld ist die Erfüllung der Gebote. Jedermann ist von Gott mit Talenten, mit Begabungen für gewisse Werke ausgestattet, keiner kann alles. Es ist nötig, dass wir uns auf das konzentrieren, was wir können und dort Früchte bringen. Immer nur auf das zu schauen, was wir falsch gemacht haben oder was wir nicht können und um Vergebung bitten, ist bestimmt nicht im Sinne Jesu. Es heißt in Psalm 51: „Ein geängstigtes, zerschlagenes Herz wird Gott nicht verachten.“ Das stimmt, aber seine Freude hat er an denen, die Erfolg haben im Tun seiner Gebote. Vergessen wir nicht: Der Anlass für die Rückkehr des verlorenen Sohnes war nicht die väterliche Liebe, sondern dessen erfolgreiche Wirtschaft in Zusammenarbeit mit dem älteren Sohn. Das heißt für uns konkret: Wenn wir Jünger für Jesus machen wollen, müssen wir bieten können, was den Menschen fehlt. Und das müssen wir vorher erarbeiten.

KATH.NET: Wie ist das Verhältnis zwischen Staat und Kirche?

Gerhard Wagner: Seinerzeit haben wir im sozialistischen Unterricht gelernt, dass der Staat eine Waffe ist in den Händen der herrschenden Klasse. Das wissen hierzulande alle. Man kann ihn auch mit einem willigen Reittier vergleichen, das unter jedem Reiter wiehert, der im Sattel sitzt. Die Kirche – bei uns ist es vor allem die Orthodoxe Kirche – befindet sich in einem Dauerkampf mit Profiteuren und Ideologen, weil sie mit im Sattel bleiben möchte. Zur Zeit hat sie gute Chancen, weil sie mehr Nähe zum Volk hat und auch mehr Vertrauen genießt. Wir, die Minderheitenkirchen, sind in ihrem Schatten einfach mit dabei.

Allen christlichen Konfessionen hier ist klar, dass der Feind nicht eine andere Konfession ist oder der Staat an sich, sondern die atheistischen Ideologien, die den Staat in ihre Hände nehmen wollen. Aus diesem Grund sind in Siebenbürgen die ökumenischen Beziehungen sehr gut. Wir machen uns keine Illusionen, dass es zu einer Einigung der Christenheit kommt, aber wir brauchen ein Bündnis gegen das neue Heidentum, das die christliche Kultur von uns allen bedroht.


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