Die Kirche und das leere Stroh

5. September 2023 in Kommentar


Ist es einem Priester erlaubt, selbst zu entscheiden, ob er eheanaloge Segensfeiern durchführt? Gastkommentar von Bernhard Meuser


Augsburg (kath.net) Dieser Beitrag erschien zuerst bei der Initiative "Neuer Anfang".

Ist es einem Priester erlaubt, selbst zu entscheiden, ob er eheanaloge Segensfeiern durchführt? Ist das „Materie des Gewissens“? Einige von allen Seiten unter Druck gesetzte Bischöfe zogen sich aus der Affäre, indem sie den Schwarzen Peter an ihre Priester weitergaben. Bernhard Meuser betrachtet den Vorgang tiefer: er erkennt darin die Wiederholung eines 55 Jahre alten kirchlichen Sündenfalles, der die Kirche unfruchtbar machte.

49-mal findet sich im Neuen Testament das Wort „Frucht“, gewissermaßen die Qualitätssicherung im Reich Gottes. Die Kirche muss Frucht bringen; am besten „hundertfach“, wenn nicht im full run, dann wenigstens „sechzigfach oder dreißigfach.“ (Mt 13,23) Traditionell hat man die Fruchtbarkeit einer kirchlichen Community daran gemessen, ob sie in der Lage ist,„Berufungen“ hervorzubringen, also Menschen, die ihr ganzes Leben auf die Karte Jesus setzen, sei es in der Lebensform Ehe, sei es in Geistlichen Gemeinschaften, Orden, als geweihte Jungfrauen oder als Priester. Gemessen daran sind wir weder bei 100 noch bei 60 – selbst 30 erscheint utopisch. Dabei rotiert die professionelle Kirche wie nie. Gedroschen wird wie wild. Der Mahlstein saust. Aber es kommt kein Mehl.

Was ist da geschehen?

Wann begann sie eigentlich, die mehllose Zeit, die Unfruchtbarkeit der Kirche in den Niederlanden, Deutschland, Österreich und der Schweiz? Sie begann in den Niederlanden am 31.7.1968, in Deutschland am 30.8.1968, in Österreich am 22.9.1968 und in der Schweiz am 11.12.1968. An diesen Tagen publizierten die jeweiligen Bischofskonferenzen die Utrechter Erklärung, die Königsteiner Erklärung, die Mariatroster Erklärung und die Solothurner Erklärung, in denen die Hirten der Kirche in die Knie vor dem Zeitgeist und in den Ungehorsam gegen den Papst gingen. Was war geschehen?

Paul VI., in dem man bis fast in den Sommer 1968 einen modernen, wissenschaftsaffinen Kirchenführer sah, hatte es gewagt, die Grundoptionen der sexuellen Revolution infrage zu stellen. Mit dem Erscheinen der Enzyklika „Humanae Vitae“ am 25.7.1968 war er vom einen auf den anderen Tag ein toter Mann und die Lachnummer der Weltpresse. Der fortan als „Pillenpaul“ verhöhnte Nachfolger Petri hatte in seinem Lehrschreiben u.a. auf dem notwendigen Zusammenhang von Liebe und Sexualität wie auf dem unauflösbaren Zusammenhang von Sexualität und Fruchtbarkeit bestanden; er hatte auf die Gefahr der Instrumentalisierung der Sexualität hingewiesen und erkannt, dass die Frauen zu Opfern Ihrer vermeintlichen Befreiung werden würden.

Wer sich die Mühe einer Relecture von „Humanae Vitae“ macht, wird von einem Erstaunen in das nächste fallen und Paul VI im gleichen Moment für einen wegweisenden Propheten halten. 55 Jahre nach der tollkühnen Ansage wider den Zeitgeist haben wir nicht nur die demoskopische Katastrophe, die der Papst kommen sah, wir sind auch mit der bis dato gründlichsten Zerstörung unserer Beziehungswelten konfrontiert, bis hin zu „Abtreibung als Menschenrecht“ und der Auflösung geschlechtlicher Identität.

Der Prophet im eigenen Land

Viele Katholiken in Westeuropa verhielten sich seinerzeit zum Papst wie die Nazarener in Mt 13 zu Jesus. Während der neomarxistische Philosoph Max Horkheimer Paul VI. Respekt zollte, hielten die eigenen Leute ihr Oberhaupt für komplett übergeschnappt. Die Kirche bebte, Theologen hyperventilierten, Bischöfe schüttelten den Kopf vor so viel Borniertheit. Sie berieten hin und her und hielten die unbequeme Lehre am Ende nicht für vermittelbar. In einem spektakulären Akt kirchlichen Ungehorsams machten sie aus der päpstlichen Lehre eine nette Ansicht, die man nicht unbedingt teilen müsse. Jeder könne in seinem Gewissen entscheiden, was davon zu halten sei. Fortan ereignete sich – angeführt von den Niederländern – der Niedergang von vier einst bedeutenden Ortskirchen, die mit progressiver Unfruchtbarkeit geschlagen wurden.

„Wir hatten nicht den Mut“

„Wir hatten nicht den Mut“, reflektierte der Wiener Kardinal Schönborn 2008 das Verhalten der damaligen Bischöfe, „(…) wegen der Presse, und auch wegen des Unverständnisses unserer Gläubigen (…) diesen Mut, Ja zu sagen zu Gott, zu Jesus, auch um den Preis der Verachtung. Wir waren hinter den verschlossenen Türen, aus Angst. Ich denke, auch wenn wir damals nicht Bischöfe waren, so müssen wir diese Sünde des europäischen Episkopats bereuen, des Episkopats, der nicht den Mut hatte, Paul VI. mit Kraft zu unterstützen, denn heute tragen wir alle in unseren Kirchen und in unseren Diözesen die Last der Konsequenzen dieser Sünde.“

Das leere Stroh wird immer noch weiter geschlagen

55 Jahre nach „Humanae Vitae“ ist von einer ansteigenden Lernkurve in „Nazareth“ leider nicht zu berichten. Das leere Stroh wird immer noch weiter geschlagen, selbst wenn nur noch Staub aufsteigt. Gerade machen Bischöfe – wir wollen ihre Namen einmal nicht nennen – damit Aufsehen, dass sie das römische Verbot eheanaloger Segensfeiern dem Gewissensurteil ihrer Seelsorger anheimstellen. Das ist „1968“ noch einmal, die Wiederholung  eines historischen Fehlers und der Erweis einer nicht gelernten, biblischen  Lektion: „Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt.“ (Mt 3,8) Eines steht fest: Keinem katholischen Bischof ist es erlaubt, die verbindliche Weisung des Heiligen Stuhles für eine bloße Ansicht zu halten, die Zustimmung dazu zur Geschmacksfrage zu erklären und sie von der Einsicht der Akteure an der Basis abhängig zu machen.

Die Früchte des Geistes

Womit wir wieder bei der Unfruchtbarkeit wären. Die Unfruchtbarkeit einer Kirche ist die ganze oder teilweise Abwesenheit der Früchte des Heiligen Geistes. Paulus kontrastiert sie den „Werken des Fleisches“, als da sind: „Unzucht, Unreinheit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid, maßloses Trinken und Essen und Ähnliches mehr.“ (Gal 5,19-21) Danach trägt Paulus die Positivliste vor, nämlich die Früchte des Heiligen Geistes, als da sind: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Enthaltsamkeit.“ (Gal 5,22-23)

Der Wendepunkt der Liebe

Einmal konnte ich (mit allen anderen Internetbenutzern) die Kirche im kollektiven Ungehorsam, im Dreschen von leerem Stroh und in der vollkommenen und vollständigen Abwesenheit aller Früchte des Heiligen Geistes auf einmal betrachten. Es war dies das öffentliche Gemetzel, das die Katholische Kirche der Welt auf der Fünften Vollversammlung des Synodalen Weges vom 9. – 11.3.2023 darbot. Es erschütterte mich. Das sollte der Weg der Kirche sein, ein neuer Anfang mit Jesus, der Einstieg in die Freude, ein Abbild der Gemeinschaft der Heiligen, ein Zeugnis geistgewirkter Fruchtbarkeit? Never. Spätestens seit diesem Tag fühle ich mich ermutigt, dem hl.  Johannes vom Kreuz die Möglichkeit zu einem konstruktiven Wort an die Kirche zu geben:

„Am Abend wirst du in der Liebe geprüft. Lerne zu lieben, wie Gott geliebt sein möchte, und lass deine Eigenheit.“

Bernhard Meuser ist Theologe, Publizist und renommierter Autor zahlreicher Bestseller (u.a. „Christ sein für Einsteiger“, „Beten, eine Sehnsucht“, „Sternstunden“). Er war Initiator und Mitautor des 2011 erschienenen Jugendkatechismus „Youcat“. In seinem Buch „Freie Liebe – Über neue Sexualmoral“ (Fontis Verlag 2020), formuliert er Ecksteine für eine wirklich erneuerte Sexualmoral.


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