Ethikerin zu Sterbehilfe: Töten ist keine Therapieoption

9. September 2020 in Prolife


IMABE-Geschäftsführerin Kummer in Wiener Kirchenzeitung: "Sterbehilfe-Begriff nicht jenen überlassen, die für Hilfe beim Töten sind" - Warnung vor "Kulturwandel" durch assistierten Suizid


Wien (kath.net/KAP) Eine präzise Unterscheidung zwischen dem Wunsch zu sterben und der Aufforderung "Töte mich!" hat die Wiener Bioethikerin Susanne Kummer eingemahnt. Es sei gut nachzufühlen, wenn bei "hochbetagten, multimorbiden Menschen" immer wieder der Satz "Ich will nicht mehr" auftauche, doch: "Sterben zu wollen ist nicht dasselbe wie: Töte mich! Töten ist keine Therapieoption", mahnte die Geschäftsführerin des Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) in einem Interview mit der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (aktuelle Ausgabe).

Zwar gebe es ein "Recht auf Leben" und auch ein Recht darauf, "dass Sterben nicht unnötig verlängert, sondern zugelassen wird", stellte Kummer klar. "Aber es gibt kein Recht auf Tötung. Aus dem Recht auf Selbstbestimmung kann daher weder ein Recht noch die Pflicht des Arztes oder anderer Personen zur Mithilfe oder die Tötung seiner Patienten auf Wunsch abgeleitet werden. Vielleicht sollten wir aber auch das Wort Sterbehilfe rehabilitieren und ihm seinen ursprünglichen Sinn wiedergeben." Hilfe beim Sterben brauche jeder Mensch - vor allem durch Begleitung, Handhalten und Trost. Der Sterbehilfe-Begriff solle daher nicht jenen überlassen werden, "die für Hilfe beim Töten sind".

Die kirchliche Expertin bezog sich dabei auf die noch im September anstehende Befassung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs mit vier Klagen, die ein Schweizer Sterbehilfe-Verein im Mai 2019 eingereicht hatte. Deren erklärtes Ziel ist es, das geltende Verbot von Tötung auf Verlangen sowie Beihilfe zum Suizid aufzuheben. Bisher gehe der Gesetzgeber richtigerweise davon aus, "dass Menschen mit Suizidgedanken schutzbedürftig sind", sagte Kummer; Österreich stehe dabei durchaus im Einklang mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

Würde das Verbot nun gelockert, so stünden auch für Österreich weitreichende Veränderungen an. "Wenn der Staat Tötungswünsche nur noch regelt, statt seiner Schutzpflicht für Menschen in vulnerablen Situationen wie Krankheit, Alter oder sozialer Isolation nachzukommen, geschieht ein Kulturwandel", warnte die Geschäftsführerin. Die Niederlanden gäben hier ein erschreckendes Beispiel: Bereits 15 Menschen pro Tag sterben dort inzwischen durch sogenannte "Euthanasie", die inzwischen auch für Kinder und psychisch Kranke erlaubt ist. Derzeit diskutiert man dort laut Kummer eine "Letzte-Wille-Pille" für gesunde, aber lebenssatte Senioren ab 75 Jahren.

Internalisierte Fremdbestimmung

Mehr Vorsicht wäre laut der Expertin auch gegenüber dem Begriff der "Selbstbestimmung" angebracht, welcher von Suizidbeihilfe-Befürwortern "überhöht" werde. "Menschen, die sich mit Tötungsgedanken befassen, leben nicht auf einer seligen Insel der Autonomie. Im Gegenteil: Wer schwer krank, einsam oder gebrechlich ist, befindet sich in einer höchst verletzlichen Phase seines Lebens", unterstrich Kummer. Die Angst oder auch die Tatsache, anderen zur Last zu fallen, könne Betroffene in eine "Sackgasse tiefer Isolation und Hoffnungslosigkeit" treiben; stehe in dieser Phase auch die Tötungs-Option als "Lösung" im Raum, wachse damit der Druck, sich den Erwartungen der Gesellschaft, der Angehörigen zu stellen. "Dann sinkt die Hemmschwelle."

Beobachtbar sei dieser Mechanismus auch in ganz anderen Bereichen: Kummer nannte als Beispiel Frauen, die sich einer Schönheits-OP unterziehen, da ihnen die Umgebung suggeriere, sie seien "nicht schön genug". "Sie sagen 'Ich will eben eine Brustvergrößerung' - und dabei übernehmen sie unbewusst die Erwartung anderer. In der Wissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von 'internalisierter Fremdbestimmung'", so die Bioethikerin, laut der dieselbe Entwicklung für den Bereich des Sterbens "fatal" wäre.

Alternativen aufzeigen

Menschen in existentiellen Lebenskrisen, die von Suizidabsichten geplagt sind, bräuchten nicht jemanden, "der sich mit ihren Selbsttötungsgedanken solidarisiert", sondern "positive Erfahrungen", betonte Kummer mit Blick auf den am 10. September begangenen Welttag der Suizidprävention: Nötig sei ein "Gegenüber, das ihnen lebensbejahende Auswege aus ihrer Krise aufzeigt". Prävention könne man "nicht groß genug schreiben": Dass die Suizidrate im Alter zunehme, und die Kombination von Alter und Vereinsamung das Risiko noch erhöhe, sei bekannt. Die Corona-Maßnahmen hätten dabei die Isolation und Ängste noch verstärkt.

Medizin, Psychotherapie und die gesamte Gesellschaft müssten "in der Lage sein, rechtzeitig und effektiv Hilfe zu leisten", so die Forderung der IMABE-Geschäftsführerin. Erst recht gelte dies, da sich ein Suizid oft auch lange über den Tod der geliebten Person hinaus sehr schmerzlich auf das Umfeld auswirke und keine Antworten gebe, sondern "viele Fragen aufreißt". Alle Präventionsbemühungen würden bei einer Legalisierung der Beihilfe zum Sterben "schnell an ihre Grenze" kommen, gab Kummer zu bedenken.


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