Die Solidarität und die Tugend des Glaubens

2. September 2020 in Aktuelles


Franziskus: wider das ‚Babel-Syndrom“. Neue Formen der familiären Gastfreundschaft, der fruchtbaren Brüderlichkeit und der universellen Solidarität. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) „Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“ (Apg 2,1-4).

 

Die Zeit der aus der Bibliothek der ehemaligen Papstwohnung im Apostolischen Palast gestreamten Gespensteraudienzen ist vorbei. Am Mittwoch, den 2. September, wurden die Generalaudienz des Heiligen Vaters in Anwesenheit der Gläubigen wieder aufgenommen. Gemäß den Gesundheitsanweisungen der Behörden finden die Audienzen im September ab 9.30 Uhr im Hof des Apostolischen Palastes „San Damaso“ statt. Die Teilnahme steht allen offen, die dies wünschen, ohne dass Eintrittskarten benötigt werden. Der Eintritt erfolgt ab 7.30 Uhr vom Bronzetor (Kolonnade rechts vom Petersplatz).

 

Die gegenwärtige Pandemie, so der Papst in Fortsetzung seiner Katechesenreihe „Die Welt heilen“, zeige, wie sehr wir alle miteinander verbunden seien – im Schlechten wie im Guten. Daher könnten wir nur gemeinsam und solidarisch diese Krise überwinden.

 

Solidarität sei mehr als die ein oder andere großzügige Geste. Es gehe dabei um eine Mentalität, eine Gesinnung des „Wir“, für die jeder Mensch gleich wichtig und wertvoll sei. Solidarität bedeute also auch Gerechtigkeit (vgl. KKK 1938-1940).

 

Mit der Erzählung vom Turmbau zu Babel (vgl. Gen 11,1-9) führe uns die Bibel vor Augen, was passiere, wenn wir „hoch hinaus“ wollten, dabei aber die Verbindung mit den Mitmenschen, mit der Schöpfung und mit dem Schöpfer ignorierten.

 

„Wir bauen Türme und Wolkenkratzer“, so Franziskus, „aber wir zerstören die Gemeinschaft. Wir vereinheitlichen Gebäude und Sprachen, aber wir kasteien den kulturellen Reichtum. Wir wollen Herren der Erde sein, aber wir ruinieren die biologische Vielfalt und das ökologische Gleichgewicht.

 

Ich erinnere mich an eine mittelalterliche Erzählung, die dieses ‚Babel-Syndrom’ beschreibt. Es besagt, dass während des Baus des Turms, als ein Mann stürzte und starb, niemand etwas sagte. Wenn stattdessen ein Ziegelstein herunterfiel, beschwerten sich alle. Warum? Weil ein Ziegelstein teuer war. Es brauchte Zeit und Arbeit, um Ziegel herzustellen. Ein Ziegelstein war mehr wert als ein Menschenleben. Leider kann so etwas auch heute noch passieren. Ein gewisser Anteil des Finanzmarkts fällt, und die Nachrichten sind in allen Agenturen. Tausende von Menschen fallen vor Hunger - und niemand spricht darüber“.

 

Im Gegensatz zu Babel stehe das Pfingstereignis (vgl. Apg 2,1-3). Der Heilige Geist komme wie Wind und Feuer von oben auf die Apostel herab, erfülle sie mit der Kraft Gottes und dränge die ängstlich verschlossene Gesellschaft, hinauszugehen und Jesus, den Herrn, überall zu verkünden.

 

Der Geist schaffe Einheit in Vielfalt, „denn jeder ist mit seiner Eigenheit wichtig für den Aufbau der Gemeinschaft“. Eine solche solidarische Vielfalt verhindere zum einen, dass die Einzigartigkeit jedes Einzelnen in Individualismus und Egoismus abdrifte. Zum anderen saniere sie jene sozialen Strukturen und Prozesse, die zu Systemen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung degeneriert seien (vgl. Kompendium der Soziallehre der Kirche, 192). Der Heilige Geist verleihe uns die Kreativität, neue Formen familiärer Gastfreundschaft und universaler Solidarität zu entwickeln. Der Papst unterstrich erneut: aus einer Krise müsse man besser hervorgehen.

 

„Inmitten von Krisen und Stürmen“, so der Papst abschließend, „fordert uns der Herr heraus und lädt uns ein, diese Solidarität zu wecken und zu aktivieren, die fähig ist, diesen Stunden, in denen alles zunichte zu sein scheint, Festigkeit, Unterstützung und Sinn zu geben. Möge die Kreativität des Heiligen Geistes uns ermutigen, neue Formen der familiären Gastfreundschaft, der fruchtbaren Brüderlichkeit und der universellen Solidarität zu schaffen“.

 

 

Die Pilger und Besucher aus dem deutschen Sprachraum begrüßte der Heilige Vater mit den folgenden Worten:

 

Herzlich grüße ich die Gläubigen deutscher Sprache. Es freut mich sehr, dass bei den Generalaudienzen nun wieder eine persönliche Begegnung von Angesicht zu Angesicht möglich ist. Solche Unmittelbarkeit brauchen wir als soziale Wesen und sie tut unserer Seele gut. Bitten wir den Herrn, dass die Krise die Menschheit nicht entzweit, sondern immer näher zusammenrücken lässt.


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