„Der Libanon kann die Versorgung der Menschen nicht alleine stemmen“

19. August 2020 in Interview


Um die betroffenen Menschen der verheerenden Detonation kümmert sich auch das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“. Als erste Hilfe konnte mit den lokalen Kirchen eine Lebensmittelnothilfe für die Überlebenden begonnen werden.


„Der Libanon kann die Versorgung der Menschen nicht alleine stemmen“

 

Am 4. August 2020 explodierte in Beirut ein Hafenspeicher mit Ammoniumnitrat. Dabei wurde ein großer Teil der Stadt zerstört. Über 200 Menschen kamen ums Leben, etwa 300 000 sind obdachlos geworden.

 

Um die betroffenen Menschen der verheerenden Detonation kümmert sich auch das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“. Als erste Hilfe konnte mit den lokalen Kirchen eine Lebensmittelnothilfe für die Überlebenden begonnen werden.

 

Über die aktuelle Lage und die Arbeit von „Kirche in Not“ im Libanon berichtet Florian Ripka, Geschäftsführer von „Kirche in Not“ Deutschland. Die Fragen stellte Stefan Stein.

 

Stefan Stein: Herr Ripka, welche Verbindung hat „Kirche in Not“ zum Libanon?

Florian Ripka: In den vergangenen Jahren ist der Libanon zu einem wichtigen Projektland von „Kirche in Not“ geworden. Allein im Jahr 2019 gingen mehr als 2,2 Millionen Euro in das Land. Unser Hilfswerk hat dort zahlreiche Projekte gefördert – von Mess-Stipendien für Priester über Förderung von Kinder- und Schülerprogrammen bis hin zu Lebensmittelnothilfen.

 

Derzeit kommt es vor allem in der Hauptstadt Beirut zu Protesten der libanesischen Bevölkerung. Die Regierung ist in der Zwischenzeit bereits zurückgetreten. Was können Sie über die wirtschaftliche und soziale Situation im Libanon sagen?

Schon vor der Explosion im Hafen von Beirut hatte es die Bevölkerung schwer: Durch eine hohe Staatsverschuldung und weitverbreitete Korruption kommt das Land wirtschaftlich nicht auf die Beine. Viele Libanesen, insbesondere junge Menschen, denken über Auswanderung nach. Wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten können nicht alle soziale Einrichtungen und Schulen aufrechterhalten werden. Die Arbeitslosenquote im Libanon liegt bei 25 Prozent, bei jungen Leuten sogar bei 37 Prozent.

 

Welche Rolle spielen die Kirchen im Land?

Im Libanon gibt es im Vergleich zu anderen Staaten des Nahen Ostens viele christliche Einwohner. 36 Prozent der Libanesen sind Christen; sie gehören zu einem Großteil der maronitisch griechisch-katholischen Kirche an. Etwas mehr als die Hälfte der Einwohner sind Muslime. Von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Land ist auch die Kirche betroffen. Sie ist auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen.

 

Neben der wirtschaftlichen Herausforderung ist in den vergangenen Jahren eine weitere hinzugekommen: die große Zahl an Flüchtlingen aus Syrien …

Ja, kein anderes Land hat, gemessen an der Zahl der Einwohner, so viele Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen wie der Libanon. Beim Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) sind 950 000 syrische Flüchtlinge registriert. Die libanesische Regierung schätzt sogar, dass es mindestens 1,5 Millionen sind. Das wäre ein Viertel der libanesischen Einwohnerzahl. Hinzu kommen noch mindestens 180 000 palästinensische Flüchtlingsfamilien und 18 000 Geflüchtete aus dem Irak, Sudan und anderen Ländern.

 

Wie und wo leben die syrischen Flüchtlinge?

Der überwiegende Teil kann zwar in Wohnhäusern leben, aber deren Zustand ist nicht immer der beste. Darüber hinaus gibt es auch einige Flüchtlingslager im Land. Besonders Kinder leiden unter den Umständen. Mehr als die Hälfte der syrischen Kinder zwischen drei und 18 Jahren kann keine Schule besuchen.

Die Versorgung der vielen Flüchtlinge kann das Land nicht alleine stemmen. Mehr als zwei Drittel der syrischen Haushalte im Libanon lebt unterhalb der Armutsgrenze. Der Großteil leidet Hunger. Auch das Trinkwasser ist häufig mit Bakterien kontaminiert.

 

Sie haben bereits kurz angedeutet, wie „Kirche in Not“ im Libanon hilft. Nennen Sie uns bitte ein Projektbeispiel, das Ihnen besonders am Herzen liegt.

Da denke ich als Erstes an die Tafel „Sankt Johannes der Barmherzige“ in der Stadt Zahlé. Hier werden jeden Tag warme Mahlzeiten für syrische Flüchtlinge zubereitet. Leider konnte die Einrichtung wegen der Einschränkungen in der Corona-Pandemie nicht geöffnet bleiben. Dennoch geht die Hilfe weiter. Jeden Tag kochen freiwillige Helferinnen und Helfer 400 warme Mahlzeiten und geben sie an bedürftige Menschen weiter. „Kirche in Not“ fördert dieses Projekt jährlich mit einem sechsstelligen Betrag. Hier wird weiterhin Hilfe und Unterstützung benötigt.

 

Wie hilft „Kirche in Not“ in Beirut?

Das Stadtviertel Aschrafiyya (Achrafieh), in dem überwiegend Christen leben, ist von den Folgen der Detonation im Hafen stark betroffen und beschädigt worden. Es liegt nur wenige Kilometer entfernt vom Unglücksort. Hier hat „Kirche in Not“ in Zusammenarbeit mit den lokalen Kirchen eine Lebensmittelnothilfe für besonders betroffene Familien eingerichtet. Auch erste Maßnahmen zum Wiederaufbau laufen bereits an.

 

Foto: Freiwillige versorgen die Überlebenden der Katastrophe von Beirut (c) Kirche in Not


© 2020 www.kath.net