Eine Flamme, die brennt, aber nicht zerstört

29. Mai 2020 in Aktuelles


Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: das Feuer Gottes, das Feuer des Heiligen Geistes, ist das Feuer des Dornbusches, das auflodert, ohne zu verbrennen. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) 2020 – ein durch die Pandemie gezeichnetes Jahr mit großen und schwerwiegenden Einschränkungen, dies gerade auch für das kirchliche Leben. Eine „leere“ Fastenzeit, Ostern ohne öffentliche Liturgien. Und nun wird Papst Franziskus in Rom auch an Pfingsten keine öffentliche Messe feiern. Diese wird „im kleinen Rahmen“ in der Sakramentskapelle der Petersbasilika stattfinden.

 

Diese Wochen haben viel gezeigt: viel Scheitern, viele Fehler, eine große Abwesenheit, die Notwendigkeit der Kirche und des kirchlichen Lebens, zu einem neuen Bewusstsein zu gelangen. Bei den ganzen Kommuniondiskussionen wurde dann vor allem eines deutlich: die Auswirkungen eines seit Jahrzehnten bestehenden Fehlens einer angemessenen Katechese.

 

In dieser katastrophalen Situation, deren Ende noch nicht abzusehen ist, ist es umso wichtiger, sich auf Wirken und Wirklichkeit des Heiligen Geistes zu besinnen.

 

Benedikt XVI., heilige Messe am Pfingstsonntag, 23. Mai 2010:

 

Liebe Brüder und Schwestern!

 

Bei der Feier des Hochfestes Pfingsten sind wir eingeladen, unseren Glauben an die Gegenwart und das Wirken des Heiligen Geistes zu bekennen und seine Ausgießung auf uns, auf die Kirche und die ganze Welt zu erbitten. Wir machen uns also mit besonderer Innigkeit die Anrufung der Kirche zu eigen: Veni, Sancte Spiritus! Eine ebenso einfache wie unmittelbare, doch gleichzeitig außerordentlich tiefe Anrufung, die vor allem anderen aus dem Herzen Christi hervorquillt. Der Geist ist nämlich die Gabe, um die Jesus den Vater für seine Freunde gebeten hat und weiterhin bittet; die erste und vorzügliche Gabe, die er mit seiner Auferstehung und Himmelfahrt für uns erlangt hat.

 

Von diesem Gebet Christi spricht der heutige Abschnitt aus dem Evangelium, der im Kontext des Letzten Abendmahles steht. Jesus, der Herr, sagt zu seinen Jüngern: »Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten. Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll« (Joh 14,15–16). Hier wird uns das betende Herz Jesu offenbart, das Herz des Sohnes Gottes und unseres Bruders. Dieses Gebet Christi erreicht seinen Höhepunkt und seine Erfüllung am Kreuz, wo es ganz eins mit der völligen Hingabe wird, mit der er sich selbst darbringt, und auf diese Weise wird sein Beten sozusagen zum Siegel seiner vollen Selbsthingabe aus Liebe zum Vater und zur Menschheit: Anrufung und Schenkung des Heiligen Geistes treffen aufeinander, sie durchdringen sich, sie werden zu einer einzigen Wirklichkeit. »Und ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll.« In Wirklichkeit ist das Gebet Jesu – jenes beim Letzten Abendmahl und das Gebet am Kreuz – ein Gebet, das auch im Himmel fortdauert, wo Christus zur Rechten des Vaters sitzt. Jesus nämlich lebt sein Priestertum der Fürsprache für das Volk Gottes und die ganze Menschheit immerzu und betet daher für uns alle, indem er den Vater um die Gabe des Heiligen Geistes bittet.

 

Der Pfingstbericht im Buch der Apostelgeschichte – wir haben ihn in der ersten Lesung gehört (vgl. Apg 2,1–11) – stellt den »neuen Lauf« des Werkes Gottes vor, der mit der Auferstehung Christi seinen Anfang genommen hat, eines Werkes, das den Menschen, die Geschichte und den Kosmos umfaßt. Vom Sohn Gottes ausgehend, der gestorben, auferstanden und zum Vater heimgegangen ist, weht nun mit beispielloser Kraft der göttliche Hauch, der Heilige Geist. Und was bewirkt diese neue und machtvolle Selbstmitteilung Gottes? Dort, wo Zerrissenheit und Fremdheit sind, schafft sie Einheit und Verständnis. Es wird ein Prozeß der Wiedervereinigung unter den getrennten und verstreuten Gliedern der Menschheitsfamilie ausgelöst; die oft auf Einzelpersonen reduzierten Menschen, die miteinander im Wettstreit oder in Auseinandersetzung stehen, öffnen sich, wenn sie der Geist Christi erreicht, der Erfahrung der Gemeinschaft, die sie bis zu dem Punkt zu erfassen vermag, daß aus ihnen ein neuer Organismus, ein neues Subjekt entsteht: die Kirche. Das ist die Wirkung des Werkes Gottes: die Einheit; deshalb ist die Einheit das Erkennungszeichen, die »Visitenkarte« der Kirche im Lauf ihrer universalen Geschichte. Von Anfang an, seit dem Pfingsttag, spricht sie alle Sprachen. Die universale Kirche geht den Teilkirchen voraus, und diese müssen sich immer einem Kriterium der Einheit und Universalität entsprechend an jene angleichen. Die Kirche bleibt nie innerhalb politischer, rassischer und kultureller Grenzen gefangen; sie kann weder mit den Staaten noch mit Zusammenschlüssen von Staaten verwechselt werden, da ihre Einheit von anderer Art ist und darauf abzielt, alle menschlichen Grenzen zu überwinden.

 

Daraus, liebe Brüder und Schwestern, ergibt sich ein praktisches Unterscheidungskriterium für das christliche Leben: Wenn sich eine Person oder eine Gemeinschaft in ihre eigene Weise zu denken und zu handeln verschließt, so ist dies ein Zeichen, daß sie sich vom Heiligen Geist entfernt hat. Der Weg der Christen und der Teilkirchen muß sich immer am Weg der einen und katholischen Kirche messen und mit ihm in Einklang setzen.

 

Das bedeutet nicht, daß die vom Heiligen Geist geschaffene Einheit eine Art Egalitarismus wäre. Dies ist im Gegenteil das Modell von Babel, das heißt die Auferlegung einer Kultur der Einheit, die wir als »technisch« definieren könnten. Die Bibel nämlich sagt uns (vgl. Gen 11,1–9), daß in Babel alle dieselbe Sprache hatten. An Pfingsten indes sprechen die Apostel verschiedene Sprachen, damit ein jeder die Botschaft in seiner Muttersprache verstehe. Die Einheit des Geistes tritt in der Pluralität des Verstehens zutage. Die Kirche ist ihrem Wesen nach eine und mannigfaltig und dazu bestimmt, unter allen Nationen, Völkern und in den unterschiedlichsten sozialen Kontexten zu leben. Sie entspricht nur dann ihrer Berufung, Zeichen und Werkzeug für die Einheit der ganzen Menschheit zu sein (vgl. Lumen gentium, 1), wenn sie unabhängig von jedem Staat und von jeder Sonderkultur bleibt. Immer und überall muß die Kirche wahrhaft katholisch und universal sein, das Haus aller, in dem jeder sich einfinden kann.

 

Der Bericht der Apostelgeschichte bietet uns noch einen weiteren, sehr konkreten Anhaltspunkt. Die Universalität der Kirche kommt entsprechend der antiken Tradition in der Aufzählung der Völker zum Ausdruck: »Wir sind Parther, Meder und Elamiter…« usw. Hier kann man feststellen, daß der hl. Lukas über die Zahl 12 hinausgeht, die immer bereits eine Universalität zum Ausdruck bringt. Er blickt über die Horizonte Asiens und Nord-West-Afrikas hinaus und fügt weitere drei Elemente hinzu: die »Römer«, das heißt die westliche Welt; die »Juden und Proselyten«, wobei er die Einheit zwischen Israel und der Welt auf eine neue Weise begreift; und schließlich die »Kreter und Araber«, die den Westen und den Osten, die Inseln und das Festland repräsentieren. Diese Öffnung der Horizonte bestätigt weiter die Neuheit Christi in der Dimension des menschlichen Raumes, in der Geschichte der Völker: Der Heilige Geist ergreift Menschen und Völker und überwindet durch sie Mauern und Barrieren.

 

An Pfingsten offenbart sich der Heilige Geist als Feuer. Seine Flamme ist auf die versammelten Jünger herabgekommen, sie hat sich in ihnen entzündet und ihnen die neue Glut Gottes geschenkt. So verwirklicht sich das, was Jesus, der Herr, vorhergesagt hatte: »Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!« (Lk 12,49). Die Apostel haben zusammen mit den Gläubigen der verschiedenen Gemeinden diese göttliche Flamme bis an die äußersten Grenzen der Erde gebracht; sie haben so der Menschheit einen Weg eröffnet, einen hellen Weg, und sie haben mit Gott zusammengewirkt, der mit seinem Feuer das Antlitz der Erde erneuern will.

 

Wie anders ist doch dieses Feuer im Vergleich zu jenem der Kriege und Bomben! Wie anders ist der Brand Christi, den die Kirche verbreitet, gegen über jenen Feuerstürmen, welche die Diktatoren aller Zeiten, auch des vergangenen Jahrhunderts, entfacht haben, die nur verbrannte Erde hinter sich lassen. Das Feuer Gottes, das Feuer des Heiligen Geistes, ist das Feuer des Dornbusches, das auflodert, ohne zu verbrennen (vgl. Ex 3,2). Eine Flamme, die brennt, aber nicht zerstört; die im Gegenteil dadurch, daß sie auflodert, den besten und wahrsten Teil des Menschen zutage treten läßt, sie läßt wie beim Schmelzen seine innere Gestalt hervortreten, seine Berufung zur Wahrheit und zur Liebe.

 

Ein Kirchenvater, Origenes, gibt in einer seiner Homilien zum Propheten Jeremias ein Wort wieder, das Jesus zugeschrieben wird. Es ist nicht in der Heiligen Schrift enthalten, aber vielleicht authentisch und lautet: »Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe« (Homilie zu Jeremias L. I [III]). Denn in Christus wohnt die Fülle Gottes, der in der Bibel mit dem Feuer verglichen wird. Wir haben soeben gesagt, daß die Flamme des Heiligen Geistes brennt, aber nicht verbrennt. Und dennoch bewirkt sie eine Verwandlung, und deshalb muß sie etwas im Menschen verzehren, die Schlacken, die ihn verderben und in seinen Beziehungen zu Gott und dem Nächsten beeinträchtigen.

 

Diese Wirkung des göttlichen Feuers jedoch erschreckt uns, wir haben Angst, uns zu »verbrennen«, wir würden es vorziehen, so zu bleiben, wie wir sind. Das hängt von der Tatsache ab, daß unser Leben oftmals an der Logik des Habens, des Besitzens und nicht der Selbsthingabe ausgerichtet ist. Viele Menschen glauben an Gott und bewundern die Gestalt Jesu Christi, wenn man aber von ihnen fordert, etwas von sich selbst zu verlieren, so ziehen sie sich zurück und haben Angst vor den Anforderungen des Glaubens. Es besteht die Furcht, auf etwas Schönes verzichten zu müssen, an dem wir hängen; die Furcht, daß uns die Nachfolge Christi der Freiheit, gewisser Erfahrungen, eines Teils unserer selbst beraube. Einerseits wollen wir bei Jesus sein, ihm aus der Nähe folgen, und andererseits fürchten wir uns vor den Konsequenzen, die dies mit sich bringt.

 

Liebe Brüder und Schwestern, wir haben es stets nötig zu hören, daß Jesus, der Herr, das zu uns sagt, was er oft seinen Freunden wiederholte: »Fürchtet euch nicht.« Wie Simon Petrus und die anderen müssen wir es zulassen, daß seine Gegenwart und seine Gnade unser Herz verwandeln, das immer den menschlichen Schwächen unterworfen ist. Wir müssen es verstehen anzuerkennen, daß der Verlust von etwas, mehr noch: daß der Verlust seiner selbst für den wahren Gott, den Gott der Liebe und des Lebens, in Wirklichkeit ein Gewinn ist, ein volleres Finden seiner selbst.

 

Wer sich Jesus anvertraut, erfährt bereits in diesem Leben den Frieden und die Freude des Herzens, welche die Welt nicht geben und nicht einmal nehmen kann, da es Gott ist, der sie uns geschenkt hat. Es lohnt sich also, sich vom Feuer des Heiligen Geistes berühren zu lassen! Der Schmerz, den dies bereitet, ist für unsere Verwandlung notwendig. Das ist die Wirklichkeit des Kreuzes: Nicht umsonst ist in der Sprache Jesu das »Feuer« vor allem ein Bild des Kreuzesgeheimnisses, ohne das es kein Christentum gibt. Daher erheben wir erleuchtet und gestärkt durch diese Worte des Lebens unser Gebet: Komm, Heiliger Geist! Entzünde in uns das Feuer deiner Liebe! Wir wissen, daß dies ein kühnes Gebet ist, mit dem wir darum bitten, von der Flamme Gottes berührt zu werden; doch wir wissen vor allem, daß diese Flamme – und sie allein – die Macht hat, uns zu retten. Wir wollen nicht, um unser Leben zu verteidigen, das ewige Leben verlieren, das Gott uns schenken will. Wir brauchen das Feuer des Heiligen Geistes, da allein die Liebe erlöst. Amen.


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