Die Hand Jesu – Eine Betrachtung in einer außergewöhnlichen Fastenzeit

3. April 2020 in Spirituelles


"Eine Fastenzeit wie nie zuvor in unserem Leben durchleiden wir Christen in diesem Jahr, getrennt vom liturgischen Leben, getrennt von den Sakramenten, die uns Kraft und Freude geben..." Geistlicher Impuls der Ärztin Eva-Maria Hobiger


Linz (kath.net) Eine Fastenzeit wie nie zuvor in unserem Leben durchleiden wir Christen in diesem Jahr, getrennt vom liturgischen Leben, getrennt von den Sakramenten, die uns Kraft und Freude geben, ausgesperrt aus den Kirchen, eingeschlossen in unseren Häusern und Wohnungen, getrennt sogar von Menschen, die uns lieb und wert sind, viele in Angst lebend. Die Fastenzeit des Jahres 2020 wird für uns Christen in gewisser Weise über den Ostersonntag hinaus bestehen bleiben, denn auch die Karwochen- und Osterliturgie werden wir nicht mitfeiern können, das steht schon fest. Das erlösende Osteralleluja werden wir nur im virtuellen Raum erleben, ob es von dort in unsere Seele dringen kann, ohne den äußeren Zeichen, deren wir Menschen, von unseren Sinnen abhängig, so sehr benötigen? Die Livestream-Messen, die wir derzeit erleben, sind trocken und unwirklich, in einer gewissen Weise widernatürlich. Im Lukas-Evangelium lesen wir die Worte Jesu: „Es werden Tage kommen, da wird ihnen der Bräutigam genommen sein, in jenen Tagen werden sie fasten.“ Ja, uns ist jetzt der Bräutigam genommen und für uns herrscht die Zeit des Fastens, in diesem Fall aber angeordnet von der staatlichen Autorität, die die Gottesdienste und den Empfang der Sakramente verbietet und sogar Priestern den Zugang zu alten und sterbenden Menschen in Krankenhäusern und Heimen verweigert. Dies alles, so lässt man uns wissen, geschieht nur zu unserem Besten.

Uns bleibt nur, uns zu fügen, aber: wir dürfen diese Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen! Wenn in früheren Zeiten unsere Vorfahren gerade bei Seuchen öffentlich viel mehr gebetet haben und das heilige Messopfer viel öfters gefeiert wurde, so müssen wir das nun mit unseren Gebeten zu Hause ausgleichen. Dazu ein ganz praktischer Tipp: Treffen zum Gebet sind nicht erlaubt, aber gründen Sie doch eine Whatsapp-Gebetsgruppe und beten Sie über das Telefon mit anderen den Rosenkranz jeden Tag zur gleichen Zeit. Das gefährdet niemanden, nutzt allen, geht sogar länderübergreifend und funktioniert ausgezeichnet! Der Herr wird, gemäß Seiner Zusage, ganz sicher bei uns sein, wenn wir gemeinsam beten. Wir dürfen uns ganz einfach nicht entmutigen lassen, denn das würde dem Bösen Raum geben, wir dürfen im Glauben nicht nachlassen, wir sollten uns täglich Kraft aus dem Lesen der Heiligen Schrift holen, mehr fasten und uns viel enger mit dem Leiden unseres Herrn verbinden. Das wird ganz besonders den Kranken und Sterbenden Heil bringen, es wird – wenn es in Gottes heiligem Willen liegt - die Zeit der Dauer dieser Seuche verkürzen, uns selbst aber wird es im Glauben stärken für unser ganzes weiteres Leben, unser Glaube wird danach hoffentlich gefestigter und vor allem überzeugender sein, inmitten einer Welt, die Gott völlig aus den Augen verloren hat. Was liegt näher, als in dieser langen Fastenzeit das Leiden unseres Herrn intensiver als sonst zu betrachten?

Mir war die große Gnade beschieden, im vergangenen Februar sehr tiefgehende Exerzitien erleben zu dürfen und rückblickend betrachte ich diese Zeit als Vorbereitung für das, was danach bald eintreten sollte. Bei diesen Exerzitien hörte ich von einer Legende und diese möchte ich zum Anlass nehmen, über einen Teilaspekt des Leidens unseres Herrn nachzudenken.

Irgendwo in Spanien wird in einer Kirche ein Kreuz verehrt, an dem sich der rechte Arm des Gekreuzigten herabneigt, vom Nagel losgelöst. Die Legende erklärt, wie es dazu kam: Einst beichtete ein großer Sünder in tiefer Reue unter diesem Kreuz und er erhielt die Lossprechung von seinem Beichtvater. Aber schon bald wurde er rückfällig, immer und immer wieder, und schließlich verwehrte ihm der Priester die Lossprechung, obwohl er seine Sünden aufrichtig bereute, aber sie waren zu zahlreich und zu schwer. Da hörten die beiden plötzlich ein Weinen vom Kreuz herab, die rechte Hand löste sich vom Holz und machte das Zeichen der Lossprechung über den Sünder. Eine Stimme erklang: „Ich verzeihe dir, denn du hast Mich so viel gekostet!“ Diesen Sünder – und nicht nur ihn, sondern jeden Einzelnen von uns – zu erlösen und damit loszukaufen von den Kräften des Bösen bedeutete für unseren Herrn und Heiland eine unvorstellbare Qual.

Im Jahr 337 fand die letzte Kreuzigung im römischen Reich statt und danach verschwand die grausamste und schmerzvollste Hinrichtungsart der Antike aus dem Gedächtnis der Menschen. Die Künstler des Mittelalters, die die menschliche Anatomie nicht kannten, ließen daher ihrer Phantasie freien Lauf und wann immer sie den Gekreuzigten darstellten, waren es die Handflächen, die von Nägeln durchbohrt waren. Die Handflächen aber könnten dem Gewicht des Körpers niemals standhalten und das wussten die römischen Soldaten, denn Hinrichtungen waren für sie Routine, das war ihr Geschäft. Sie wussten, wie man einen Menschen kreuzigt und sie kannten die Stelle ganz genau, wo sie den Nagel ansetzen mussten: am Handgelenk! Genau dort finden sich auch die Wunden auf dem Turiner Grabtuch, das als die „Landkarte des Leidens Christi“ bezeichnet wurde. Die Soldaten verwendeten Nägel von fast 1 cm Durchmesser, einen solchen schlugen sie mitten durch das Handgelenk, dabei trafen sie unweigerlich auf den Nervus medianus, einen wichtigen Nerven, der viele Bewegungen der Finger steuert, der aber auch extrem sensibel ist. Die Durchtrennung des Nerven, die meist noch dazu eine inkomplette war, ist von einem rasenden, unbeschreiblichen Schmerz begleitet, der sich wie ein glühender Feuerstrahl entlang des Nervenstranges zur Achsel fortsetzt, ein Schmerz, so stark, dass er meist von einer Ohnmacht gefolgt ist. Aber unser Herr wurde nicht ohnmächtig, denn in Seiner Liebe litt Er diese Qual für uns und zu unserem Heil ganz bewusst und freiwillig. Obwohl Er Gott war, war Er auch Mensch und als solcher empfand Er körperliche Schmerzen ebenso wie wir. Sonntag für Sonntag beten wir im Glaubensbekenntnis „gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben…“ Machen wir uns, wenn wir diese Worte beten, eigentlich bewusst, was dieses Wort „gekreuzigt“ für unseren Heiland bedeutete? Oder haben wir einfach, gemeinsam mit allen anderen, oft nur einen auswendig gelernten Text wiedergegeben? Für mich muss ich diese Frage leider mit ja beantworten.

Zum Zeitpunkt der Kreuzigung war Jesu Leib blutüberströmt infolge der unzähligen Geißelhiebe, die die Muskulatur aufrissen und die Knochen freilegten. Auf dem Turiner Grabtuch zeichnen sich mehr als 120 Wunden ab, verursacht durch die Geißelung mit der römischen Geißel, Flagrum, genannt. Von Seinem Kopf sickerte Blut, verursacht durch die Dornenkrone mit ihren unzähligen spitzen Stacheln, die brutal auf Sein Haupt gedrückt worden waren und bei jeder kleinsten Kopfbewegung heftige Schmerzen hervorrufen mussten. Sein Gesicht war durch Schläge aufgedunsen, wahrscheinlich war das Nasenbein gebrochen. Die Schultern wiesen tiefe Schürfwunden auf, verursacht durch das Gewicht des Kreuzesbalken, den der Verurteile selbst zur Hinrichtungsstätte tragen musste und an den seine Arme gebunden waren. Wie oft ist Er wohl auf diesem Weg – schon extrem geschwächt – zusammengebrochen unter dieser Last, wie oft schlug Er mit Knien und Stirn auf dem Boden auf, bis die Soldaten ein Einsehen hatten, Ihn vom Balken losbanden, und diesen einem Vorbeikommenden aufluden. Fliegenschwärme müssen Ihn umkreist und Seine Pein noch weiter gesteigert haben, Durst hat Ihn gequält und der Spott der Soldaten und der Schaulustigen drang wohl nur mehr von ferne zu Ihm durch. Als der so beschwerliche Weg durch die Gassen Jerusalems hinter Ihm lag und Er die Hinrichtungsstätte erreichte, muss Jesus schon in einem lebensbedrohlichen Zustand gewesen sein, zu viel Blut hatte Er durch die ungezählten Wunden verloren, Er befand sich bereits in einem hypovolämischen Schock – so lautet die heutige medizinische Diagnose.

Nun rissen Ihm die Soldaten das Kleid, das mittlerweile an Seinen Wunden klebte, vom Leib und ein Schauder des Schmerzes muss Ihn dabei erfüllt haben, sie stießen Ihn zu Boden, zogen an Seinen Armen und spannten diese weit aus und dann erfolgten die Nagelschläge durch die Handgelenke. Die Methode der Kreuzigung zielte darauf hinaus, den Tod so qualvoll wie möglich zu machen, sie galt als die grausamste und schmachvollste Hinrichtungsart der Antike überhaupt, bestimmt für Landesverräter und Schwerverbrecher. Als Jesus auch mit den Füßen an das Kreuz genagelt war und am Längsbalken hochgezogen wurde, begann der quälendste Teil Seines Leidens. Die Atmung ist in dieser Position nicht möglich und doch drängt alles im Körper danach, Sauerstoff zu bekommen. Um den Brustkorb zur Einatmung zu dehnen, muss Er sich mit den fixierten und verletzten Füßen abstützen und mit den Armen ein klein wenig hochziehen, dieser Vorgang aber erneuert jedes Mal den alles durchdringenden Schmerz in beiden Handgelenken, denn der Nerv ist am Nagel fixiert und mit jedem Atemzug - etwa 20 mal in der Minute, 1200 mal in der Stunde, 3600 mal in den drei Stunden, in denen Jesus am Kreuz hing – verspürte Er immer wieder diesen alles durchdringenden Schmerz an beiden Armen. Was für eine unvorstellbare und endlose Qual, eingespannt zwischen dem verzweifelten Ringen nach Luft und den Feuerstrahlen in seinen Armen, immer wieder, immer wieder, eine ganze Ewigkeit lang – denn so lang können drei Stunden unter solchen Bedingungen währen.

Denken wir zurück an die Legende, dort hatte sich die rechte Hand gelöst, um dem Sünder zu verzeihen, eine der beiden Hände, die Ihm solch schreckliche Qualen zufügte. Es war die gleiche Hand, die rechte Hand Jesu, die die leeren Augen der Blinden in Jerusalem und Jericho mit Licht erfüllt hatte, die den Aussätzigen heilte, ebenso die Frau mit dem gekrümmten Rücken, den von Ödemen geplagten Mann, das von Petrus abgeschlagene Ohr eines Knechtes in Gethsemane und viele andere Kranke, es war Seine rechte Hand, die den Kranken die Gesundheit zurück gab. Sie alle heilte Er durch die Berührung mit Seiner Hand, diese Hand streckte Er Petrus entgegen, als dieser auf dem See untergehen zu drohte, mit ihr schrieb Er im Sand, als Er der Ehebrecherin vergab und dadurch ihr Leben vor der Steinigung rettete. Diese Hand rief auch den Jüngling von Naim und die Tochter des Jairus vom Tod ins Leben zurück.

Es war aber auch die rechte Hand Jesu, mit der Er am Vorabend Seines Leidens sich selbst Seinen Aposteln hingab in den äußeren Zeichen von Brot und Wein, Seinen Opfertod vorausnehmend. Ist es uns bewusst, dass Er sich mit dieser Hand auch uns in der Heiligen Kommunion hingibt, denn der Priester, der sie uns spendet, leiht Ihm seine Hand in diesem Augenblick, wenn er uns den Heiligen Leib Jesu reicht. Wie danken wir es Ihm? Wie oft empfangen wir Ihn gedankenlos, respektlos, lieblos, zerstreut, fast schon routinemäßig? Jesus reicht uns Seinen auferstandenen Leib, der zuvor ein Meer von Schmerz und Qual durchlitten hat, und was geben wir Ihm? Denken wir nur an Seine rechte Hand, die so viel Segen und Heilung an Leib und Seele spendete und der wir Sünder so unendliche Qual bereiteten! Kann es unsererseits nicht nur eine einzige Antwort geben, nämlich eine tiefe und ehrfürchtige Liebe?

Diese ganz besondere Fastenzeit, das Fasten vom Empfang der hl. Kommunion, vom Mitfeiern der hl. Messe hat für uns noch ein offenes Ende. Wir wissen nicht, wann wir den Leib des Herrn wieder empfangen dürfen. Aber wir haben jetzt die Zeit und die Möglichkeit, uns auf diesen Augenblick vorzubereiten und unsere Sehnsucht nach Ihm wachsen zu lassen. Der Psalm 42 kann uns dabei den Weg weisen: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele nach dir, o Gott. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und erscheinen vor Gottes Angesicht?“

Um Ihn dann würdig zu empfangen, bedarf es unserer ehrlichen Reue und einer ebensolchen Beichte, auf sie uns vorzubereiten hieße, die Zeit bestmöglich zu nutzen. Vielleicht denken wir auch darüber nach, auf welcher Weise wir Ihm dann begegnen wollen? Im Gloria beten wir: „Du allein bist der Heilige, Du allein der Herr, Du allein der Höchste!“ Wenn Er das für uns ist, schulden wir Ihm dann nicht eine Ehrfurcht, die auch einen körperlichen Ausdruck finden sollte? Ich denke, allein wenn wir an die Qualen denken, die Seine Hand für uns erlitt und die Er uns in der hl. Kommunion entgegenstreckt: gebührt Ihm dann nicht unser ganzes Bemühen, Ihm unsere Liebe, unsere Ehrfurcht und unseren Dank in der Haltung der Demut und der Hingabe zu zeigen?

Dr. Eva-Maria Hobiger ist Ärztin.

Flurkreuz im Winternebel nahe St. Peter/Lindenberg (Südschwarzwald)




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