„Hoffe, dass man jetzt in Deutschland eine religiöse Kehre vollzieht“

13. Februar 2020 in Interview


Kardinal Müller zu Querida Amazonia/Synodaler Weg: „Universalkirche und Heiliger Vater müssen um Vergebung gebeten werden für schismatischen Akt, eigene Entscheidungen über die Lehre der Kirche zu stellen.“ kath.net-Interview von Petra Lorleberg


Vatikan (kath.net/pl) „Vor allem muss die Universalkirche und der Heilige Vater um Vergebung gebeten werden für den schismatischen Akt, die eigenen Entscheidungen eines für Lehrfragen unbefugten Gremiums über die Lehre der Kirche und damit über die Offenbarung zu stellen, als ob man vom II. Vatikanum ( Dei verbum 10) noch nie etwas gehört hätte.“ In dieser Klarheit reagierte der emeritierte Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Kardinal Müller, im Interview mit KATH.NET auf das postsynodale Schreiben „Querida Amazonia“. Er bezieht sich damit auch auf den Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland.

kath.net: Eminenz, hat es Sie überrascht, dass es im postsynodalen Schreiben „Querida Amazonia“ zu keinerlei Öffnung des priesterlichen Zölibats gekommen ist?

Kardinal Gerhard Ludwig Müller: Der Zölibat der Priester ist mit dem Wesen des Priestertums zutiefst verbunden. Denn der Priester ist kein religiöser Funktionär, sondern der Repräsentant Christi, des Bräutigams der Kirche. Die besondere Tradition der Priesterweihe in den Ostkirchen hat eigene Gründe. Das II. Vatikanum geht von der inneren Affinität des sakramentalen Priestertums und der vollen Hingabe an den Dienst im Reich Gottes im Verzicht auf die eheliche Lebensform. Der Ausdruck „öffnen“ oder schließen“ ergibt sich aus einer weltlichen Logik, der das Zeichen der ehelosen Lebensform für die kommende Neue Welt in Christus nicht begreifen kann. „Der irdisch gesinnte Mensch erfasst nicht, was vom Geist Gottes kommt.“ (1 Kor 2, 14)

kath.net: Die katholische Frauengemeinschaft kritisiert das Papstschreiben als einen „herben Schlag für alle Frauen, die auf ein starkes Signal zur Gleichberechtigung in der katholischen Kirche gehofft haben“. Wie werten Sie dies?

Kardinal Müller: Das ist eine völlig verfehlte Wortwahl, die den falschen theologischen Ansatz zu Tage fördert. Unser Verhältnis zu Gott ist durch seine freie Gnade und Berufung und nicht durch einen Rechtsanspruch bestimmt. Aber Gott beruft auch alle zur Gotteskindschaft und nur die Apostel und ihre Nachfolger im Dienst des Bischofs, Priesters und Diakons zu dem Dienst an der Kirche, der im Sakrament der Weihe übertragen wird. Das Priesteramt wird nicht übertragen, um den eigen Geltungsansprüchen zu genügen. Auch die Würde der getauften Männer und ihre Mitarbeit in der Kirche ist in keiner Weise dadurch beeinträchtigt, dass sie nicht Priester oder Diakone sind.

kath.net: Kardinal Marx hat einen Tag vor der Veröffentlichung des Papstschreibens angekündigt, nicht für eine Wiederwahl zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz zur Verfügung zu stehen. Nun hatte ja eine Mehrheit der deutschen Bischöfe gemeinsam mit dem ZdK für sehr weitreichende Reformen Werbung gemacht und den diesbezüglichen klaren Brief des Papstes an die Katholiken in Deutschland kaum rezipiert. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Marx-Ankündigung und der Veröffentlichung des Schreibens?

Kardinal Müller: Der Begriff „Reform“ wird hier falsch verwendet und in Anspruch genommen. Reform ist Erneuerung des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, und damit das Gegenteil der Verweltlichung der Kirche. Die Motive von Kardinal Marx, nicht mehr für das Amt des Vorsitzenden zu kandidieren, kenne ich nicht und möchte sie auch nicht kommentieren.

Es wäre ohnehin besser, wenn wir nicht wie schon bei Kardinal Lehmann einen immerwährenden Vorsitzenden hätten, sondern wenn alle drei Jahre (wie in den USA) ein Wechsel stattfände.

Ich hoffe, dass man jetzt in Deutschland eine religiöse Kehre vollzieht.

Vor allem muss die Universalkirche und der Heilige Vater um Vergebung gebeten werden für den schismatischen Akt, die eigenen Entscheidungen eines für Lehrfragen unbefugten Gremiums über die Lehre der Kirche und damit über die Offenbarung zu stellen, als ob man vom II. Vatikanum ( Dei verbum 10) noch nie etwas gehört hätte.

Auch theologisch ist der Synodale Weg in seiner Zusammensetzung in keiner Weise in der Lage, sich mit der Gesamtsituation des Christentums in einer säkularen, postmoderne Welt auseinanderzusetzen. Man sollte sich nicht um sich selbst drehen, sondern sich an Christusausrichten und den Zeitgenossen von der verwandelnden Kraft und Wahrheit des Evangeliums erzählen und es mit dem Leben aus dem Glauben bezeugen.

kath.net: Herr Kardinal, Sie stehen ja selbst seit vielen Jahren in gutem Kontakt mit lateinamerikanischen Katholiken und der Befreiungstheologie. Hat der Papst aus Argentinien den Ton für Lateinamerika getroffen? Was werten Sie als besonders wichtig und beeindruckend? Welche Wirkung könnte „Querida Amazonia“ in Lateinamerika entfalten?

Kardinal Müller: Dieses Schreiben ist voller prophetischer Kraft: Es geht darum, die befreiende Kraft des Evangeliums zu verkündigen. Deshalb sollte man es nicht wie eine neutrale, akademische Studie lesen.

Papst Franziskus zieht in „Querida Amazonia“ nicht irgendwelche dramatischen und umstürzenden Konsequenzen. Sondern der Nachfolger Petri als der universale Hirte der Herde Christi und als höchste moralische Autorität in der Welt lädt alle Katholiken und Christen anderer Konfessionen aber auch alle Menschen guten Willens dazu ein, sich für eine positive Entwicklung dieser Region zu engagieren. Dadurch sollen unsere dort lebenden Mitmenschen und Mitchristen die aufbauende und einende Kraft des Evangeliums erfahren. Wir sollen lokal und global in Solidarität zusammen wirken für das Gemeinwohl. Der Papst will damit bestehende politische, ethnische und innerkirchliche Konflikte und Interessen Gegensätze gerade nicht anheizen, sondern überwinden.

kath.net: Welche Impulse könnten wiederum für Europa wegweisend werden?

Kardinal Müller: „Querida Amazonia“ kann auch für europäische Katholiken versöhnende Wirkung entfalten, wenn sie sich darauf einlassen. Gefährliche Entwicklungen wie innerkirchliche Parteibildungen, ideologische Fixierungen und die Gefahr einer inneren Emigration oder des offenen Widerstands können abgebaut werden. Den Interpreten ist ans Herz zu legen, dass sie die Anliegen des Heiligen Vaters wie echte Söhne und Töchter der Kirche in einem Geist der Zustimmung und Mitarbeit aufnehmen.

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Archivvideo: Der emeritierte Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller im ´Kirche in Not´-Interview über Christenverfolgung


Archivfoto Kardinal Müller (c) Bistum Regensburg


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