"In der CDU herrscht panische Angst vor Erkenntnis!"

10. Februar 2020 in Interview


Ein kath.net-Gespräch mit Martin Lohmann, dem Autor des Buches „Das Kreuz mit dem C – Wie christlich ist die Union?“ und Landespressesprecher der WerteUnion NRW


Köln (kath.net)
kath.net: Herr Lohmann, wie bewerten Sie den Rückzug von Annegret Kramp-Karrenbauer vom Parteivorsitz? Woran ist sie gescheitert?

Martin Lohmann: Gescheitert ist sie an Angela Merkel und an sich selbst. AKK war von Anfang an überfordert als CDU-Vorsitzende. Wenig Charisma, wenig Redekompetenz, wenig Begeisterungsfähigkeit. Aber: Sie war aus der Sicht von Merkel die ideale Nachfolgerin, denn diese brave und gehorsame Parteisoldatin konnte der Kanzlerin definitiv nicht gefährlich werden. Aus politischer Sicht war sie, die es sicher ehrlich meinte, nichts als die Personifizierung eines faulen Kompromisses. Vermutlich aus schierer Verunsicherung hat sie dann auch noch den Fehler gemacht, sich trotz vorheriger Abweisbeteuerungen in die Kabinettdisziplin regelrecht einkleben zu lassen. All das konnte nur schief gehen. Man kann nur aufrichtiges Mitleid mit dieser treuen CDU-Dame haben, die sich aufs sicher ausrutschgarantierte Eis hat locken lassen. AKK ist ein braves Bauernopfer, um von den Machenschaften der Kanzlerin abzulenken. Und ich muss sagen, dass sie es wohl – und das ist keine Floskel – ehrlich versucht hat und bemüht war, die verschiedenen Richtungsbewegungen in der Union zu verbinden. Dankbar muss man zum Beispiel sein, dass sie klare Prinzipien hatte, etwa im Lebensschutz. Aber: Sie durfte einfach nicht.

kath.net: Sie sagen, AKK sei an Merkel gescheitert....

Lohmann: Selbstverständlich. Niemand sonst beherrscht das Instrument des Ego-Macht-Marketings so cool, emotionsfrei und zielsicher wie die heimliche CDU-Chefin. Als in Erfurt ihr Plan, einen SED-Linken zum Ministerpräsidenten zu wählen, durch die Wahl eines Demokraten daneben ging, ließ sie die Maske plötzlich fallen und meldete sich mit einem parteilichen Führungsbefehl aus Südafrika. Spätestens jetzt war klar, wer die Partei nach wie vor führt. Zugleich machte Merkel die gewählte Parteichefin zur Makulatur. Deren vermeintlich forsche Reise nach Erfurt offenbarte eklatante Führungsschwäche und war nichts als eine peinliche Fakenummer. Auch deshalb, weil sich AKK auf das gefährliche Spiel einließ, die – auch verfassungsmäßig garantierte – souveräne Unabhängigkeit eines Landesparlaments und deren frei gewählter Volksvertreter per Zentralbefehl ignorieren zu wollen oder zu sollen. Die heimliche Parteiführerin kletterte derweil in Umfragen des ZDF-Politbaromters auf Platz 1 der beliebtesten Politiker. Partei- und Demokratiewirklichkeit anno 2020 als reinste Tragikomik.

kath.net: Schadet das der Demokratie?

Lohmann: Sehr sogar. All das, was hier aus Dummheit, Naivität, Inkompetenz oder Kalkül und Selbstgerechtigkeit produziert wird, wird weiter zur Stärkung der Extremisten links und rechts führen. Aber offenbar gibt es gerade in der CDU, die sich von den Entwicklungen in der SPD augenscheinlich nicht schrecken lässt und nicht einmal interessiert hinschaut, wie dort eine große Volkspartei durch politische Ich-AGs wie Schröder inhaltlich und personell atomisiert wurde, eine panische Angst vor Erkenntniszuwachs und Selbstkritik. Stattdessen schießen Extrem-Lobbyisten wie Elmar Brok und Ex-Generalsekretäre wie Ruprecht Polenz völlig unqualifiziert und wie weidwund geschossen Richtung derer, die vor linken Falschfahrern und politisch suizidalen Wegen warnen. Und dies ganz logisch und in treuer Übereinstimmung mit den Werten der Union, die für Konrad Adenauer noch galten und die dieser auch noch kannte.

kath.net: Sie meinen Vorwürfe gegen die WerteUnion?

Lohmann: Ja. Wenn ein Brok da reflexartig von einem Krebsgeschwür faselt, dann muss ich schon fragen: Lieber Elmar, wie tief bist Du gesunken? Und wenn ein Polenz die WerteUnion ohne einen Sachbezug und ohne irgendeine Faktengrundlage verteufelt und diskreditieren will, dann frage ich ihn: Herr Polenz, was ist eigentlich Ihr wirkliches Problem, Ihr ureigenes? Und wenn gar die von mir geschätzte Julia Klöckner, mit der ich einen gemeinsamen Weinstock an der Nahe habe, weil wir einmal zusammen ein Weinfest eröffnen durften, jetzt davon spricht, dass die Kritik aus der WerteUnion für AKK „zersetzend“ gewesen sei, dann mache ich mir Sorgen um die liebe Julia. Ihr kann ich nur zurufen: Liebe Julia, werde bitte bald wach, auch wenn das Rausgerissen-werden aus kommoden Alpträumen bisweilen unschön sein kann! Denn Deutschland braucht endlich wieder eine starke und den christlichen Werten verpflichtete christlich überzeugende Partei!

kath.net: Diese Kritik halten Sie für ungerecht?

Lohmann: Ungerecht wäre ein viel zu milder Begriff, um all das zu beschreiben. Es ist doch nur noch absurd: Da fährt auf Befehl einer ehemaligen Propagandasekretärin der FDJ die große alte und aus sozialer wie konservativer Wurzel entstandene CDU seit Jahren mit Vollgas auf der linken Überholspur, baut einen Wahl-Unfall nach dem anderen, verliert immer mehr Zustimmung – und diejenigen, die diesen Irrweg benennen und davor warnen, ihn weiter zu rasen, sind schuld an selbst verschuldeten Unfällen? Das wäre so, als raste man mit einem Wagen auf eine Betonwand zu und missachtet die Stoppschilder, weil es doch noch so nett im Wagen ist und Klimaanlage sowie Stereosound doch funktionieren. Klar, der Hinweis darauf, dass man sich auf gefährlich abschüssiger Bahn befindet, kann da störend sein. Das ist eben der Unterschied zwischen Selbstwahrnehmung in bequemen und luxuriösen sowie gut gepamperten Sportsitzen und objektiver Fremdwahrnehmung. Und wenn es dann knallt, weil man Stoppschilder selbsttrunken zu übersehen können glaubte, ist dann natürlich das Stoppschild alles schuld? Was für eine Logik!

kath.net: Auch die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) schießt gegen die WU.

Lohmann: So ist es. Man fragt sich: Wer oder was hat diese CDA eigentlich gekapert? Wir von der WerteUnion weisen die Verunglimpfungen durch die CDA besorgt zurück. Deren böser Versuch, uns, die wir fakten- und wahrheitsgetreu für eine echte Reform der CDU kämpfen, in die Nähe von völkisch-nationalistischem Gedankengut zu bringen, ist weder christlich noch fair noch anständig. Das ist nichts als widerliche Fakenews. Die aber gehören nicht in die CDU! Solche Ausgrenzungsattacken haben das Potential der mittel- und langfristigen Selbstzerstörung. Wer wie Polenz, Brok und CDA aus offensichtlicher Korrekturphobie den Feind innerhalb der eigenen Partei sucht und zu diskreditieren sucht, hat nicht verstanden, was es mit dem Respekt vor der Würde des Menschen noch mit gelebter Toleranz oder christlicher gebotener Wahrhaftigkeit auf sich hat. Diejenigen, die so agieren wie die Dreckwerfer gegen die WerteUnion, verraten auch einen Konrad Adenauer, der das, wofür die WerteUnion steht, noch wusste und lebte.

Ich sage es ganz deutlich: Wer die legitime Diskussions- und Überzeugungsbreite auf der Grundlage des Sozialen und (!) des Konservativen nicht aushält, verrät die Seele der CDU.

kath.net: In Ihrem bereits 2009 erschienen Buch „Das Kreuz mit dem C – Wie christlich ist die Union?“ haben Sie fast alles, was seitdem in der Union passierte und heute passiert, vorausgesagt. Wie konnte das sein?

Lohmann: Zunächst: Ich bin kein Prophet und verfüge sicher nicht über diesbezügliche besondere Gaben. Auch andere sahen damals, was passieren könnte, wenn Merkel so weitermacht. Jeder, der die Augen auf hatte und sich einen einigermaßen wachen Geist leistete, konnte das doch alles sehen! Ich weiß, dass sich manche in der CDU bitterböse über mein Buch, das längst vergriffen ist, beklagt haben und mich zur persona non grata erklärten. Dabei wollte ich nicht ärgern, sondern als Mitglied der CDU wachrütteln. Mein Buch sollte ein Weckruf sein. Doch das war eine Überschätzung, weil ich die merkelschen Restaurationskräfte unterschätzte. Immerhin: Souveräne Politiker wie Wolfgang Bosbach, der mich zunächst auch – sagen wir mal – sehr kritisch wegen dieses meines Buches sah, hat sich später bei mir für seine diesbezügliche Fehleinschätzung entschuldigt. Richtig ist, dass ich gerade heute auch nichts aus meinem damaligen Buch zurücknehmen müsste. Leider! Denn mit keinem meiner Bücher hätte ich so gerne Unrecht gehabt wie mit diesem.

kath.net: Stimmt es, dass Frau Merkel Ihr Buch nicht annehmen wollte?

Lohmann: Ja, so war es. Sie hatte sich offenbar schon über den Inhalt informiert, und als ich es Ihr mit persönlicher Widmung – welch ein Zufall – am 17. Juni 2009 nach einem Auftritt in dem auch von mir mit gegründeten Kardinal-Höffner-Kreis in der Parlamentarischen Gesellschaft überreichen wollte, verwies sie darauf, gerade keine Hand zur Annahme frei zu haben – obwohl sie nichts in der Hand hatte. Nun ja. Ich habe es dann unmittelbar zum damaligen Staatsminister bei der Bundeskanzlerin, Hermann Gröhe, ins Kanzleramt gebracht, der es dann der Kanzlerin auf den Tisch legte. ich vermute aber, dass es Frau Merkel nicht gefallen hat, zumal ich viel über sie und unsere Begegnungen schreibe und unter anderem ein eigenes Kapitel über sie schrieb: „Das Phänomen Merkel. Das C und die beste Ich-AG.“ Wie gesagt: Leider hatte ich nicht Unrecht. Leider! Denn ich war aus Überzeugung für eine Politik aus christlicher Verantwortung und nicht zuletzt wegen des für mich beeindruckenden Zeugnisses des Widerstandes gegen Totalitarismus, Extremismus und Faschismus meines väterlichen Großvaters bereits als junger Mensch in die CDU eingetreten. Aber was Merkel daraus gemacht hat, hat mit dem eigentlich so notwendigen und letztlich immer aktueller werdenden Profil dieser CDU nichts mehr zu tun.

kath.net: Was würden Sie dieser CDU heute denn raten?

Lohmann: Dringend den Mut zum fairen Dialog, der notwenigen Vielfalt auf der Basis christlicher Werte und die Souveränität zur gebotenen Selbstkorrektur. Verleumder, die offenbar aus eigener Argumentationsabstinenz Angst vor Argumenten und überzeugendem Profil haben, sind keine Zukunft. Wenn jetzt, nach dem überraschungsresistenten Scheitern von AKK nicht diese allerletzte Chance ergriffen und genutzt wird, kann ich nur auf das ehemalige Gebäude der italienischen Democrazia Cristiana in Rom verweisen: Diese Schwesterpartei gibt es seit 1994 nicht mehr und wurde aufgelöst. Das aber ist kein gutes Vorbild für die CDU, auch wenn nicht alles vergleichbar ist. Aber das perfide Anbiedern nach links und extremlinks gehört nun wirklich nicht zur Ur-DNA der CDU. Wer der Betonwand bedrohlich näherkommt, sollte den Rat befolgen: Manchmal hilft nur noch eine Vollbremsung. Sie kann rettend sein.

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