Viele Bischöfe sind im Laufe der Kirchengeschichte häretisch geworden

6. Februar 2020 in Interview


Kardinal Gerhard Ludwig Müller im "LifeSiteNews"-Interview an seine Kritiker: Unsere "Linken" in Kirche und Gesellschaft identifizieren sich durch ihre Doppelmoral und ihre glänzende Unfähigkeit, mit Argumenten auf Sacheinwände zu antworten.


Rom (kath.net/LifeSiteNews)

LifeSiteNews: Sie haben vor zwei Tagen kritische Bemerkungen zur ersten Vollversammlung des Synodalen Weges gemacht und dessen Prozess 'suizidal' genannt und dann mit der Aufhebung der Weimarer Verfassung durch das Ermächtigungsgesetz verglichen. Sie bezogen sich hier auf die Tatsache, dass die VV beschlossen hat, auch dann Entscheidungen zu akzeptieren, wenn sie gegen die katholische Glaubenslehre gehen. Könnten Sie uns hier Ihre Gedanken ausführlicher erläutern? Und: darf man einen solchen Vergleich machen?

Kardinal Müller: Ständig wird mehr politische Macht für die Laienfunktionäre gefordert im Gegensatz zu der -den Bischöfen von Christus verliehenen- sakramentalen Vollmacht oder nach mehr Macht für die lokalen Bischoskonferenzen (sprich: ihren Apparat) gegen die Zentralmacht "Rom", als ob die Kirche sich in die Arena medialer und politischer Kampfspiele verirrt hätte. Wo es um irdische Macht geht, ist die Gewaltenteilung unbedingt erforderlich.

Menschen steht keine absolute Macht über Menschen zu. Hier geht es aber um den Heilsdienst an den Mitgläubigen im Namen Gottes. In der Kirche dreht sich nicht alles um die Macht, sondern um den Aufbau des Leibes Christi. Wollen wir dienen oder herrschen? Das ist hier die Frage. In der Kirche geht es um "die Erkenntnis des einen und einzigen Gottes und das Heil aller Menschen durch Christus Jesus als einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen" ( vgl. 1 Tim 2,5).

Die Kirche ist Sakrament des Heils der Welt und von Christus selbst "hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst und mit hierarchischen Organen ausgestattet" (Lumen gentium 8). Das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen aufgrund von Taufe und Firmung und das hierarchische Priestertum aufgrund der Weihe (zum Bischof, Priester und Diakon) dürfen nicht in Klassenkampfattitüde gegeneinander gestellt werden mit dem Ziel einer klassenlosen Gesellschaft, die in Wirklichkeit die Herrschaft der Funktionäre war im Namen eines anonymen "Volkes". Die Christen (als Laien, Ordenesleute und Priester) sind einander organisch (nicht mechanisch) zugeordnet im ganzen Lebensvollzug des Leibes Christi, insofern sie am Priestertum Christi in je spezifischer Weise teilhaben (Lumen gentium 10).

Der ganze Ansatz des "Synodalen Wegs" ist ekklesiologisch falsch. Eine falsche Diagnose verdirbt die beste Therapie. Statt emotionale Betroffenheiten zum Besten zu geben, sollten sich die tonangebende und machtbesitzende Mehrheit besser mit dem Kirchenverständnis des II. Vatikanums vertraut machen anstatt sich nur auf seinen "Geist" zu berufen, sonst wird das ganze zu einer Geistersitzung. Sich in diametralen Gegensatz zur geoffenbarten Lehre des Glaubens zu setzen und dafür dann noch den Heiligen Geist zu bemühen, ist ein grober Klotz, der sich seinen groben Keil wohl verdient hat. Wir sollen "hören, was der Geist den Gemeinden sagt" (Offb 2, 11); aber das ist doch das "Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi" (Offb 1, 2) und nicht die Vision einer gesellschaftskonformen "Kirche".

In der "Kirche des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" (Lumen gentium 4) kann man die christologische und geschichtliche Grundlegung der Kirche und das Wirken des Christus praesens im Heiligen Geist nicht gegeneinander ausspielen.

LifeSiteNews: Sie stellten auch fest, dass der Synodale Weg "weder von Gott noch den Menschen" autorisiert sei. Könnten Sie uns dies vertieft erklären?

Kardinal Müller: Wie gesagt: die "göttliche Konstitution" der Kirche stammt von Christus (LG 8) und nicht seinen Jüngern. Sie ist im Gewissen von höherer Verbindlichkeit als die Verfassung eines Staates oder Vereins kraft menschlichen Rechtes. Christus selbst baut Seine Kirche auf Petrus und nicht Petrus und die anderen Jünger bauen ihre Kirche auf ein selbstgemachtes Christusbild. Die Apostel und die Bischöfe als ihre Nachfolger haben in ihr nicht die politische Macht ergriffen und sie damit in Menschenwerk umfunktioniert, dann die Macht den Laien weggenommen und diese damit unterdrückt.

Sie sind vielmehr von Christus einst historisch durch unmittelbare Berufung und jetzt sakramental durch die Weihe eingesetzt und bevollmächtigt als Diener Christi, das Volk Gottes mit Seinem Wort zu lehren, mit Seinen Sakramenten zu heiligen und Seine Herde als Hirten zu leiten (Lumen gentium 18- 29). Sobald sie etwas im Gegensatz zur apostolischen Lehre und zur sakramentalen Verfassung der Kirche lehren und entscheiden, haben sie den Anspruch auf den "religiösen Gehorsam der Gläubigen" verloren (Lumen gentium 25; Dei verbum 10).

Schon viele Bischöfe sind im Laufe der Kirchengeschichte häretisch geworden oder haben ihre Gemeinden ins Schisma geführt, wie z. B. die Donatisten, die in Nordafrika gegenüber den Katholiken mit ihrer Mehrheit auftrumpften.

LifeSiteNews: Einer Ihrer Kritikpunkte der Synodalen Versammlung ist, dass sie Laien viel Macht gibt und dass dies die bischöfliche Autorität untergräbt. Worauf beziehen Sie sich hier konkret in bezug auf die erste VV und was sind hier die lehrrechtlichen Grundlagen?

Kardinal Müller: Dem Papst und den Bischöfen in Gemeinschaft wurde auch das Lehramt anvertraut "verbindlich das geschriebene und überlieferte Wort Gottes zu erklären (Dei verbum 10) im Gegenüber zu den anderen Mitgliedern der Kirche, aber keineswegs im Gegensatz zu ihnen, da alle mit-verantwortlich sind für die unverfälschte Weitergabe des Glaubens (LG 12). Ich kritisiere nicht, dass die Laien zu viel Macht beanspruchen oder sie ihnen verleihen wird, sondern dass das Wesen und die Sendung der Kirche, des Leibes Christi und Tempel des heiligen Geistes, mit den Kategorien von Macht und Prestige durch Selbstsäkularisierung verfälscht wird. "Die Kirche Christi ist keine NGO" - wiederholt immer wieder Papst Franziskus.

LifeSiteNews: Denken Sie, dass Rom diesen Synodalen Weg stoppen sollte, und wenn ja, warum?

Kardinal Müller: Die Römische Kirche mit dem Papst an der Spitze hat die von Christus mitgeteilte Vollmacht und Verantwortung für die Einheit der Kirche in der Wahrheit der apostolischen Lehre. Am Beginn der Spaltung der Christenheit im 16. Jahrhundert, die die Glaubwürdigkeit unseres christlichen Glaubens vor der Welt bis zum heutigen Tag zutiefst erschütterte, haben die deutschen Bischöfe und die Kurie in Rom furchtbar versagt, wie der Papst Hadrian VI. selbst bekannte (Nürnberger Reichstag 1522/23). Ich hoffe, dass man diesen historischen Fehler nicht wiederholt.

Historisches Wissen kann helfen, zukünftige Gefahren im Licht der geschichtlichen Erfahrungen frühzeitig zu vermeiden, und nicht erst dann nach dem Deckel zu rufen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Der mächtige deutsche Kardinal Albrecht von Brandenburg hat seine widerrechtliche und unmoralische Ämterhäufung mit dem von Rom bewilligten Ablasshandel finanziert. Damit sind deutsches Geld, die theologische Unbildung des deutschen Episkopates, der Primat von Geld und Politik in Rom mitschuldig an der abendländischen Kirchenspaltung und ihren tragischen Folgen bis heute. Geld regiert die Welt, aber es ist auch des Teufels bestes Mittel, die Kirche zu verwirren.

Zur Säkularisierung als totales und totalitäres Selbst- und Weltverständnis ohne Gott gibt es nur das eine wirksame Gegenmittel der glaubwürdigen Verkündigung des "Evangeliums von Jesus, dem Christus, dem Sohn Gottes" (Mk 1,1) und eines Lebens in der Nachfolge Christi.

Das erste Wort des hl. Paulus nach seiner Bekehrung am Beginn seiner "Verkündigung von Jesus" war - übrigens nicht historisch der Hinweis auf interessante Quisquilien von einer Frau als erster Christin in Europa und getauften Sklavinnen in Rom -, sondern das Bekenntnis: "Dieser ist der Sohn Gottes." (Apg 9, 20)

LifeSiteNews: Sie wurden in Deutschland dafür angegriffen, dass Sie den Synodalen Weg mit der Machtübernahme durch Hitler verglichen haben. Die Empörung scheint größer darüber zu sein als darüber, dass deutsche Bischöfe dabei sind, die gesamte Kirchenhierarchie, als auch die Sakramenten- und Morallehre der Kirche aus den Angeln zu heben, mit schweren Folgen für viele Seelen. Wie würden Sie dieses Phänomen kommentieren?

Kardinal Müller: Es ist typisch deutsch, dass man aus der Geschichte nichts lernen will. Unsere "Linken" in Kirche und Gesellschaft identifizieren sich durch ihre Doppelmoral und ihre glänzende Unfähigkeit, mit Argumenten auf Sacheinwände zu antworten. Die unaufhörliche persönliche Anprangerung derer, die nicht zu ihrem ideologischen Lager gehören, als erzkonservativ, fundamentalistisch, rechtslastig, will einschüchtern, ist in Wirklichkeit aber nur das Ausspielen ihrer Macht gegen die Vernunft. Auf jeden Fall wird dieses "synodale" Unternehmen nicht der "Große Sprung nach vorn". Vielleicht weckt dieser vergleichende Nichtvergleich in chinesischen Metaphern ihren tief schlummernden Sinn für Humor.

LifeSiteNews: Sie haben einen starken Vergleich gemacht. Ist dies geschehen, weil Sie den Ernst der Situation erkannt haben und weil es hier um das Wohl vieler Seelen geht?

Kardinal Müller: Es stimmt, dass sachliche Darlegungen gekonnt in der Schweigespirale versenkt werden. Man muss das Empörungsgefühl nur antippen und schon läuft das Ritual ab. Ich kenne ja die meisten Akteure persönlich und weiß wie das Netzwerk funktioniert.

Mit dem ganzen Irrsinn von Auftragsarbeiten, Zitationskartellen, der Befriedigung der Sensationsgier gegen das Geld wohlbezahlter Artikel, den personalpolitischen Intrigen und üblen Nachreden gegen Kartellfremde macht man die schönen Reden von Mitbrüderlichkeit und Barmherzigkeit, von Synodalität und Dialog bei den Außenstehenden nur lächerlich und entmutigt die ernsthaft gläubigen Christen.

LifeSiteNews: Kardinal Woelki wurde scharf angegriffen, als er sich von der ersten VV distanzierte. Ihnen wird mitgeteilt, dass Sie kein akzeptabler Diskussionspartner mehr sind. Es scheint, dass die Bewahrer des Glaubens an den Rand geschoben werden, so, wie sie auch in der VV in der Minderheit waren. Fühlen Sie sich hier an andere Momente der Kirchengeschichte erinnert?

Kardinal Müller: Kardinal Woelki ist ein von Christus im Heiligen Geist geweihter Bischof und als Kardinal der römischen Kirche engster Mitarbeiter des Papstes in der Verantwortung für die universale Kirche. Die verbalisierte Gewalt gegen ihn und andere ist doch nur Ausdruck intellektueller Hilfslosigkeit und moralischer Verwirrtheit "von irdisch gesinnten Menschen, die nicht erfassen, was vom Geist Gottes kommt" (1 Kor 2,13).

Angesichts der exkommuniziernden Machtansprüche solcher Helden, die kaum eine Dogmatikprüfung bestehen könnten, fällt mir nur Dietrich Bonhoeffer ein, der im Jahr 1943 gegen die Dummheit resümierte: "Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen, es ist sinnlos und gefährlich." (DBW 8, 26).


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